44
Frankfurt vor der Revolution
14. Freihaltung Voll Zerrbildern 1843.
15. Kurhessische Zustände von Hans Heiling 1846.
In seinen „Denkwürdigkeiten d er Frankfurter Zensur"^ hat Börne
mit eiskaltem Sarkasmus die Kleinheit seines verachteten Gegners
grausam gezeigt. Es war die kleinste Seite in den kleinen Re-
gierungsverhältnissen der „Freien" Stadt. Gegnern wurde es nicht
schwer, hier Engherzigkeit und Spießbürgerlichkeit nicht nur zu
behaupten, sondern auch nachzuweisen. Kritik verwandelte sich so oft
in Schmähung, Darstellung in Karikatur. Wenn der Senat auf
seinem Gebiet dergleichen nicht duldete, so bereitete diesen Ten-
denzen die „freundnachbarliche" Gesinnung der umliegenden
größeren Kleinstaaten eine gern gegönnte Stätte. So erschien in
Offenbach Anfang der Dreißigerjahre eine „Zeitung", die vom
Skandal in Frankfurt lebte und die arme Stadt in beständigem
Alarm hielt. Der Redakteur, der ziemlich anrüchige und jedenfalls
völlig unzuverlässige Verfasser der unter dem Titel: „Vierzig Jahre
aus dem Leben eines Toten" erschienenen Erinnerungen, war schließ-
lich in Frankfurt so gefürchtet, daß man ihm dort schon von weitem
aus dem Wege ging, um ihn ja nicht etwas Hören zu lassen, was er
in seiner Zeitung dem allgemeinen Gelächter preisgeben könnte —
ein Verhältnis, in dem sich ebenso sehr der beschränkte Horizont
des Spießbürgertums, wie die Zuchtlosigkeit des damaligen Lite-
ratentums geringer Sorte darstellt.
Eine tiefere Dissonanz liegt aber doch in der billigen und harmlosen
Komik von solcherlei Konflikten verborgen. Wie gezeigt, wuchs in
der Stadt und mehr noch aus dem sie umwogenden Leben in Deutsch-
land eine neue geistige Macht heran, die einen breiten, unbegrenzten
Raum überspannte — etwas verschwommen-unbestimmt — etwas
haltlos, fremdartig, zerfahren, in allem ein Gegensatz zu dem
kleinen in der Eigenart eigensinnigen, oft grotesk geprägten Spieß-
bürgertum, in dessen Innerem es so winklig und dumpf, aber auch
so echt und reich an reizvoller Besonderheit aussah, wie in den schmal
gekrümmten Gassen, den Häusern mit hohem Giebel, vorspringen-
dem Stockwerk und altertümlich anheimelnden Namen, — wo es
hauste und emsig schaffte. — Diese neue geistige Macht verlangte
Freiheit von solch ehrwürdigen Formen und altem Brauch, weil
sie die Befreiung von verrostetem Zwang und verstaubter Last
ersehnte und brachte: es ist die Idee des Liberalismus. Es war
ein Element, dessen antilokale Seite besonders bedeutsam ist. Die
') „Wage" 1818.
Frankfurt vor der Revolution
14. Freihaltung Voll Zerrbildern 1843.
15. Kurhessische Zustände von Hans Heiling 1846.
In seinen „Denkwürdigkeiten d er Frankfurter Zensur"^ hat Börne
mit eiskaltem Sarkasmus die Kleinheit seines verachteten Gegners
grausam gezeigt. Es war die kleinste Seite in den kleinen Re-
gierungsverhältnissen der „Freien" Stadt. Gegnern wurde es nicht
schwer, hier Engherzigkeit und Spießbürgerlichkeit nicht nur zu
behaupten, sondern auch nachzuweisen. Kritik verwandelte sich so oft
in Schmähung, Darstellung in Karikatur. Wenn der Senat auf
seinem Gebiet dergleichen nicht duldete, so bereitete diesen Ten-
denzen die „freundnachbarliche" Gesinnung der umliegenden
größeren Kleinstaaten eine gern gegönnte Stätte. So erschien in
Offenbach Anfang der Dreißigerjahre eine „Zeitung", die vom
Skandal in Frankfurt lebte und die arme Stadt in beständigem
Alarm hielt. Der Redakteur, der ziemlich anrüchige und jedenfalls
völlig unzuverlässige Verfasser der unter dem Titel: „Vierzig Jahre
aus dem Leben eines Toten" erschienenen Erinnerungen, war schließ-
lich in Frankfurt so gefürchtet, daß man ihm dort schon von weitem
aus dem Wege ging, um ihn ja nicht etwas Hören zu lassen, was er
in seiner Zeitung dem allgemeinen Gelächter preisgeben könnte —
ein Verhältnis, in dem sich ebenso sehr der beschränkte Horizont
des Spießbürgertums, wie die Zuchtlosigkeit des damaligen Lite-
ratentums geringer Sorte darstellt.
Eine tiefere Dissonanz liegt aber doch in der billigen und harmlosen
Komik von solcherlei Konflikten verborgen. Wie gezeigt, wuchs in
der Stadt und mehr noch aus dem sie umwogenden Leben in Deutsch-
land eine neue geistige Macht heran, die einen breiten, unbegrenzten
Raum überspannte — etwas verschwommen-unbestimmt — etwas
haltlos, fremdartig, zerfahren, in allem ein Gegensatz zu dem
kleinen in der Eigenart eigensinnigen, oft grotesk geprägten Spieß-
bürgertum, in dessen Innerem es so winklig und dumpf, aber auch
so echt und reich an reizvoller Besonderheit aussah, wie in den schmal
gekrümmten Gassen, den Häusern mit hohem Giebel, vorspringen-
dem Stockwerk und altertümlich anheimelnden Namen, — wo es
hauste und emsig schaffte. — Diese neue geistige Macht verlangte
Freiheit von solch ehrwürdigen Formen und altem Brauch, weil
sie die Befreiung von verrostetem Zwang und verstaubter Last
ersehnte und brachte: es ist die Idee des Liberalismus. Es war
ein Element, dessen antilokale Seite besonders bedeutsam ist. Die
') „Wage" 1818.