Das Frankfurter „Weltgetümmel"
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russische Reichskanzler, sowie die Offiziere der Militärkommission.
Da gab es eine lebendige, vielseitige Unterhaltung, die nicht immer
gerade erbaulich war, wie der alte Mohl meint*).
Für manche frühere Größe war Frankfurt als Sitz des Bundes-
tags ein anziehender Aufenthaltsort. Da konnte man Fühlung
behalten, das Neueste hören, sich in Erinnerung bringen. So lebte
hier als ein stiller Vertreter der Welt des anoisn re^imo König
Gustav IV. von Schweden — aber ganz zurückgezogen und resig-
niert als Oberst Gustavsohn. Fühlbarer und wichtiger war das
Daseiil eines Gesandten Napoleons Volk St. Helena — wenn man
diese Bezeichnung gebrauchen darf — des Grafen Las Cases, der,
von der Insel (1818) zurückgekehrt, „nach mancherlei Kreuz- und
Querfahrten in Frankfurt auf längere Zeit Ruhe fand"?). Da wirkte
der verschlagene Intrigant bei offiziellen und inoffiziellen Personen
im Interesse seines Kaisers und schrieb die berühmte Verteidigungs-
schrift iVIsmorial äs St. llslöns (1833). — Auch der bitterste Feind
Napoleons war nicht weit von Frankfurt. Bon seinem Stammsitz
zu Nassau kam der Freiherr von Stein oft in die Stadt. In der
Frankfurter eleganten Welt konnte er sich aber nicht wohl fühlen,
er suchte andere Kreise?). Für die umliegenden kleinen Höfe in
Homburg, Wiesbaden, Darmstadt war Frankfurt die Stadt der
Einkäufe und des Vergnügens. Dafür fuhren dann Gesandte und
Patrizier in die Bergstraße oder in den Taunus, nach Homburg
besonders, seitdem die Spielhölle da lockte.
Es war demnach natürlich, daß von vielen Diplomaten eine
wirklich fruchtbare Tätigkeit in Frankfurt vermißt wurde. So er-
klärte Nagler, der Geueralpostmeister und preußische Bundestags-
gesandte (1824—1835), in einem Briefe*): „Ich bin froh, dem kleinen
Weltgetümmel entlaufen zu sein", und auch Graf Münch-Belling-
hausen Hatte nach Naglers Zeugnis seine lange geführte Präsi-
dentenschaft schließlich satt. Es war eben ein glänzendes, ermüdendes
Einerlei. Für einen so außergewöhnlichen Menschen wie Joseph
von RadowitzZ wurde die Stadt allerdiugs zu seiner „dritten Hei-
mat". Er verkehrte eifrig mit den Frankfurter Patriziern, besuchte
') Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 123.
2) Holzhausen, Heine und Napoleon S. 35.
^ Pertz, Stein V, 701.
*) Nagler an Kelchner I, S. 250.
°) Er war 1836—1848 preußischer Bevollmächtigter bei der Bundesmilitär-
konimission. Siehe hierzu die Selbstbiographie von Radowitz und die Darstellung
Hassels in dessen Buche: „Radowitz", Band I.
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russische Reichskanzler, sowie die Offiziere der Militärkommission.
Da gab es eine lebendige, vielseitige Unterhaltung, die nicht immer
gerade erbaulich war, wie der alte Mohl meint*).
Für manche frühere Größe war Frankfurt als Sitz des Bundes-
tags ein anziehender Aufenthaltsort. Da konnte man Fühlung
behalten, das Neueste hören, sich in Erinnerung bringen. So lebte
hier als ein stiller Vertreter der Welt des anoisn re^imo König
Gustav IV. von Schweden — aber ganz zurückgezogen und resig-
niert als Oberst Gustavsohn. Fühlbarer und wichtiger war das
Daseiil eines Gesandten Napoleons Volk St. Helena — wenn man
diese Bezeichnung gebrauchen darf — des Grafen Las Cases, der,
von der Insel (1818) zurückgekehrt, „nach mancherlei Kreuz- und
Querfahrten in Frankfurt auf längere Zeit Ruhe fand"?). Da wirkte
der verschlagene Intrigant bei offiziellen und inoffiziellen Personen
im Interesse seines Kaisers und schrieb die berühmte Verteidigungs-
schrift iVIsmorial äs St. llslöns (1833). — Auch der bitterste Feind
Napoleons war nicht weit von Frankfurt. Bon seinem Stammsitz
zu Nassau kam der Freiherr von Stein oft in die Stadt. In der
Frankfurter eleganten Welt konnte er sich aber nicht wohl fühlen,
er suchte andere Kreise?). Für die umliegenden kleinen Höfe in
Homburg, Wiesbaden, Darmstadt war Frankfurt die Stadt der
Einkäufe und des Vergnügens. Dafür fuhren dann Gesandte und
Patrizier in die Bergstraße oder in den Taunus, nach Homburg
besonders, seitdem die Spielhölle da lockte.
Es war demnach natürlich, daß von vielen Diplomaten eine
wirklich fruchtbare Tätigkeit in Frankfurt vermißt wurde. So er-
klärte Nagler, der Geueralpostmeister und preußische Bundestags-
gesandte (1824—1835), in einem Briefe*): „Ich bin froh, dem kleinen
Weltgetümmel entlaufen zu sein", und auch Graf Münch-Belling-
hausen Hatte nach Naglers Zeugnis seine lange geführte Präsi-
dentenschaft schließlich satt. Es war eben ein glänzendes, ermüdendes
Einerlei. Für einen so außergewöhnlichen Menschen wie Joseph
von RadowitzZ wurde die Stadt allerdiugs zu seiner „dritten Hei-
mat". Er verkehrte eifrig mit den Frankfurter Patriziern, besuchte
') Mohl, Lebenserinnerungen I, S. 123.
2) Holzhausen, Heine und Napoleon S. 35.
^ Pertz, Stein V, 701.
*) Nagler an Kelchner I, S. 250.
°) Er war 1836—1848 preußischer Bevollmächtigter bei der Bundesmilitär-
konimission. Siehe hierzu die Selbstbiographie von Radowitz und die Darstellung
Hassels in dessen Buche: „Radowitz", Band I.