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Vallentin, Berthold
Winckelmann — Berlin, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.5880#0169
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wir betont Freundschaft nennen. Solchergestalt war das Verhält-
nis zwischen den beiden jüdischen Helden (David und Jonathan),
deren zärtliche Liebe die Frauenliebe übertraf (2 Sam. 1.). Solcher-
gestalt waren die so häufig von Dichtern beschriebenen Freundschafts-
bündnisse zwischen Pylades und Orestes, Theseus und Pirithous sowie
vielen anderen. Solchergestalt waren jene zwischen Weltweisen, Helden
und den Größten der Menschheit, zwischen Sokrates und Antisthenes,
Plato und Dion, Epaminondas und Pelopidas, Scipio und Lälius, Cato
und Brutus, Thrasea und Helvidius. Und eben solche mag es neuerlich
gegeben haben und gibt es vielleicht noch in unserem eigenen Zeit-
alter, obschon der Neid nicht zuläßt, daß die wenigen Beispiele dieser
Art öffentlich bemerkt werden . . . Wenn andere die Seltsamkeit der
hier aufgestellten Behauptung hervorheben, weil sie nach ihrer Mei-
nung von demjenigen abweiche, was unsere ehrwürdigen Lehrer in der
Religion gemeinhin vertreten, so mögen sie lesen, was der gelehrte und
fromme Bischof Taylor in seinem Traktat von der Freundschaft
sagt: ,Sie fragen' sagt er, inwieweit eine innige und vollkommene
Freundschaft von den Grundsätzen des Christentums gutgeheißen
werde ? Hierauf antworte ich, daß das Wort Freundschaft, in der
Bedeutung, die wir gewöhnlich damit verbinden, im neuen Testament
nicht ein einziges Mal vorkommt, und unsere Religion nimmt keine
Kenntnis davon. Das dünkt Ihnen seltsam, aber lesen Sie weiter,
bevor sie auch nur anfangen sich darüber zu erregen oder zu ver-
wundern. Es wird eine Freundschaft der Welt erwähnt, und von ihr
wird gesagt, daß sie Feindschaft gegen Gott sei: das Wort wird aber
in dem ganzen Neuen Testament sonst nirgends und in gar keinem
anderen Betracht genannt. Das Neue Testament redet oft von
Freunden, aber unter Freunden werden unsere Bekannten oder Ver-
wandten, unsere Familien-, Schicksals- oder Glaubensgenossen usw.
verstanden. — Und ich glaube mit Recht als gewiß anzunehmen,
daß das Wort Freund (wenn man vom menschlichen Umgang spricht)
weder in den Evangelien noch in den Briefen oder der Geschichte der
Apostel anders gebraucht wird.' Und später sagt er: ,Die christ-
liche Liebe ist eine Freundschaft zu aller Welt, und solange Freund-
schaften die edelsten Dinge in der Welt waren, war jene Liebe klein
wie die Sonne, wenn sie durch eine Spalte hervordringt, oder wie
ihre Strahlen, wenn sie sich im Mittelpunkt eines Brennglases sammeln.
Aber die christliche Liebe ist eine Freundschaft ausgebreitet wie das

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