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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0029
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Beisassen, Permissionisten und Landbewohner

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Die steinernen Mauern der reichsstädtischen Befestigung waren
in der Rheinbuudszeit niedergelegt worden — die Stadt konnte
sich srei ins weite Gartenland ringsum dehneu und strecken.
Mauern anderer Art, so sehen wir, standen noch und zwängten
ein. Hier war die „freie" Stadt gar nicht frei und die Klage
Hatte recht, daß es in Frankfurt Freiheiten und keine Freiheit, Ge-
rechtigkeiten und keine Gerechtigkeit gäbe.
Besonders galt dies noch sür die Verhältnisse der Landbewohner.
Nichts ist bezeichnender für die Macht des städtischen, für die Schwach-
heit des staatlichen Elementes, also sür den Triumph der Tradition
über die Theorie, als die uneingeschränkte Herrschaftsstellung, die
die Stadt ihrem Laudgebiet gegenüber einnahm. Die Gesetz-
gebung der großherzoglichen Zeit hatte theoretisch keinen Unter-
schied zwischen Stadt und Land anerkennen wollen, getreu den
als Vorbild dienenden französischen Rechtsverhältnissen. Die an
ihre alte Rechtsordnung gewöhnte deutsche Bevölkerung konnte
sich aber gar nicht in die Funktionen der von Dalberg eingesetzten
modernen „Maires" finden — schließlich mußten die nach Her-
gebrachter Art gewählten Bürgermeister jenen zur Seite treten;
die Beamtenreform war also in diesem Punkte illusorisch ge-
wesen^). Die freie Stadt schloß nun die Landbewohner „von der
Teilnahme an der Staatsgewalt, der Handhabung der Staatshoheit"
aus. 1818 wurde, was schon von Dalberg in Angriss genommen
war, die Leibeigenschaft aufgehoben — wobei nun die Gebühren
für Leib- und Rauchhühner, für Besthaupt und Manumissiou weg-
fielen. Erst 1825 wurden die hergebrachten Landabgaben —
Vermögenssteuer, Herdschilling, Kontribution, Servis, Atzung, Weih-
uachtsbraten — durch Grund-, Gefall-, Gebäude- uud Klassensteuer
ersetzt: eine schwere Belastung im Vergleich zur Einkommensteuer
der städtischen Einwohner. Bis 1824 wurden die Landbewohner
„den Minderjährigen gleichgeachtet", das heißt, die gesamte
innere Verwaltung wurde durch das städtische „Landamt" erledigt;
— seitdem regelte eine Gemeindeordnung ihre vom Senate kon-
trollierte Selbstverwaltung. In der Zivilrechtspflege der Land-
gemeinden galt die Stadtreformation, dann das Solmser Landrecht
— - doch es wurde ausdrücklich immer wieder betont, daß das „erbar
alt Herkommen" beachtet werden sollte.
So bleibt überall das Alte ruhig und unerschüttert stehen,
gewonnen, um sie mit denen der Reihe ^ vergleichbar zu machen. Für die
Vermehrung der Bevölkerung im Gesamtzeitranm verweise ich auf später.
') Darmstädter a. a. O. S. 128 f.,
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