zu empfinden vermag, um so stärker wird bei ihm das Bedürfnis sein,
daß das Werk des Künstlers seiner eignen Empfindungs- und Vor-
stellungsweise entgegenkomme. Auch der Verfasser ist sich wohl bewußt,
daß in der Besprechung der einzelnen hier angeführten Kunstwerke
trotz aller angestrebten Objektivität der Darstellung seine persönlichen
Neigungen mehrfach nicht undeutlich zutage getreten sein dürften.
Unsre besondern Lieblinge also mögen wir nach wie vor behalten, und,
wo es angeht, tatkräftig fördern. Bei alledem aber wird die Betrachtungs-
weise von Natur und Kunst, die wir hier durchzuführen versuchten,
einen großen und weitherzigen Standpunkt jedem echten Kunstwerk
gegenüber gewähren, und uns verstehen lehren, auch wo wir zunächst
noch nicht lieben können. Was hier an einzelnen Beispielen, die eben-
sogut anders gewählt werden konnten, gezeigt wurde, das gilt es bei
aller Kunstbetrachtung weiterhin festzuhalten und zu betätigen, als
beste Quelle des Genusses und des Verständnisses. Denn die Art, wie
ein Künstler die Natur zum Kunstwerk umschafft, das was er aus ihr
aufnimmt oder wegläßt, was ihn an ihr reizt oder nicht, bedeutet den
eigentlichen, innersten Mittelpunkt seiner künstlerischen Persönlichkeit,
und die Kunstgeschichte — wenn wir sie nicht nur als eine Auf-
zählung von Namen und Tatsachen auffassen wollen — ist nichts anderes,
als die Geschichte dieses Problems; gerade von diesem Standpunkt aus
betrachtet bedeutet sie ein unentbehrliches Element aller künstlerischen
Bildung, das wir ja nicht etwa verdrängen, sondern nur einem tieferen
Verständnis allgemein näher bringen möchten. Die bildende Kunst ist
und bleibt nun einmal die Kunst des Sehens und der persönlichen Natur-
wiedergabe, und so ist auch ihre Geschichte im letzten Grunde eine Ge-
schichte des Sehens und der Naturauffassung. Es ist bekannt, wie durch
die gesamte Entwicklung der Kunst, einer Wellenbewegung ähnlich, ein
abwechselndes stärkeres Hervortreten der scharfen Naturbeobachtung
und der freien Schöpferkraft sich zieht, wie die Künstler bald auf die
treueste Wiedergabe der Wirklichkeit, bald auf die ungehemmte Ent-
faltung der individuellen Phantasie ein besonderes und manchmal wohl
einseitiges Gewicht legten, und wie auf jede übermäßige Schwankung
nach der einen Seite ein kräftiger Rückschlag nach der andern zu folgen
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daß das Werk des Künstlers seiner eignen Empfindungs- und Vor-
stellungsweise entgegenkomme. Auch der Verfasser ist sich wohl bewußt,
daß in der Besprechung der einzelnen hier angeführten Kunstwerke
trotz aller angestrebten Objektivität der Darstellung seine persönlichen
Neigungen mehrfach nicht undeutlich zutage getreten sein dürften.
Unsre besondern Lieblinge also mögen wir nach wie vor behalten, und,
wo es angeht, tatkräftig fördern. Bei alledem aber wird die Betrachtungs-
weise von Natur und Kunst, die wir hier durchzuführen versuchten,
einen großen und weitherzigen Standpunkt jedem echten Kunstwerk
gegenüber gewähren, und uns verstehen lehren, auch wo wir zunächst
noch nicht lieben können. Was hier an einzelnen Beispielen, die eben-
sogut anders gewählt werden konnten, gezeigt wurde, das gilt es bei
aller Kunstbetrachtung weiterhin festzuhalten und zu betätigen, als
beste Quelle des Genusses und des Verständnisses. Denn die Art, wie
ein Künstler die Natur zum Kunstwerk umschafft, das was er aus ihr
aufnimmt oder wegläßt, was ihn an ihr reizt oder nicht, bedeutet den
eigentlichen, innersten Mittelpunkt seiner künstlerischen Persönlichkeit,
und die Kunstgeschichte — wenn wir sie nicht nur als eine Auf-
zählung von Namen und Tatsachen auffassen wollen — ist nichts anderes,
als die Geschichte dieses Problems; gerade von diesem Standpunkt aus
betrachtet bedeutet sie ein unentbehrliches Element aller künstlerischen
Bildung, das wir ja nicht etwa verdrängen, sondern nur einem tieferen
Verständnis allgemein näher bringen möchten. Die bildende Kunst ist
und bleibt nun einmal die Kunst des Sehens und der persönlichen Natur-
wiedergabe, und so ist auch ihre Geschichte im letzten Grunde eine Ge-
schichte des Sehens und der Naturauffassung. Es ist bekannt, wie durch
die gesamte Entwicklung der Kunst, einer Wellenbewegung ähnlich, ein
abwechselndes stärkeres Hervortreten der scharfen Naturbeobachtung
und der freien Schöpferkraft sich zieht, wie die Künstler bald auf die
treueste Wiedergabe der Wirklichkeit, bald auf die ungehemmte Ent-
faltung der individuellen Phantasie ein besonderes und manchmal wohl
einseitiges Gewicht legten, und wie auf jede übermäßige Schwankung
nach der einen Seite ein kräftiger Rückschlag nach der andern zu folgen
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