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Frankfurt vor der Revolution
und Mißtrauens vorschrieb, so konnte es kein geeigneteres Feld
für die diplomatische Kunst des Rivalisierens, des Aufwandes, der
Intrige geben. Welche angenehme Form das annehmen konnte,
zeigt das Beispiel des würdigen Vertreters von Bremen, Johann
Smidt, der den Präsidialgesandten durch den alten Rheinwein
des heimischen Ratskellers zu fesseln wußte und den Kollegen in
der hohen Versammlung durch Alandwein und Seefahrtsbier „die
Bremer Nationalindustrie aä 8tomaobnm demonstrierte'").
Die Geschäfte des Bundestages kamen bald aus einem Zu-
stand der angenehmen Schwerfälligkeit nicht mehr heraus, das
Wartei: auf Instruktionen fing an als eine der Haupttätigkeiten
staatsmännischer Kunst zu gelten, und so blieb den Gesandten
für eii: heiteres Grandseigneurleben mit Ausfahrten, Diners und
Bällen genug Zeit übrig. Geistig regsamere Elemente und Freunde
der liberalen Zeitströmungen gab es wohl im Anfang unter ihnen:
der ehrliche kluge Wesseilberg, der treue Reichspatriot Hans von
Gagern, der vielgeschäftige Freiherr von Wangenheim — sie bil-
deten als die bedeutendsten Vertreter der Kleinstaaten eine Art
Jakobinerpartei, die einen geistigen Führer bezeichnenderweise in
dem französischen Gesandten Grafen Reinhard fandest Dieser, ein
bürgerlich geborener Württemberger, der Korrespondent Goethes,
fühlte fich gar nicht wohl bei der Oberflächlichkeit der Mehrheit des
Bundestagsgesandtei:. Aus der „Nichtigkeit der Assembleen", in
denen außer dem Spiel nicht viel andere Unterhaltung bekannt war,
flüchtete er sich hinweg in den kleinen heiteren, literarisch an-
geregten Kreis der Landsleute aus den deutschen Mittelstaaten.
Überhaupt war das Haus des kunstbegeisterten Deutsch-Franzosen,
der sich in eigener dichterischer Produktion und in geschmackvoll
ausgesuchten Übersetzungen gefiel, eine Pflegstätte für „schön-
geistige Allotria". Ein Brief seines Sohnes, der dem Vater
attachiert war, an den Kanzler Müller in Weimar erzählt von Ge-
sandtschaftsgeschäften nichts, aber viel von dem „schnell und an-
genehm" dahingegangenen Winter; da hatte sich ein Zirkel aus
den Familien Trott, Lerchenfeld, Adlerflycht, Günderode und den
jungen Herren der Gesandtschaft und Militärkommission gebildet,
in den: Goethes, Schillers und Lessings Meisterwerke mit ver-
teilten Rollen gelesen wurden.
So half man sich über die Langeweile, die Kleinlichkeiten, die
Ü Johann Smidt, Bremisches Gedenkbuch, 1875, S. 92.
2) Vergleiche Wilhelm Lang, Aus Karl Friedrich Reinhards Leben.
Deutsche Rundschau, Band 84.
Frankfurt vor der Revolution
und Mißtrauens vorschrieb, so konnte es kein geeigneteres Feld
für die diplomatische Kunst des Rivalisierens, des Aufwandes, der
Intrige geben. Welche angenehme Form das annehmen konnte,
zeigt das Beispiel des würdigen Vertreters von Bremen, Johann
Smidt, der den Präsidialgesandten durch den alten Rheinwein
des heimischen Ratskellers zu fesseln wußte und den Kollegen in
der hohen Versammlung durch Alandwein und Seefahrtsbier „die
Bremer Nationalindustrie aä 8tomaobnm demonstrierte'").
Die Geschäfte des Bundestages kamen bald aus einem Zu-
stand der angenehmen Schwerfälligkeit nicht mehr heraus, das
Wartei: auf Instruktionen fing an als eine der Haupttätigkeiten
staatsmännischer Kunst zu gelten, und so blieb den Gesandten
für eii: heiteres Grandseigneurleben mit Ausfahrten, Diners und
Bällen genug Zeit übrig. Geistig regsamere Elemente und Freunde
der liberalen Zeitströmungen gab es wohl im Anfang unter ihnen:
der ehrliche kluge Wesseilberg, der treue Reichspatriot Hans von
Gagern, der vielgeschäftige Freiherr von Wangenheim — sie bil-
deten als die bedeutendsten Vertreter der Kleinstaaten eine Art
Jakobinerpartei, die einen geistigen Führer bezeichnenderweise in
dem französischen Gesandten Grafen Reinhard fandest Dieser, ein
bürgerlich geborener Württemberger, der Korrespondent Goethes,
fühlte fich gar nicht wohl bei der Oberflächlichkeit der Mehrheit des
Bundestagsgesandtei:. Aus der „Nichtigkeit der Assembleen", in
denen außer dem Spiel nicht viel andere Unterhaltung bekannt war,
flüchtete er sich hinweg in den kleinen heiteren, literarisch an-
geregten Kreis der Landsleute aus den deutschen Mittelstaaten.
Überhaupt war das Haus des kunstbegeisterten Deutsch-Franzosen,
der sich in eigener dichterischer Produktion und in geschmackvoll
ausgesuchten Übersetzungen gefiel, eine Pflegstätte für „schön-
geistige Allotria". Ein Brief seines Sohnes, der dem Vater
attachiert war, an den Kanzler Müller in Weimar erzählt von Ge-
sandtschaftsgeschäften nichts, aber viel von dem „schnell und an-
genehm" dahingegangenen Winter; da hatte sich ein Zirkel aus
den Familien Trott, Lerchenfeld, Adlerflycht, Günderode und den
jungen Herren der Gesandtschaft und Militärkommission gebildet,
in den: Goethes, Schillers und Lessings Meisterwerke mit ver-
teilten Rollen gelesen wurden.
So half man sich über die Langeweile, die Kleinlichkeiten, die
Ü Johann Smidt, Bremisches Gedenkbuch, 1875, S. 92.
2) Vergleiche Wilhelm Lang, Aus Karl Friedrich Reinhards Leben.
Deutsche Rundschau, Band 84.