Die Idee des Liberalismus. — Der Frankfurter Handel
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engen Grenzeit, die Verfassung und Gebietsumfang der freien
Stadt zogen, konnten nicht, wie wir sahen, das gesellschaftliche und
geistige Leben umspannen. Immer wird das kleine Gemeinwesen
in größere Zusammenhänge hineingestellt, es ist zu schwach, um
nicht mit fortgerissen zu werden — seine ehrwürdige Selbständig-
keit wird fortschreitend hinderlich, lächerlich, unmöglich, immer
mehr das Gegenteil von Freiheit. Die Dissonanzen klingen an —
wie sie sich verschärfen, werden wir Hören.
Wie dem Spießertum der Liberalismus, so steht wirtschaftlich
dem lokal beschränkten, in alte Form gepreßten Handwerk der
überlokale freie Handel von Frankfurt gegenüber — und es ist ein
langer vielverschlungener Prozeß, in dem, beständig so ineinander
verschmelzend und verwoben, daß scharfe Formeln die Feinheit
zerstören, die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Gegensätze in die geistig-
politischen hineinwachsen, sich an ihnen ausrichten, und die einen,
umgekehrt, durch die anderen neue einschneidende Momente des
Gegensatzes, des Kampfes gewinnen — bis zuletzt nicht mehr neben
dem aristokratischen freien Handelsherrn der demokratische zünf-
tige Handwerker wirkt, sondern dem liberalen Großkaufmann nnd
Fabrikanten der radikale Arbeiter gegenübersteht.
Wir haben vorhin bei der Betrachtung des geistigen Lebens
beobachten können, wie den auswärtigen Beurteilern die wirt-
schaftliche Tätigkeit in Frankfurt als die maßgebende - und alle
anderen Sphären durchdringende erschien. So viel Unrecht da-
mit den wenigen hervorragenden Persönlichkeiten geschah, so richtig
war so der Eindruck wiedergegeben, den das Leben der Stadt in
seiner Gesamtheit hervorrief. Der Handel War es, der die Größe
der Stadt begründet hat, der sie heraushob aus der umliegenden
Landschaft, aus der Reihe der Nachbarstädte, der sie zur Beherr-
scherin des wirtschaftlichen Lebens der Länder am Mittelrhein und
Main machte. Schon der deutsche Lateindichter des 16. Jahr-
hunderts, Petrus Lindenberg, hatte sie rühmend l^ilia Nerourii
genannt^), nnd wenn Gustav Adolf im Lager von Steinheim zu
den Abgeordneten des Rates sagte?): „So lang der Main herabläuft
wie er läuft, wird der Wohlstand und das Commercium von eurer
Stadt nit können gezogen werden" — so war damit in der glück-
1) Gerning, Lahn- und Maingegenden 1817, S. 197.
2) Kirchner, Ansichten rc. S. 16.
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engen Grenzeit, die Verfassung und Gebietsumfang der freien
Stadt zogen, konnten nicht, wie wir sahen, das gesellschaftliche und
geistige Leben umspannen. Immer wird das kleine Gemeinwesen
in größere Zusammenhänge hineingestellt, es ist zu schwach, um
nicht mit fortgerissen zu werden — seine ehrwürdige Selbständig-
keit wird fortschreitend hinderlich, lächerlich, unmöglich, immer
mehr das Gegenteil von Freiheit. Die Dissonanzen klingen an —
wie sie sich verschärfen, werden wir Hören.
Wie dem Spießertum der Liberalismus, so steht wirtschaftlich
dem lokal beschränkten, in alte Form gepreßten Handwerk der
überlokale freie Handel von Frankfurt gegenüber — und es ist ein
langer vielverschlungener Prozeß, in dem, beständig so ineinander
verschmelzend und verwoben, daß scharfe Formeln die Feinheit
zerstören, die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Gegensätze in die geistig-
politischen hineinwachsen, sich an ihnen ausrichten, und die einen,
umgekehrt, durch die anderen neue einschneidende Momente des
Gegensatzes, des Kampfes gewinnen — bis zuletzt nicht mehr neben
dem aristokratischen freien Handelsherrn der demokratische zünf-
tige Handwerker wirkt, sondern dem liberalen Großkaufmann nnd
Fabrikanten der radikale Arbeiter gegenübersteht.
Wir haben vorhin bei der Betrachtung des geistigen Lebens
beobachten können, wie den auswärtigen Beurteilern die wirt-
schaftliche Tätigkeit in Frankfurt als die maßgebende - und alle
anderen Sphären durchdringende erschien. So viel Unrecht da-
mit den wenigen hervorragenden Persönlichkeiten geschah, so richtig
war so der Eindruck wiedergegeben, den das Leben der Stadt in
seiner Gesamtheit hervorrief. Der Handel War es, der die Größe
der Stadt begründet hat, der sie heraushob aus der umliegenden
Landschaft, aus der Reihe der Nachbarstädte, der sie zur Beherr-
scherin des wirtschaftlichen Lebens der Länder am Mittelrhein und
Main machte. Schon der deutsche Lateindichter des 16. Jahr-
hunderts, Petrus Lindenberg, hatte sie rühmend l^ilia Nerourii
genannt^), nnd wenn Gustav Adolf im Lager von Steinheim zu
den Abgeordneten des Rates sagte?): „So lang der Main herabläuft
wie er läuft, wird der Wohlstand und das Commercium von eurer
Stadt nit können gezogen werden" — so war damit in der glück-
1) Gerning, Lahn- und Maingegenden 1817, S. 197.
2) Kirchner, Ansichten rc. S. 16.