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Valentin, Veit
Politisches, geistiges und wirtschaftliches Leben in Frankfurt am Main vor dem Beginn der Revolution von 1848/49 — Stuttgart: Union dt. Verlagsges., 1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.71759#0014
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Frankfurt vor der Revolution

Und weil man sich's gefalleir lassen mußte, gefiel es sogar schließ-
lich vielen. Die Hofluft war neu und doch frischer als die reichs-
städtische Dumpfheit, der neue Geist war freier, französisches oder
von Franzosen gelerntes Geschick machte vieles geschmeidig, was
steif und zäh nur brechen zu können schien, der gute neue Herr
mußte viel mehr als er wollte — war er doch uach eigenem
Ausspruch „in den Krallen des Teufels"^) — und er half wo er
konnte. Aber doch kain gelegentlich der reichsbürgerliche Trutz,
die dumpfe, verdrossene, immer anwachsende Opposition zum
Vorschein, wenn auch nach Unterdrückung sämtlicher unabhängiger
Zeitungen (1810) die öffentliche Meinung kein Organ mehr zur
freien Rede besaß. So benutzten die Mitglieder des Frankfurter
Departementrates, einer aus Laien gebildeten Selbstverwaltungs-
behörde, die Anregung des Großherzogs zu Vorschlägen, zu einer
schonungslosen Kritik der Finanzverwaltung — Frankfurt war
„die reiche Schwester" der ärmeren anderen Bestandteile des Groß-
herzogtums — ferner zu einer Beschwerde über die in der städtischen
Verwaltung verwandten „Fremden", schließlich über die zu zahl-
reiche Polizei. Solche schnell unterdrückte Sprache entsprang dem
Stolz auf eigene, alte, wohlgewahrte Selbständigkeit ebenso sehr,
wie der Protest gegen eine Universität und eine medizinische Spe-
zialschule aus Finanz- und Sittlichkeitsgründen der kleinbürger-
lichen Beschränktheit.
Uber beides hat sich Dalberg hinweggesetzt, beides war rein
frankfurtisch, nicht deutsch, und deshalb nicht geeignet zu einer
Erhebung gegen das „Joch" zu begeistern. Als aber dann die Be-
freiung von außen kam, als das Heer Napoleons unmittelbar an
der Stadt vorbei seinen Rückzug uach Frankreich nahm, und die so
angeschaute Niederlage den Eindruck des Sieges erhöhte, da war
es natürlich, daß sich Begeisterung und Schwung auch den Frank-
furter Bürgern mitteilte.
Auch sie spannen sich jetzt die goldensten Hoffnungsfäden und
woben sich nnd dem deutschen Vaterland eine glanzvolle Zukunft
daraus. Alles überbot sich im Aushecken von unzähligen Ideen
und Plänen?). Allzuviel ward gefordert, aber auch viel getan.
Nach preußischem Muster wurde ein allgemeiner Landsturm or-
ganisiert, ein Korps Freiwilliger errichtet, ein patriotischer Frauen-
verein gegründet. Deutsch war Trumpf — und sicherlich war
0 Leonhardt, Aus meinem Leben und aus meiner Zeit I, 242.
2) Vergleiche für das folgende Jügel, Das Puppenhaus der Familie
Gontard, 1857.
 
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