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Voigtländer, Emmy
Zur Gesetzlichkeit der abendländischen Kunst — Forschungen zur Formgeschichte der Kunst aller Zeiten und Völker, Band 5: Bonn, Leipzig: Kurt Schroeder, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.62975#0023
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1Z —

urteil abgelöst, das immer relativ ist, und in den Verstand verlegt, der die
absoluten Gesetze der Harmonie, die von objektiver Gültigkeit sind, er-
kennt. Der Unterschied des Denkens zwischen Leonardo und Alberti, wie
der Renaissancetheorie besteht darin, daß Leonardo den Harmoniebegriff
ausschließlich für den, den ästhetischen werten übergeordneten BLldzusam-
menhang anwendet, während für Mberti auch die Erkenntnis der Schön-
heit des Einzeldinges nach diesen Kriterien möglich ist, und ihm der Wert
des Kunstwerkes wesentlich mit von der Schönheit des vargestellten ab-
hängt. Da für Leonardo die künstlerische Aufgabe nicht mit der Dar-
stellung des Schönen zusammenfällt, fühlt er keine weitere Veranlassung,
sich mit dem Problem der Schönheit zu befassen, er begnügt sich mit der
Feststellung, daß das Urteil über das Schöne verschieden sei. (Traktat
258.) Oie Schönheit als Problem der Erkenntnis ist für ihn so wenig da,
daß ihm für den Fall der Darstellung des Schönen die antike Elektions-
theorie genügt. Er hat „die Frage, ob man das immer wollen müsse
(schöne Figuren), wenn das Kunstwerk gut sein soll, weder beantwortet,
noch gestellt." (panofsky, Dürers Kunsttheorie, S. l58), weil ihm
ganz selbstverständlich die künstlerische Aufgabe nicht davon abhing.
Ebenso fern wie der Gleichsetzung ästhetischer und künstlerischer werte
steht Leonardo der Nachahmungstheorie. Oer Satz im Traktat 416: „Oie
Malerei ist am lobenswertesten, welche am meisten Übereinstimmung mit
dem nachgeahmten Gegenstände hat," könnte dahin gehörend aufgefaßt
werden, doch verliert er diesen Sinn im Zusammenhang des Abschnittes,
in dem nur davor gewarnt wird, gegen typische Verhältnisse des Körpers
zu verstoßen, etwa ein einjähriges Kind mit den Proportionen eines
dreißigjährigen Mannes zu versehen. Leonardo ist überhaupt außer-
stande, das Einzelne anders als in Verkettung, als in Beziehung zu sehen,
der Begriff des unlöslichen Zusammenhanges der Dinge ist der Grund-
begriff seines Denkens. — Alle Ästhetik, die der Kunst das Schöne als
Hauptaufgabe zuweist, scheitert an dem Bemühen, dem häßlichen, ja auch
nur dem Furchtbaren, Erregenden, nachträglich noch einen Platz anzu-
weisen, da es in Kunstwerken, deren Stärke man sich doch nicht entziehen
kann, doch gar zu häufig vorkommt. Indem Leonardo und Fiedler an
diesem, weil falsch gestellten, darum unlöslichen Problem vorübergehen
bezw. es abweisen, kommen sie zu der einzig möglichen Lösung, die Funk-
tion der Kunst in der Organisation zu sehen, nicht in der Darstellung
einer Summe von (schönen) der Natur nachgeahmten Einzeldingen. Hilde-
brand setzt diese Gedanken fort in der Unterscheidung von Wirkungswer-
ten (im Kunstwerk) und vaseinswerten (in der Natur).
Alberti ist auch in diesem Punkt nicht zur klaren Scheidung der Be-
griffe gelangt. Er geht von der Nachahmung des einzelnen Körpers aus
 
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