30
Frankfurt vor der Revolution
Sebastian de Neufville, der sein nicht unbedeutendes Jahresgehalt
sowohl als Senator wie als Schöffe alljährlich unter die Armen
verteilen ließ, so war das eben eine bemerkenswerte Seltenheit.
Mehr und mehr trat die trockene, nüchterne, pflichttreue städtische
Berwaltungsarbeit im Seuat in den Vordergrund, das glänzendere
Bild des Bundestages ließ ihn verblassen, es ernüchterte und
machte ost ängstlich. Der Senat begann sich jetzt weniger aus der
Hautevolee, mehr aus der mittleren wohlhabenden Bürgerschaft
zu rekrutieren. Der letzte, der, der obersten Schicht angehörend,
doch ganz Bürger von Frankfurt blieb, der allerdings der erste
Bürger war, und den Zeitgenossen vielleicht beinahe als unge-
krönter König der Stadt erschien, war Simon Moritz von Beth-
mann (1768—1826), der Inhaber des 1748 gegründeten Bankhauses*).
In seiner Villa vor dem Tore der Stadt verbrachte Napoleon die
letzte Nacht auf deutschem Bodeu, iu seinem Stadthaus, dem präch-
tigen Baseler Hof, gab er dem Hauptquartier im Winter 1814
ein glänzendes Ballfest. Kaiser Alexander, dessen Generalkonsul
er war, sah er als Gast auf seiuer Besitzung am Walde, der Louisa.
Weuu er jeden Herbst auf dem Sandhof den seinem Hause „atta-
chierten" Handwerkern ein Fest gab, so war eigentlich die ganze
Stadt geladen. Er hat sie nie mitregiert und war doch geistiger
Leiter ihres Geschickes Jahre hindurch. In Paris, in Wien hat er
für sie gesprochen und gewirkt, im Schul- und Bildungswesen hat
er zur großherzoglichen Zeit uud nach Wiederherstellung ihrer
Freiheit die entscheidenden Anstöße gegeben — still, fest, frei, ein
Herr des. Reichtums, ein königlicher Bürger. Die neugebildete
obere Schicht in der Stadt, beweglich, weltbürgerlich, flüchtig wie
sie war, hat seine Art nicht mit fortgerissen oder zerstört. Nach
seinem Tode wurde aber diese Strömuug die an erster Stelle
maßgebende. Der Senat, nunmehr Repräsentant des mittleren
wohlhabenden Bürgertums, trat etwas zurück uud führte ein
weniger glänzendes lokales Sonderleben. Alles das hat sich all-
mählich umgeschichtet, die Grenzen blieben fließend, aber die innere
Umgestaltung hat sich vollzogen. Darin, und in den Momenten,
die sich weiterhin daraus ergeben werden, lag die tiefste und eigentlich
einschneidende Einwirkung des Bundestages auf das Leben der
Stadt.
Im ganzen suchte die bürgerliche Geselligkeit, die sich in die
0 Vergleiche für das folgende: Pallmann, Simon Moritz v. B. und
seine Vorfahren (als Manuskript gedruckt) und den Artikel in der Allgemeinen
Deutschen Biographie von Stricker.
Frankfurt vor der Revolution
Sebastian de Neufville, der sein nicht unbedeutendes Jahresgehalt
sowohl als Senator wie als Schöffe alljährlich unter die Armen
verteilen ließ, so war das eben eine bemerkenswerte Seltenheit.
Mehr und mehr trat die trockene, nüchterne, pflichttreue städtische
Berwaltungsarbeit im Seuat in den Vordergrund, das glänzendere
Bild des Bundestages ließ ihn verblassen, es ernüchterte und
machte ost ängstlich. Der Senat begann sich jetzt weniger aus der
Hautevolee, mehr aus der mittleren wohlhabenden Bürgerschaft
zu rekrutieren. Der letzte, der, der obersten Schicht angehörend,
doch ganz Bürger von Frankfurt blieb, der allerdings der erste
Bürger war, und den Zeitgenossen vielleicht beinahe als unge-
krönter König der Stadt erschien, war Simon Moritz von Beth-
mann (1768—1826), der Inhaber des 1748 gegründeten Bankhauses*).
In seiner Villa vor dem Tore der Stadt verbrachte Napoleon die
letzte Nacht auf deutschem Bodeu, iu seinem Stadthaus, dem präch-
tigen Baseler Hof, gab er dem Hauptquartier im Winter 1814
ein glänzendes Ballfest. Kaiser Alexander, dessen Generalkonsul
er war, sah er als Gast auf seiuer Besitzung am Walde, der Louisa.
Weuu er jeden Herbst auf dem Sandhof den seinem Hause „atta-
chierten" Handwerkern ein Fest gab, so war eigentlich die ganze
Stadt geladen. Er hat sie nie mitregiert und war doch geistiger
Leiter ihres Geschickes Jahre hindurch. In Paris, in Wien hat er
für sie gesprochen und gewirkt, im Schul- und Bildungswesen hat
er zur großherzoglichen Zeit uud nach Wiederherstellung ihrer
Freiheit die entscheidenden Anstöße gegeben — still, fest, frei, ein
Herr des. Reichtums, ein königlicher Bürger. Die neugebildete
obere Schicht in der Stadt, beweglich, weltbürgerlich, flüchtig wie
sie war, hat seine Art nicht mit fortgerissen oder zerstört. Nach
seinem Tode wurde aber diese Strömuug die an erster Stelle
maßgebende. Der Senat, nunmehr Repräsentant des mittleren
wohlhabenden Bürgertums, trat etwas zurück uud führte ein
weniger glänzendes lokales Sonderleben. Alles das hat sich all-
mählich umgeschichtet, die Grenzen blieben fließend, aber die innere
Umgestaltung hat sich vollzogen. Darin, und in den Momenten,
die sich weiterhin daraus ergeben werden, lag die tiefste und eigentlich
einschneidende Einwirkung des Bundestages auf das Leben der
Stadt.
Im ganzen suchte die bürgerliche Geselligkeit, die sich in die
0 Vergleiche für das folgende: Pallmann, Simon Moritz v. B. und
seine Vorfahren (als Manuskript gedruckt) und den Artikel in der Allgemeinen
Deutschen Biographie von Stricker.