Natürlich kann man nun nicht von jedem verlangen, daß er selbst
zeichnet, obgleich ein Mensch, der in Natur und Kunst ernsthaft sehen
zu lernen strebt, unwillkürlich doch auch darauf zurückkommen wird,
und obgleich die Bestrebungen, dem Naturzeichnen in der Jugend-
erziehung einen wichtigen Platz zuzuweisen, nur auf das allerfreudigste
zu begrüßen sind. Eine gewisse selbsttätige Schulung des Sehorgans
aber, wenn ich so sagen darf eine Art Augengymnastikin der Natur,
muß von jedem gefordert werden, der in künstlerischen Dingen ernst ge-
nommen, der zu den künstlerisch Gebildeten gezählt sein will. — Als
beste Autorität kann ich mich hierfür auf Goethe berufen, der gewiß
so tief in das Wesen der bildenden Kunst eingedrungen ist, wie kaum
jemals ein Mensch, der nicht selbst ausübender Künstler war. In seinen
Briefen aus der Schweiz findet sich die viel zu wenig bekannte, herrliche
Stelle, wo er in begeisterten Worten seinen glühenden Trieb nach
Erkenntnis der Natur um der Kunst willen offenbart, und berichtet,
wie er, vom Toten zum Belebten fortschreitend, zuletzt vor der Krone
der Schöpfung, dem menschlichen Körper, nicht Halt macht. „Ein
bemoster Fels, ein Wasserfall hält meinen Blick so lange gefesselt, ich
kann ihn auswendig; seine Höhen und Tiefen, seine Lichter und Schatten,
seine Farben, Halbfarben und Wiederscheine, alles stellt sich mir im
Geiste dar, so oft ich nur will, alles kommt mir aus einer glücklichen
Nachbildung ebenso lebhaft wieder entgegen; und vom Meisterstücke
der Natur, vom menschlichen Körper, von dem Zusammenhang, der
Zusammenstimmung seines Gliederbaues habe ich nur einen allgemeinen
Begriff, der eigentlich gar kein Begriff ist. Meine Einbildungskraft
stellt mir diesen herrlichen Bau nicht lebhaft vor, und wenn mir ihn die
Kunst darbietet, bin ich nicht imstande, weder etwas dabei zu fühlen,
noch das Bild zu beurteilen. Nein! ich will nicht länger in dem stumpfen
Zustande bleiben, ich will mir die Gestalt des Menschen eindrücken wie
die Gestalt der Trauben und Pfirschen. — Ich veranlaßte Ferdinanden
zu baden im See; wie herrlich ist mein junger Freund gebildet! welch
ein Ebenmaß aller Teile! welch eine Fülle der Form, welch ein Glanz
der Jugend, welch ein Gewinn für mich, meine Einbildungskraft mit
diesem vollkommenen Muster der menschlichen Natur bereichert zu
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zeichnet, obgleich ein Mensch, der in Natur und Kunst ernsthaft sehen
zu lernen strebt, unwillkürlich doch auch darauf zurückkommen wird,
und obgleich die Bestrebungen, dem Naturzeichnen in der Jugend-
erziehung einen wichtigen Platz zuzuweisen, nur auf das allerfreudigste
zu begrüßen sind. Eine gewisse selbsttätige Schulung des Sehorgans
aber, wenn ich so sagen darf eine Art Augengymnastikin der Natur,
muß von jedem gefordert werden, der in künstlerischen Dingen ernst ge-
nommen, der zu den künstlerisch Gebildeten gezählt sein will. — Als
beste Autorität kann ich mich hierfür auf Goethe berufen, der gewiß
so tief in das Wesen der bildenden Kunst eingedrungen ist, wie kaum
jemals ein Mensch, der nicht selbst ausübender Künstler war. In seinen
Briefen aus der Schweiz findet sich die viel zu wenig bekannte, herrliche
Stelle, wo er in begeisterten Worten seinen glühenden Trieb nach
Erkenntnis der Natur um der Kunst willen offenbart, und berichtet,
wie er, vom Toten zum Belebten fortschreitend, zuletzt vor der Krone
der Schöpfung, dem menschlichen Körper, nicht Halt macht. „Ein
bemoster Fels, ein Wasserfall hält meinen Blick so lange gefesselt, ich
kann ihn auswendig; seine Höhen und Tiefen, seine Lichter und Schatten,
seine Farben, Halbfarben und Wiederscheine, alles stellt sich mir im
Geiste dar, so oft ich nur will, alles kommt mir aus einer glücklichen
Nachbildung ebenso lebhaft wieder entgegen; und vom Meisterstücke
der Natur, vom menschlichen Körper, von dem Zusammenhang, der
Zusammenstimmung seines Gliederbaues habe ich nur einen allgemeinen
Begriff, der eigentlich gar kein Begriff ist. Meine Einbildungskraft
stellt mir diesen herrlichen Bau nicht lebhaft vor, und wenn mir ihn die
Kunst darbietet, bin ich nicht imstande, weder etwas dabei zu fühlen,
noch das Bild zu beurteilen. Nein! ich will nicht länger in dem stumpfen
Zustande bleiben, ich will mir die Gestalt des Menschen eindrücken wie
die Gestalt der Trauben und Pfirschen. — Ich veranlaßte Ferdinanden
zu baden im See; wie herrlich ist mein junger Freund gebildet! welch
ein Ebenmaß aller Teile! welch eine Fülle der Form, welch ein Glanz
der Jugend, welch ein Gewinn für mich, meine Einbildungskraft mit
diesem vollkommenen Muster der menschlichen Natur bereichert zu
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