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Das 500jährige Jubiläum der Heidelberger Universität im Spiegel der Presse: Hessische Morgenzeitung — 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.16744#0004
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Festschmuck geworfen, der em ganz überraschendcs
Zeugniß von der Anhänglichkeit dcr Hcidelberger an
ihre alte Hochschule ablegt. Wahrend sonst schou
die halbe Stadt nebst dem Schloß in lieblichem
Grün ertrinkt, ist jetzt der Schwarzmald selbst
niedergestiegen, um von Haus zu Haus, von Fcnster
zu Fenster Kränze und Blumengewinde zu ziehen.
Was irgendwie amtlicher Art ist, Universität,
Rathhaus, Bahnhof bis hinab zu den Brunnen der
städlischen Plätze, hat alte Götterlehre und neue
Heraldik gcplündert, um sein Aeußcrcs dcr großen
Handlung entsprechend zu gestaltcn. Die Aus-
schmückung eines der Brunnen freilich hat unter
einem höchst achtbaren Theile der Heidelberger Be-
völkerung eincn klcincn Aufruhr hervorgerufcn.
Es hatten sich auf der steinernen Schale desselben
vier arme griechische Wasierjungfrüulein in ihrer
landesüblichen Tracht verirrt. Der allzu sleisch-
farbigc Anstrich dieser stahlblaugeschwänzten Jung-
fraucn aber stach den Weibern des Marktes so grell
in die Augen, daß die hohe Obrigkeit sich genöthigt
sah, die griechische Sonderfarbe durch einen scham-
haften bronzcnen Ueberzug zu verdcckcn, was dcnn
wie linderndes Oel auf das christlich-germanische
Gefühl der Obst- und Gemüsehändlerinnen wirkte.
Zum Duft des Waldes aber hat die
Festfreude der Heidelberger den Rciz vielfacher
poctischer Einfälle gesellt, die sich zierlich aus be-
kränzten Tafeln der Aufmerksamkeit dcr Spazier-
gänger darbieten. Da giebts viel Schönes und
auch viel Lustiges zu lcsen; ciniges auch, dem cs
zu Gute kommt, daß freie Luft nicht nur die
leibliche Nahrung verdaulicher macht. Unserm
nationalen Götzen und Moloch, dem Durst, wird
etwas reichlicher Weihrauch gespendet, als dcr gute
Geschmack zu billigen vermag. Es scheint, als ob
nach mancher Leute Sinn diese Jubelfeier unserer
ältesten Hochschule sich zu einer Verherrlichung
Scheffels hütte gestalten sollen. Das würde doch
den Gcsichtskreis zu sehr eingeengt haben.

Wenn eincs einzelncn erlauchten Lehrers Wirk-
samkeit nicht zu ermesien ist in ihrem langsamen
und kaum sichtbaren Aufkcimen in tausend Geistcrn
durch vicle Zciten und Geschlechter hindurch, wie
unermeßlich hat man sich das Saat- und Erntefcld
einer solchcn Vereinigung der auserlesensten Gcister
durch ein halbeS Jahrtausend hindurch zu denken?
Und darum freut man sich, neben manchem über-
müthigcn Späßlein auch zuweilen einem ernsten
Gedanken zu begcgnen, wie an dem Eisenlohrschen
Hause am Karlsplatze:

Fünfhundert Jahre, wund, verhetzt,

So manch Geschlecht der Deutschen stieg
Jns Grab verzweifelnd. Doch zuletzt
Schuf Geist und Heldenkraft den Sieg.

Bci dem Prorcktor fand am Dienstag Nach-
mittag ein Esien statt, an welchcm die Minister
Goßler und Nokk, sowie der päpstliche Gesandte,
viele hochstehende Beamte und Ehrengäste theil-
nahmen. Das abendliche Schloßfest war von
klarem Wetter begünstigt und verlicf äußerst glän-
zend. Tausende von zum Theil farbigen Papicr-
lampen zeichneten die architektonischen Linien des
Schlosics aus, welches außerdem noch mit elek
trischem und anderem Lichte erleuchtet wurde. Ge-
gen 7000 Personen waren im Schloßhof, auf dem
Balkon und in dem Garten anwesend. Der Staat
hatte die Bewirthung der Güste übernommen. Um
8 Uhr erschienen der Großherzog und die Groß-
herzogin, der Kronprinz, die Prinzen Ludwig und
Karl. Jn dem sogenannten Landhause, welchcs mit
Gobelins prachtvoll geschmückt war, hatten sich die
Ehrengäste, die Abgesandten, sowie die Professoren
der Heidelberger Universität fakultätsmeise versaminelt.
Die Dekane stellten die Herren ihrer Gruppen den
höchsten Herrschaften vor. Der Großherzog und
der Kronprinz unterhielten sich in der leutseligsten
Weise mit den Anwesenden; die französischen Ver-
treter wurden von allen Herrschaften in eine längcre
Unterhaltung gezogen. Die Präsidien sämmtlicher
studentischen Verbindungen wurden dcm Kronprinzen
vorgestellt, der für jeden einige freundliche Worte
hatte. Die Frau Großherzogin ließ sich die Ge-
mahlinnen sämmtlicher Professoren vorstellen. Um
10 Uhr verließcn die Herrschaften das Schloß unter

zu sprechen, — sie nahm leise wie im Traum scincn
Kopf und legte ihn an ihre Brust, sie stillte mit dcm
dunklen entfessclten Haar das Blut desscn Ströme
unaufhaltsam dahinflosicn.

„Krafft, mein Geliebter, — jetzt scheidct uns
nichts mehr, nichts. — Gott hat vcrzichcn, er schenkt
unS ein« gemeinsame Sterbestunde!"

Und dann kam doch über die erkaltenden Lippen
ein Laut, ein einziger, und mit ihm sloh das Leben:

„Sulamith, mein süßes Lieb!" —

Sie küßtc ihn, sic umschloß ihn cng mit beiden
Armen. Seltsam, jetzt war auch das ruhelose Klopfen
aller Pulse gestillt, ein sanfter Friede senkte sich ticser
und tiefer herab auf ihre heiße Stirn. Die Hand
suchte unter der Blutlache daS Herz, — cs schlug
noch, aber kaum wahrnehmbar, immcr schwächer
und schwächer, dann starb auch daS letzte leise
Pulscn, die Lippen blieben unbeweglich unter dem
Druck dcS warmcn Mundes, der sie küßte, — Krafft
war todt.

Sulamith weinte nicht, sie hielt ihn in ihren
Armen, «bcr schwerer und schwerer sank unvermerkt
ihr eizener Körper herab auf seine „blutende, durch-
schossene Brust, langsam wich das trügerische Roth von
den cingefallencn Wangcn, die Augen schlosscn sich,
der Kopf lchnte gegen die Stirn, deren Kälte sie nicht
mehr fühlte.

Armer Fingal! So ost hatte er dic geliebte
Herrin stundenlang schlummern sehen, so ost die Un-
beweglichkeit dcs Körpers kennnen gelcrnt, jctzt täuschte
ihn der Tod vollständig.

DaS Vögelchen sang wieder von den nächsten
Baumzweigen herab, alles war still und feierlich
bis vom Försterhause die erschreckten Menschen gelaufen
kamen und nun das Entsctzen aus leichenblassen Ge-
sichtern sprach. Ein Mord, — ein Mord am hellen
Tage! —

(Fortsetzung folgt.)

begcisterten Kundgebungen der Anweseiiden. Das
Fest selbst fand erst in später Nacht sein Ende.

Das Festmahl für die Ehrengüste begann im
großcn Saal des Museums nach 3 Uhr. Am
Rektortisch saß gegcnüber dem Kronprinzen der
Großherzog von Vadcn, neben ersterem die Prinzen
Ludwig Wilhelm und Karl. Der Erbprinz war
nicht anwescnd. Neben den Prinzen saßen Kuno
Fischer und Mommscn, weiter Goßler, Windscheid,
Reye, Ministcr Hofmann, Prof. Zcller aus PariS;
ncben dem Großherzog saßcn Prorcktor Bekker nnd
dcr badische KultuSminister Nokk, ferner Helmholtz,
Gneist, Bunsen, dcr Berlincr Prof. Zeller, Lamey.
Den Saal füllten im Ganzen 470 Personen. Das
Mcnu war reich und gcwählt; von Weinen ist zu
nennen die Perle dcr Pfalz vou 83, Forstcr Kirchen-
stück Ausbruch. Gcgen Ende dcr Tafel erhob sich
der Großherzog und toastete auf den dcutschen
Kaiscr.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 2. August. Am 7. ds. tritt dcr
„Presse" zufolge im Handelöministerium eiue Kon-
ferenz von Vertretcrn der Minister der Jusliz, des
AckerbaueS und des Handels zusammcn, um über
den vom Handelsministerium ausgearbeiteten Ent-
wurf eines Markenschutzgesetzes zu beraten.

Jtalien.

Nom, 2. August. Das diplomatische Korps
ist davon benachrichtigt worden, daß der Papst
cndgültig beschlosien habe, unter dcm Titcl eines
apostolischen Delegatcu und Ministerresidenten cinen
diplomatischen Vertreter nach Peking zu ent-
senden. Die chinesische Regierung wird den in
Londvn beglaubigten Gcsandten auch beiin Vatikau
beglaubigen.

Lokales.

— Jn der gestrigen Ferienstrafkammer-
Sitzung wurde der Zimmermann Karl West aus
Hohenkirchen, der wegcn fahrlässiger Brandstiftung
angeklagt war, freigcsprochen. Am 19. April d.
I. war Angeklagtcr als verantwortlicher Vor-
arbeiter mit mehrcren andcrn Arbeitern im Hohen-
kircher Wald mit Kulturarbeit beschüftigt. Die
Arbeiter hatten sich ein Feuer angezündet, wie
das üblich und auch erlaubt ist, hatten auch die
nöthige Vorsicht gebraucht, welche darin besteht,
daß in einiger Entfernung das Laub rc. entfernt
werden muß und das Feuer mit Rascnstückcn um-
legt wird. Es herrschte aber genanuten Tags ein
heftiger Wind und es ist anzunehmen, daß derselbe
eine Kohle aus der Brandstätte in das Laub ge-
weht hat, und daß hierdurch der Waldbrand ent-
stand, der jcdoch schnell gelöscht wurdc, immerhin
aber cinen Schadcn von 45 Mark vcrursachte. —
Der Dienstknccht Paulus Gun kcl aus Nesicbröden,
wegen Dicbstahl schon vorbcstraft, wurde nach ab-
gelegtem Geständniß zu 4 Monaten Gefangniß
verurtheilt, wcil er bci einem in Niedervelmar am
27. März stattgehabtcn Brande im Ackermann
Siebert'S Haus eine Quantität Blei sich angeeignet
und angeblich für 60 Pfg. verkauft hat. ^

— Heute Abend trifft die Fürstin Dolgo-
rouky im Stadtpark auf. Sie ist als Violin-
virtuosin von den vorjährigen Konzertcn noch in
bestcr Erinnraung. Jn London trat sie in nicht
weniger als 160 Konzcrten in einer Saison auf.
Sie konzertirt auf eincm echten Straduvarius,
cinem Geschcnk des Großfürsten Wladimir von
Rußland.

ü. Der Jägerianer-Verein hielt vorgestern
Abend im Caffee Verzett seine diesmonatliche Ver-
sammlung ab. Jn derselben wurde beschlosscn, vom
nüchsten Monat ab die Versammlungen an jedcm
zweiten Dienstag im Monat und zwar wie bisher
im Caffee Verzett hier Abends 8*/s Uhr abzu-
halten. Weiter beschloß man die Einrichtung einer
Lesemappe, welche bei sämmtlichen Vcreinsmitgliedern
zirkuliren und alle bedcutenden auf hygienischen
Gebiete erscheinenden Schriften rc. umfasien wird.
Da der Verein sich nicht nur auf dic Verbreitung
der Jäger'schen Wolltheorie beschränkt, sondern auf
die Pflege der Gesundheit überhaupt hinwirkt,
glaubt man mit der Einrichtung diescs Lesezirkels
einen weiteren Schritt nach dicser Nichtung hin
gcthan zu haben.

— Nach dem neuen Grundlehrplan für höhere
Mädchenschulcn soll die wöchentliche Stundenzahl
in den Stufen eins bis fünf 30, in der scchsten
Stufe 28, in der siebenten 24, der achten 20, der
neunten 18 betragen. Jn der ncunten kommen
dabei auf Religion 2, Deutsch 9, Rechnen 3, Tur-
nen und Handarbeiten je 2, in der achten kommen
für Rechnen und Religion je 1 Stunde hinzu, in
der siebenten 2 Stunden Erdbeschreibung und 2
Zcichnen; in der sechsten kommcn auf Religion,
Erdbeschreibung, Singen, Schreiben, Zeichnen, Tur-
neu, Handarbeiten je 2, auf Deutsch und Franzö-
sisch 5, Rechnen 4; in der fünften treten je 2
Stunden für Erdbcschreibung, Naturbeschreibung
und Physik, in der vierten noch 2 für Geschichte,
in der dritten noch 4 für Englisch hinzu, sodaß
sämmtliche (13) Lehrgegcnständc nur in den obersten
drei Klasien unterrichtet werden. Was nun den
evangelischcn Religionsuntcrricht bctrifft, so soll der
Lehrstoff der Untcr- und Mittelstufe in der Haupt-
sache biblische Geschichte seiu. Daneben werden
Bibelsprüche, Gebete, einzelne Liederverse, sowie die
Gebote, das Vaterunser und das apostolische Glau-
bcnsbekenntniß ohne Luther's Erklärung gelernt.
So baut sich der Lehrstoff weiter auf und in der
dritten Stufe werden unter Anderem ausgewählte
Psalmen, sowie andcre dichterischc und prophetische
Stellcn des Alten TcstamentS und Abschnitte aus
den Bricfcn in der zweiten Stufe ein Evangelium
im Zusammcnhange, in der ersten die Apostelge-
schichte gelesen. Dazu kommen hier kirchcngeschicht-
liche Bilder, namentlich von der Ausbreitung der
Kirche und der Reformation, sodann Wiederholungen
aus allen Gebieten des Religionsuntcrrichts.

— Gemäß den Veröffentlichungen des Kaiser-
lichen Gesundheitsamts sind in der Zeit vom
18. Juli bis 24. Juli cr. von je 1000 Bewohnern,
auf den Jahresdurchschnitt berechnet, als gestorben
gemeldet: in Berlin 31,5, in Breslau 34,9, in

I Königsberg 26,5, in Kölu 30,3, in Frankfurt a. M.

24.6, in Wiesbaden 22,5, in Hannovcr 23,1, iu
Kassel 27,6, in Magdeburg 31,2, in Stettin 39,7,
in Altona 28,8, in Straßburg 19,0, in Metz 25,1,
in Münchcn 35,4, in Nürnberg 41,3, in Augsburg

30.2, in Dresden 32,0, in Leipzig 21,4, in Stutt-
gart 25,1, in Karlsruhe 18,7, in Braunschweig

29.6, in Hamburg 23,1, in Wieu—, in Pest 34,2,
in Prag 29,2, in Tricst —, in Krakau 30,3, in
Basel 16,9, in Amsteidam 22,2, in Brüsiel 23,8,
in Paris 23,4, in London 21,5, in GlaSgow 23,6,
in Lioerpool 20,6, in Dublin 21,0, in Edinburg
16,8, in Kopenhagen 20,5, in Stockholm 22,0, in
Christiania 24,6, in St. Petersburg 28,6, in
Warschau 27,4, in Odcsia 40,1, in Rom 22,0, in
Turin —, in Veuedig 24,3, in Madrid —, in
Alexandria 66,3. Fcrncr in der Zeit vom 27.
bis 3. Juli cr.: iu Newyork 24,5, in Philadclphia

19.3, in Baltimore 28,5, in San Francisco —,
in Kalkntta —, in Bombay 22,5, in Madras 32,0.

Die StcrbUchkcit hat in dcr Berichtswochc in dcr über-
wicgend grötzcrcn Znhl dcr Grotzstädtc Europas zugcnonnncn.
Nur ivenig Städte. von dcutschen Berlin, Straßburg, Karls-
ruhe, Darmstadt, Leipzig, von außerdeutschcn Basel, Edinburg,
Kopenhagcn, Slockholm mclden kleincre Sterblichkeitszisfern
als in dcr Vorwockie. Dennoch war dic Sterblichkeit im
Allgemeincn, mit Bezug auf die Jahreszeit, eine günstige.
Durch dic anhaltend hohe Tempcratur der Luft, die während
des größten Thciles dcr Woche vorherrschte (in München
sticg das Thermometcr am 2l. auf 31 Grad, in Berlin am
22. auf 33,5 Grad C.) kamcn Darmkatarrhc und Brech-
durchfälle der Kinder in grojzcr Zahl zum Vorschein und
verliefcn häufiger tödtlich, obwohl die Zahl dcrsclben in den
meistcn Grotzstädten noch wcit hinter dcr dcr cntsprechcndcn
Woche dcs Vorjahres blieb. Besondcrs zahlrcich warcn
dicsc Brechduichfüllc und Darmkatarrhe in Bcrlin, Brcslau,
München, DreSden, Köln, Elberseld, Düsseldorf, Aachcn,
Frankfurt a. M., Hannover, Stettin, Braunschweig, Magde-
burg, London, Paris, Odessa, St. Petersburg u. Ä., während
in Hamburg, Königsbcrg, Danzig, Brüssel, Warschau die
Zahl dcr durch sie bcdingtcn Sterbefälle etwas kleiner wurde.
Die Theilnnhme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit
war im Allgemeincn nur ivenig gesteigert. Von 10 000
Lebcnden starbcn, aufs Jahr berechnct, in Berlin 179, in
Münchcn 168 Säuglingc (in dcr entsprechenden Woche des
Vorjahres 236 beziv. 198). Erheblich seltencr ivurdcn da<
gegen akute Entzündüngen dcr Athmungsorgane Todesur-
sachcn, auch dcr Kcuchhusten verlicf vielfach gllnstigcr. Von
dcn Jnfektionskrankheiten führten die mcistcn dersclben we>
niger, Pocken etwas mehr Todesfälle hcrbei. — Masern
ricfcn in Berlin, Barmen, Stcttin, Amstcrdam, Paris, St.
Petersburg etwas mehr, in Hamburg, Nürnberg, Elberfcld,
Straßburg, London, Prag, Pest ivenigcr Sterbefällc hervor;
Ncucrkrankungcn wurden aber aus dcn Regierungsbczirken
Düsseldorf, Stettin in größerer, aus Maricnwerder in ge-
ringcrcr Zahl gemeldet. — Scharlach hat in Bcrlin, Hamburg,
Pest, Paris, Straßburg und London wenig, in Warschau
mchr Todesfällc veranlaßt. — Die Sterblichkeit an Diph-
therie und Kroup war in Bcrlin, Hamburg, Dresden, Leipzig,
Altona, Elbcrfeld, Ainstcrdam, London, Pest, St. Pcters-
burg, Warschau, Stockholm u. A. eine kleinere, dagegen in
Breslau, Münchcn, Hannovcr, Stettin, Kassel, Paris eine
größcre, in Magdcburg und Christiania die gleiche wie in
dcr Vorwoche.

— Die Bestrebm'gen der Gewerbetreibenden
betreffend die Zuziehung von Sachverstän-
digen bei staatlichen Verdingungen haben
doch eineu gemisien Erfolg gezeitigt. Zwar hatte
der Minister der öffentlichen Arbeitcn auf die Be-
richte der Provinzialbehördcn erklärt, daß den init
der Leitung dcs Verdingimgsvcrfahrens betrauten
B eh örden und Beamten sowohl die Ent-
scheidung darübcr, in welchen Fällen übcrhaupt
die Zuziehung von Privatsachverständigen, bezw.
Sachvcrständigcn-Kommissionen angemesseu erscheine,
als auch die Auswahl der hierfür geeigncten Per-
sönlichkeiten übcrlasieu bleibe, er hat aber, um den
auS den Kreisen der Gewcrbetrcibenden kundgegc-
bcnen bezüglichcn Wünschcn thunlichst entgcgen zu
kommen und die Vcrwaltung zugleich gegcn Miß-
deutllngcn bczüglich der Auswahl dcr Sachverstän-
digen sicher zu stellen, der „Nordd. Allg. Ztg."
zufolge angcordnet, daß, soweit nicht die Beamten
der Verwaltung selbst nicht mit ansreichenden Fach-
kenntnissen ausgeiüstet seien und auch sonst unpar-
teiisch, iu ihrem Fach als tüchtig anerkannte Per-
sönlichkeiten nicht bereits zur Verfügung ständcn,
wegen Namhaftmachung von Sachverständigen zu-
vörderst oie Vorstände der auf Grund des Unfall-
versichcrungsqesetzes vom 6. Juli 1884 gcbildeten
Berufsgenosicnschaften angegangen und, falls gegen
die in Vorschlag gcbrachten Persönlichkciten vom
Standpunkte der Vcrwaltung Bedenken nicht vor-
lägen, dieselben zur zweckentsprechenden Mitwirkung
herangezogen werden sollen. Der Minister behält
sich vor, über die praktische Bewährung dieser Maß-
nahmc seinerzeit Bericht zu erfordern. DeSgleichen
hat der Minister des Jnnern bestimmt, daß in Ge-
mäßheit dieser Vorschriften auch bei den im Ver-
waltungsbereich des MinisteriumS des Jnnern vor-
kommcnden Verdingungen verfahren werden soll.
Hoffentlich wird der Gebrauch dieser Ministerial-
verfügungen den Nutzen aus dcr Verwendung von
Sachverständigen so überzeugend nachweisen, daß die
Einrichtung günzlich verallgemeinert werdcn kann.
Denn sie alleiff erscheint geeignet, eine allen berech-
tigteu Anfordcrungen entsprechende sachkundige und
unparteiische Handhabung bei der Vergebung und
Ausführung von Leistungen und Licferungeu zu
sichern.

Aus der Provinz und den benachbarten
Landestheilen.

Bad Schwalbach, 2. August. Christiue
Nilsson ist heute zu längerem Kurgebrauche hier
eingetroffen und hat wieder im „Ritter" Wohnung
genommen.

Münde», 4. August. Jn Reileifzen an
der Wcser hat sich dieser Tage cine junge Frau
erhäugt. Der Mann hatte einen Prozeß verloren,
was die Frau sich so zu Gemüthe zog, daß sie alle
Freude am Leben verlor. Sie war schon einmal
in dic Wcscr gesprungcn, aber durch cinen Zuschaucr
gerettet worden.

Hannover, 4. August. Nächsten Sonntag,
8. d. M., Nachmittags 3Vs Uhr ist großcs
Rennen auf dcr Kleineu Bult. Es finden 4
Offizier-Nennen und 6 Unterofsizier-Reiten statt.

Vermischte Nachrichten.

Berlin, 8. Aug. Ein hartnäckiger Selbst-
mörder erregte gestern Abend in der Gegend dcr
Weidcndammer Brücke und an den benachten Straßen
einen erhcblichen Auflauf. Kurz nach ^/s7 Uhr
sprang ein anscheinend den besiern Stünden ange-

höriger junger Mann in voller Kleidung und ange-
sichts der zahlreichen Vorübergehcndcn von der
Höhe der Brücke über das Geländer ins Wasier.
Das nasie Elemcnt mußte indesieu scincn Lebens-
mut wieder einigcrmaßeu anfachcn, dcun kaum daß
er wieöer auf der Oberfläche zum Vorschein kam,
begann er mit kräftigen Stößen auf einen der dort
liegenden Sprcekähne los zu schwtinmen. Ein dort
beschäftigten Schiffer hielt dem Lebensmüden einen
Bootshaken hin, doch verschmähte der Schwimmer,
nach demselben zu greifen, sodaß nunmehr der Schiffer
sclber mit dem Haken zufaßte und durch einen
glücklichen Griff deu mit den Wellen Ringenden an
das Schiff heranzog. Unterdcsien warcn einige
Männer herbeigeeilt, welche sich bemühten, den
Todcscandidaten aufs Trockene zu ziehen. Es
entspann sich cin heftiger Kampf zwischen dem
letzeren und seinen Rettern, und nach verzweifclten
Anstrengungen van beiden Seiten gclang es dcnselben
zu bergen. Er gebärdcte sich wie ein Rasender;
man band ihm mit Taschentüchern die Beine
zusammen und zerrte ihn gewaltsam aufs
Ufer. Hier kostete es von neucm die größten
Anstrengungen, um ihu in eine Droschke
zu verladen. Zwei oder dr i seiner Retter
stiegen mit ein, und nun ging eS unter bestündigem
Toben und Schlagen des Geretteten, dem übrigcns
die Begleiter gcrade auch nicht sanft begegneten,
und unter Zulauf einer unabsehbaren Menschen-
mengc nach dcm Polizcibureau. Blutüberströmt
langte er daselbst an, wo sich herausstellte, daß
man es mit ciuem Studenten, der im Examen Un-
glück gehabt haben soll, zu thun hatte.

— Die Eisenbahnunglücke nehmen
auf den kleinen Bahnen einen harmloseren Charakter
an. Da löste sich vorige Woche beispielsmeise der
Wagen vierter Klasse auf der Linie Ruhla-Wutha
los, blieb ruhig auf der Strecke bei Thal stchcn,
währcnd die übrigen Wagcn ihren Wcg nach Wutha
ruhig sortsetzten und dort sicher ankamen.

— Man schreibt der Wiener „Allg. Ztg." aus
München: „Für die durch Piloty's Tod erledigte
Stelle cines Direktors der Kunstakademic ncnnt man
bereits in Fachkreisen mehrere Kandidaten. Während
nämlich ein großcr Theil der Künstler eS als fest-
stehend betrachtet, daß Professor Lindenschmidt zum
Nachfolger Piloty's ausersehen sei, bezeichnen Andere
deu Profesior Defregger für diesen Posten. Jn
dem Hofe nahestehenden Kreisen wird aber uoch
eine dritte Person genannt, nämlich Erzgießer
Fcrdinand v. Miller jun. Die Entscheidung soll
in der nüchsten Zeit schon getroffen werden."

— Der Zustand dcs DichterS Kraszewski
hatte, wie der „Czas" meldet, sich währcnd desien
Verweilen in Schinznach in der Schweiz ver-
schlimmert, weshalb eine Uebersiedelung nach
NapperSmill erfolgte.

Stockholm, 30. Juli. Dem Ministerium dcS
Jnnern ist in voriger Woche eine von Paris aus-
gehende Eingabe zugegangen, in welcher um die
Erlaubniß gebeten wird, die für einen uuter-
seeischen Tunnel zwischen Limhamm und Amager
(Malmö und Kopenhagen) auf schwedischem Grund
erforderlichen Untersuchungen anstellen zu dürfen.
Däs Ersuchen wird, wie man der „K. Z." schreibt,
von cinigen in der französischen Finanzwelt be-
kannten Anstalten, der „Uangue muritims", dem
„Oomptoir ck's^oompto" rc., untcrstützt. Das
Ministerium des Jnnern hat sich an das Ministe-
rium des Auswärtigen gewandt, um durch desien
Vermittlung die nöthige amtliche AuSkunft über die
Stellung der Bewcrber zu erhalten, und sobald die-
selbe ergangen ist, dürften die Untersuchungcn sofort
ihren fllnfang nehmen. Nimmt man zum Aus-
gangspunkt den Gotthardt-Tunnel, welcher den
Fuß 800 Fr. kostet, dann würde der Oeresund-
Tunnel auf etwa 54 Millionen zu stehen kommen.
Es wird jedoch beabsichtigt, den innern Zylinder
nicht aus Mauerwerk, sondern aus Gußeiscn her-
zustellen und nur ein Geleise anzulegen, und hier-
durch glaubt man die Herstellungskosten auf 30
Millionen Franken verringern zu können. Der
Gotthard-Tunnel ist fast 15,000 Meter lang und
dcr Oeresund - Tunnel würde 18 Kilometer lang
werden, doch könnte er untermegs viclleicht bei
Saltholm (Jnsel im Oeresund) an der Oberfläche
treten. Dem jetzt vorlicgenden Plane nach rvird
dics allerdings nicht beabsichtigt, vielmchr gedenkt
man auf Saltholm große Luftpumpwerke zu^ er-
richten. Die zu durchbohrende Erdschicht besteht
auS Kalk, und dieseS Kalklager hat nirgcnds cine
geringcre Tiefe als 600 Fuß. Selbstverständlich
sind zwischen Malmö und Limhamm gleichwie von
dem dünischeu Endpunkte des Tunnels (Amager)
nach Kopenhagen Eisenbahnen anzulegen. Der Bau
des Tunnels dürfte einen Zeitraum vsn zwei bis
drei Jahren erfordern. Zehn Millionen Franken
sollen bereitS für die Sache verfügbar sein.

— Als Kuriosum wird vou dcmDorfeNuch
bei Nastütten erwähnt, daß in den lctzten 17
naten keine Geburten mehr auf dem Standesamte
daselbst zu verzeichnen waren. Das Dorf zählt
übcr 600 Einwohner.

— Eine Fahrt im Luftballon über den
Kanal la Manche haben jüngst die französischeu
Luftschiffer M. I. Mangot und F. Lhoste imtcr-
nommcn. Jhr Ballon „Torpilleur" ist mit Segel
und mit einer Schraube versehen. Die Abreise
von Cherbourg erfolgte am 29. Juli um llVs
Uhr Nachts, man stieg nur bis 40 Meter Höhe
empnr, in welcher man bis zur Dümmerung ver-
blieb. Um lU/s Uhr Morgens senkten sich die
Luftschiffer mittels der Schraube bis auf cinige
Meter über den Wellcn herab, warfen ihre
Schwimmbremse auS und ließen sodann den Ballon
soweit steigen, alö die Leitleine eS gestattetc. Nun
war es möglich, genau die cinzuschlagende Direktion
zu bestimmen und darnach das Segel zu stellen.
AlS gegen 4 Uhr unter der Wirkung der Wärme
sich der Ballon zu dehnen begann, so daß ein
Steigen crfolgen mußte, wurde ein Gefäß, das
ungeführ 20 Liter faßt, ins Mecr herabgelasicn
und, mit Wasier gefüllt, wieder in den Ballon ge-
zogen. Jn der Nähe der Küste wurde die Schwimm-
bremse geleert und aufgezogen, um sie nicht an den
Felsen zu zcrschmettcrn. Um 4 Uhr überschrittcn
die Luftschiffer in einer Höhe von 1000 Metern
 
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