noch glücklicherweise vor uns verborgen: damit wir ihn um so
besser verdienen, falls er kommt".
Unter den neueren Geistern war es neben Montaigne vorzüglich
Shaftesbury dem Winckelmanns Anteilnahme galt. Der französische
mehr dem Leben zugewandte und der englische mehr der reinen Be-
trachtung ergebene Denker waren beide gleichmäßig vom Geiste
des Altertums ergriffen, beide von früh auf in seinen Sprachen und
Schriften heimisch. War Montaigne durch seine eigene Freundschaft
zu La Boetie ein lebendiger Zeuge jenes antiken Bandes (wenn auch
durch die christliche Konvention etwas eingeengt und nie von Winckel-
mann erwähnt), so war Shaftesbury der unmittelbare Erwecker des
platonischen Geistes, der Wiederverkünder des vollkommenen Men-
schen, der großen Einheit des Wahren Schönen Guten und rührte so
an Winckelmanns eigenste eingeborene Triebe. Dieser hat Shaftesburys
„Charakteristics" während der Dresdener Zeit sorgfältig gelesen und
sich Auszüge aus ihnen gemacht, die in der Pariser Nationalbibliothek
aufbewahrt sind. Die zuvor mitgeteilte Stelle aus Shaftesbury, die
gerade auch in diesen Auszügen aufgezeichnet ist, läßt keinen Zweifel
darüber, daß gewisse Teile der beiden mehrfach angeführten Briefe
vom 17. September 1754 an Berendis und Bünau auf sie zurückgehen.
Der Ausdruck ,,Privatfreundschaft" und die Bemerkung, daß „sonst
gar kein Platz vor den Uneigennutz bliebe", sind sogar wörtlich
übernommen. Und wenn Winckelmann sich anheischig macht, er könne
unumstößlich beweisen, daß der „Privatfreundschaft" im ganzen
neuen Testamente nicht einmal dem Namen nach gedacht sei, so
hat auch diese selbstbewußte Versicherung ihre Stütze in einer An-
merkung, die Winckelmann zu der angeführten Stelle bei Shaftes-
bury fand und sich gleichfalls vermerkt hat. Sie weist ihrerseits auf
des Bischof Jeremias Taylor „Discourse of the Nature and Offices of
Friendship" zurück. Die Anmerkung, die auch über diesen einzelnen
Punkt hinaus Beachtung verdient, lautet:,, Kein aufrichtiger Leser kann
hier annehmen, daß unter Privatfreundschaft dasjenige allgemeine
Wohlwollen und die Liebe (charity) gemeint sei, welche ein jeder
Christ allen Menschen und besonders seinen Mitchristen, seinem Näch-
sten, seinem Bruder oder Verwandten irgendwelcher Ordnung zu er-
weisen schuldig ist, sondern jenes besondere Verhältnis, das aus see-
lischer Übereinstimmung und Harmonie, aus gegenseitiger Wert-
schätzung und wechselweiser zärtlicher Zuneigung entsteht und das
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besser verdienen, falls er kommt".
Unter den neueren Geistern war es neben Montaigne vorzüglich
Shaftesbury dem Winckelmanns Anteilnahme galt. Der französische
mehr dem Leben zugewandte und der englische mehr der reinen Be-
trachtung ergebene Denker waren beide gleichmäßig vom Geiste
des Altertums ergriffen, beide von früh auf in seinen Sprachen und
Schriften heimisch. War Montaigne durch seine eigene Freundschaft
zu La Boetie ein lebendiger Zeuge jenes antiken Bandes (wenn auch
durch die christliche Konvention etwas eingeengt und nie von Winckel-
mann erwähnt), so war Shaftesbury der unmittelbare Erwecker des
platonischen Geistes, der Wiederverkünder des vollkommenen Men-
schen, der großen Einheit des Wahren Schönen Guten und rührte so
an Winckelmanns eigenste eingeborene Triebe. Dieser hat Shaftesburys
„Charakteristics" während der Dresdener Zeit sorgfältig gelesen und
sich Auszüge aus ihnen gemacht, die in der Pariser Nationalbibliothek
aufbewahrt sind. Die zuvor mitgeteilte Stelle aus Shaftesbury, die
gerade auch in diesen Auszügen aufgezeichnet ist, läßt keinen Zweifel
darüber, daß gewisse Teile der beiden mehrfach angeführten Briefe
vom 17. September 1754 an Berendis und Bünau auf sie zurückgehen.
Der Ausdruck ,,Privatfreundschaft" und die Bemerkung, daß „sonst
gar kein Platz vor den Uneigennutz bliebe", sind sogar wörtlich
übernommen. Und wenn Winckelmann sich anheischig macht, er könne
unumstößlich beweisen, daß der „Privatfreundschaft" im ganzen
neuen Testamente nicht einmal dem Namen nach gedacht sei, so
hat auch diese selbstbewußte Versicherung ihre Stütze in einer An-
merkung, die Winckelmann zu der angeführten Stelle bei Shaftes-
bury fand und sich gleichfalls vermerkt hat. Sie weist ihrerseits auf
des Bischof Jeremias Taylor „Discourse of the Nature and Offices of
Friendship" zurück. Die Anmerkung, die auch über diesen einzelnen
Punkt hinaus Beachtung verdient, lautet:,, Kein aufrichtiger Leser kann
hier annehmen, daß unter Privatfreundschaft dasjenige allgemeine
Wohlwollen und die Liebe (charity) gemeint sei, welche ein jeder
Christ allen Menschen und besonders seinen Mitchristen, seinem Näch-
sten, seinem Bruder oder Verwandten irgendwelcher Ordnung zu er-
weisen schuldig ist, sondern jenes besondere Verhältnis, das aus see-
lischer Übereinstimmung und Harmonie, aus gegenseitiger Wert-
schätzung und wechselweiser zärtlicher Zuneigung entsteht und das
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