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Veeck, Walther
Textband — Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit, Band 1; Textband: Berlin, Leipzig: Walter de Gruyter & Co., 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.55300#0017
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EINLEITUNG

Umwoben vom Kranze der schönsten Sagen lebt die Erinnerung an die Völkerwanderungszeit
im Gedächtnis des deutschen Volkes. Von maßlosen Taten, von maßlosem Leid klingen unsere
Heldensänge. Immer wieder haben sich unsere mittelalterlichen Dichter an den Fahrten und
Schicksalen germanischer Stämme und Recken begeistert. Wir sehen daraus, daß der Deutsche
des Mittelalters die Bedeutung der Zeit erkannt hat, da unser Volkstum erwachte, sich seiner Stärke
und Kraft bewußt wurde, als es eingriff in das Rad der Weltgeschichte. Und doch, wie schwer ist
es, aus den Heldengedichten den geschichtlichen Kern herauszuschälen, ja oft ist es einfach un-
möglich! Wer verbirgt sich z. B. hinter der Heldengestalt Siegfrieds? Ist es ein germanischer Führer,
ist es ein vermenschlichter Gott? Wir beklagen das Fehlen zeitgenössischer schriftlicher germa-
nischer Quellen, welche uns über die Jugendzeit unseres Volkes Aufschluß geben könnten.
Zwar entnehmen wir aus lateinischen und griechischen Schriftstellern, welchen Eindruck
das Erscheinen der Germanen an den Grenzen des römischen Reiches hervorrief. Vor allem Cäsar
und Tacitus haben uns viel Wertvolles über unsere Vorfahren überliefert. Aus ihnen erfahren wir
etwas über ihre völkische Gliederung, über ihre Kultur- und Wirtschaftsgeschichte in dem ersten
vorchristlichen und ersten nachchristlichen Jahrhundert. Aber über die folgenden 100 Jahre breitet
sich tiefes Dunkel. In sie fällt der Zusammenschluß der vielen kleinen Einzelstämme zu größeren
Stammesverbänden, in ihnen beginnt die Wanderung, die manchen losgelöst hat aus seinen alten
Wohnsitzen, um fern der Heimat neues Land für seine Volksmassen zu erkämpfen. Die Gründe
dieser Züge können wir nur ahnen und vermuten. War es das rauhe Klima, war es Übervölkerung
und Landnot, war es der Druck feindlicher Völkerschaften, war es ungestümer Tatendrang, die
Sehnsucht in die Weite, nach dem fernen Süden? Vermutlich hat das alles zusammengewirkt.
Unsere schriftlichen Quellen setzen erst wieder ein, als der Ansturm der Germanen gegen
Roms Weltreich beginnt. Sie erzählen uns von dem gewaltigen Ringen um die Macht, das schließlich
mit dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft endet. Wir sehen aus ihnen, wie überall auf
römischem Boden germanische Reiche erstehen, denen aber in der Regel nur eine kurze Blüte be-
schieden ist.
Nur dort, wo die Bande mit der alten Heimat niemals abrissen, wo durch Zuströmen neuen
Bluts die Volkskraft stark erhalten wurde, ist auch auf römischem Kolonialboden germanisches
Neuland entstanden, dessen Bewohner ihr Volkstum durch die Stürme der Völkerwanderung hin-
durch bewahrt haben bis auf den heutigen Tag, vor allem in den Gebieten südlich des Mains bis in
die Schweiz hinein und in den linksseitigen Rheinlanden.
In der Völkerwanderungszeit — ich verstehe darunter die Zeit von dem Erscheinen der Ger-
manen an den römischen Grenzen bis zur Festigung des fränkischen Reichs unter den Karo-
lingern — bildeten sich also die Grundlagen, aus denen später das deutsche Reich erwuchs. Die
Geschichte der Germanen der Völkerwanderungszeit ist also deutsche Geschichte. Leider aber
genügen unsere schriftlichen Quellen nicht, um diese Frühgeschichte unseres Volkes zu erhellen.
Zwar die politische Geschichte können wir wenigstens in großen Zügen aus ihnen erschließen, trotz-
dem sich auch hier schon manche Lücken zeigen: berichten sie doch insgemein nur von den Kämpfen
Germ. Denkmäler d. Völkerwanderungszeit I. Veeck. i
 
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