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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0026
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Frankfurt vor der Revolution

infolge Kaufs zu der Stadt im Eigentumsverhältnis stehendes
fremdes Volk, keilte tolerierte Religionsgesellschaft — zeigt sich
noch iit der Bestimmung, daß bei Verlöbnis- und Scheidungssachen,
also wenn Zeremonialeinrichtungen in Betracht kommen, das
Stadtgericht nach mosaischem Recht zu entscheiden hatte. Das vierte
Buch Mosis blieb also ein in beschränktem Maß anerkannter Zivil-
koder Fremder.
Der Hauptinhalt des Gesetzes von 1824 ist folgender: Die
neuen „israelitischen Bürger" sind nicht aktiv, also nicht regierungs-
fähig — darauf hatten sie am leichtesten verzichtet.
Nur fünfzehn israelitische Eheschließungen sind jährlich gestattet
— der Zweck, die Vermehrung der Juden zu hindern, ist deutlich.
Der Handel ist den Israeliten erlaubt mit allen Gegenständen,
ausgenommen Brennholz, Frucht, Fourage und Mehl. Der Spe-
ditions- und Kommissionshandel wurde nach hartnäckigem Wider-
streben den Juden zugestanden. Die finanzielle Beherrschung und
Ausbeutung der Landbevölkerung sowie Preistreibereien bei not-
wendigen Konsumtionsmitteln sollten so verhindert werden.
Das nach Ablauf von zehn Jahren in Kraft tretende Verbot
der Aufnahme christlicher Arbeiter in jüdische Fabriken zielte ebenso
wie die Bestimmung, daß jüdische Handwerksmeister nur mit jü-
dischen Gehilfen arbeiten sollten, darauf hin, die Ausnützung von
Christen durch jüdische Arbeitgeber unmöglich zu machen. Dadurch
daß jeder jüdische Familienvater in der Stadt nur je ein Haus
besitzen, nur eine Wohnung mieten durfte, entzog man schließlich
den Besitz des Grundes und Bodens der jüdischen Spekulation.
Börnes Wort Hatte recht: „Ihr haßt die Juden nicht, weil sie
es verdienen, sondern weil sie verdienen."
Die Juden wurden wirtschaftlich gefürchtet und deshalb von
den politisch mächtigeren Gegnern wirtschaftlich und politisch
lahmgelegt, solange es in ihrer Macht stand, in offener Nichtachtung
der Emanzipationsideen der Zeit.
Diese Knebelung entsprach durchaus den damals in der christ-
lichen Bürgerschaft herrschenden Ansichten und Stimmungen. Tie
feingebildeten Republikaner ließen wenige Jahre nach 1815 eine
regelrechte Judenhetze zu — in jenen nicht sehr rühmlichen Tagen
ertönte zuerst das Hetzwort: Hepp, Hepp ! durch die Straßen. Deutsch-
tümelei und Roheit waren verbündet. Und es war möglich, daß
sich ein dankbares Theaterpublikum an der Posse: „Jakobs Kriegs-
taten und Hochzeit" amüsierte — „einer Farce, in der das verkehrte
Streben nach ästhetischer Kultur, die Genußsucht und die Furcht-
 
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