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Frankfurt vor der Revolution
sich die optisch-mechanischen Phantasmagonen „Kunstvorstellungen".
Der Hexentanz auf dem Blocksberg, der dabei Vorkommen sollte,
zeigt, wie der Faust über Goethe auch gelegentlich wieder zurück
in seine alten Puppenspiel- und Jahrmarktsphäre gelangen konnte.
Der Geisterbeschwörer bemerkte ausdrücklich, daß er nur dem ver-
ehrten Publikum einen angenehmen Abend verschaffen, keine
Geister zitieren wolle — muß also selber an die letztere Möglichkeit
geglaubt und dasselbe bei anderen vorausgesetzt haben. Die „Er-
scheinungen" sind charakteristisch genug: die „Freundschaft", die
„Hexe von Endor", die wieder ihrerseits nicht etwa den Samuel,
sondern, moderner, den Samiel zitiert. Überhaupt sind wir in der
Zeit des Freischütz: unser Gewährsmann will im Trubel der
Meßbesucher Max und Agathe getrosfen haben. Doch hat er
auch klassische Reminiszenzen: auf dem sogenannten Meßschisf, das
von Bacherach alljährlich rheinweingefüllt zur Frankfurter Messe
heraufkam und ein besonderer Schwärm- und Trinkort gewesen
sein muß, singt ein „braunes Mädchen" rührende Lieder und ein
„blinder weißlockiger Greis akkompaniert". -
Frankfurt war eine „lilia Nsroui-ii". Der Handel in seinen
verschiedenen Abstufungen bestimmte seinen Rang und sein Ansehen
nach außen, er war die „Seele der Stadt"^). Der Staat Frankfurt
bedeutete in der großen Politik gar nichts — nur ein Minister-
resident vertrat Frankfurt und die anderen freien Städte in Paris.
Der Frankfurter Handel aber schickte seine diplomatischen Vertreter
über die ganze Erde. Frankfurter Konsuln waren in Algier, Amster-
dam, Antwerpen, Gibraltar, Leipzig, London, Mexiko, Moskau,
Neuyork, Odessa, Ostende, Petersburg, Philadelphia, Triest,
Valparaiso. Es ist interessant, daß Hamburg und Berlin fehlen.
Handelsagenten gab es außerdem noch in Neapel und Buenos
Aires?). So glänzend dies Gebäude erscheinen mochte, der Grund-
riß Hatte schwache Stellen, die den Bestand gefährden mußten. Ge-
nügte für diesen Handel die politische Macht und der Einfluß der
Stadt als Stütze und Folie?
Es ist klar, daß sie weiter nichts tun konnte für ihn, als ihm
Freiheit geben — als dem modernen kaufmännischen Geist, der sich
in ihm verkörperte, ihrerseits keine Fesseln aufzuerlegen. Wenn
Y Gercken, Historisch-statistische Beschreibung von Frankfurt S. 138,
Worms 1788.
0 Zeitschrift für Deutsche Statistik I, 1847. Diese Angaben beziehen sich
also auf die Zeit kurz vor 1848.
Frankfurt vor der Revolution
sich die optisch-mechanischen Phantasmagonen „Kunstvorstellungen".
Der Hexentanz auf dem Blocksberg, der dabei Vorkommen sollte,
zeigt, wie der Faust über Goethe auch gelegentlich wieder zurück
in seine alten Puppenspiel- und Jahrmarktsphäre gelangen konnte.
Der Geisterbeschwörer bemerkte ausdrücklich, daß er nur dem ver-
ehrten Publikum einen angenehmen Abend verschaffen, keine
Geister zitieren wolle — muß also selber an die letztere Möglichkeit
geglaubt und dasselbe bei anderen vorausgesetzt haben. Die „Er-
scheinungen" sind charakteristisch genug: die „Freundschaft", die
„Hexe von Endor", die wieder ihrerseits nicht etwa den Samuel,
sondern, moderner, den Samiel zitiert. Überhaupt sind wir in der
Zeit des Freischütz: unser Gewährsmann will im Trubel der
Meßbesucher Max und Agathe getrosfen haben. Doch hat er
auch klassische Reminiszenzen: auf dem sogenannten Meßschisf, das
von Bacherach alljährlich rheinweingefüllt zur Frankfurter Messe
heraufkam und ein besonderer Schwärm- und Trinkort gewesen
sein muß, singt ein „braunes Mädchen" rührende Lieder und ein
„blinder weißlockiger Greis akkompaniert". -
Frankfurt war eine „lilia Nsroui-ii". Der Handel in seinen
verschiedenen Abstufungen bestimmte seinen Rang und sein Ansehen
nach außen, er war die „Seele der Stadt"^). Der Staat Frankfurt
bedeutete in der großen Politik gar nichts — nur ein Minister-
resident vertrat Frankfurt und die anderen freien Städte in Paris.
Der Frankfurter Handel aber schickte seine diplomatischen Vertreter
über die ganze Erde. Frankfurter Konsuln waren in Algier, Amster-
dam, Antwerpen, Gibraltar, Leipzig, London, Mexiko, Moskau,
Neuyork, Odessa, Ostende, Petersburg, Philadelphia, Triest,
Valparaiso. Es ist interessant, daß Hamburg und Berlin fehlen.
Handelsagenten gab es außerdem noch in Neapel und Buenos
Aires?). So glänzend dies Gebäude erscheinen mochte, der Grund-
riß Hatte schwache Stellen, die den Bestand gefährden mußten. Ge-
nügte für diesen Handel die politische Macht und der Einfluß der
Stadt als Stütze und Folie?
Es ist klar, daß sie weiter nichts tun konnte für ihn, als ihm
Freiheit geben — als dem modernen kaufmännischen Geist, der sich
in ihm verkörperte, ihrerseits keine Fesseln aufzuerlegen. Wenn
Y Gercken, Historisch-statistische Beschreibung von Frankfurt S. 138,
Worms 1788.
0 Zeitschrift für Deutsche Statistik I, 1847. Diese Angaben beziehen sich
also auf die Zeit kurz vor 1848.