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Der Volksführer — 1849

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No. 71 - No. 75 (24. März - 29. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.52472#0186
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282

Nehmen Sie denn Ihren Verstand auch mit ab, wenn Sie !
den Hut abnehmen? Oder waren Sie in der Lage, mit !
Schiller sagen zu müssen: „Wird mein Auge trüber? !
Oder nebelt mir's vor'm Angesicht?"
Es thut dem Führer ganz abscheulich leid, daß er dem
Herrn Polizciamtmann den Gefallen nicht erweisen kann, !
eine Majestätsbeleidigung fertig zu machen. Aber er ist zu
ungeschickt dazu. Er hat einen solchen Respekt vor der Für- ;
flensuveränität, daß er das Kreuz macht, wenn er nur da-
ran denkt, und wenn sein Respekt vor der wohllöblichen Po-
lizei nicht eben so groß ist, so hat's Liese nur sich selbst zu i
verdanken, da sie manchmal recht dumme Streiche macht, !
wie z. B. mit der Majestatsbeleidigung in Nr. 57. Darum
betet ein stilles Vaterunser, Mitbürger, damit Gott den Ver- '
stand der Polizei so weit erleuchte, daß sie unterscheiden lernt,
was eine Majestätsbeleidigung ist, und was eine Majestäts-
Leleidigung nicht ist!
I Larrgenbrücken, 22. März. Die Staatsgefan-
genen zu Kislau bekommen Zuwachs, denn man erwartet
dort schon seit einigen Tagen die gefängliche Einlieferung
Letours, des dritten verhafteten Redaktors der Seeblätter,
welche von allen andern Blättern in Baden schon die größ-
ten persönlichen Opfer bringen mußten. Ich habe das
Gefängniß gesehen, in welchem Letour hier verwahrt wer-
den soll, und gebe Ihnen davon diese Beschreibung: Das-
selbe liegt unter dem Dache neben dem Glockenthurme, dem
Schloßhofe zu, und ist durch drei Thüren versperrt, die im- !
mer einige Zwischenräume haben, wodurch so zu sagen zwei
Vorkerker gebildet werden. Das Gefängniß selbst ist klein,
aber etwas hoch, und besitzt ein Fenster, das, schon von au-
ßen sichtbar, mit einer Tiefe von etwa 3 Fuß, innen auf 5
Fuß Höhe vermauert ist. Diese innere Mauer ist mit senk- j
rechten Eisenstäben so eng verwahrt, daß der Gefangene,
auch wenn er durch Ersteigung des Tisches und Stuhles über
die Mauer blicken könnte, nicht zum Fenster kommen kann.
Mit Mühe mag er den kleinen Flügel seines Fensters von
dem beschriebenen Gerüste aus auf- und zuschließen können.
Vor dem Fenster befinden sich wieder gleiche Eisenstäbe wie
innen. Im Zimmer befindet sich ein hölzerner Stuhl, ein
schlechter Tisch, ein Nachtstuhl und ein Bett, Las nicht ein-
mal des Nachts gegen die Frühjahrskälte schützt. An fri-
scher Loft im Zimmer wird der Gefangene keinen Ueberfluß
haben. Das Justizministerium ließ diesen Kerker im ver-
flossenen Jahre erst so einrichten, um sich dadurch ein Zeug-
niß seiner Menschlichkeit gegen verurtheilte Redaktöre zu ge-
ben. Es hieß lange Zeit in der Gegend, daß das beschrie-
bene Gefängniß für Gustav Struve hergerichtet worden
sei; jetzt weiß man aber, Daß solche Vermuthung grundlos
war; denn es steht für den wackern Letour in Bereitschaft,
damit er in demselben seins gegen die Monarchie begange-
nen Todsünden abbüße. Einer der in Kislau verhafteten
Redaktöre erlitt früher auch schweren Arrest, aber ist jetzt
nur leicht gehalten, während ein anderer Zeitungschreiber
seit seinem Eintritt in die Festung leichten Arrest genießt.
Diese Beiden sind, wie Letour auch, des Hochverrathsver-
suchs durch Bekämpfung der Monarchie, eines von der Ver-
nunft widersprochenen Verbrechens, für schuldig erklärt wor-
den; warum muß der Nedaktör der Seeblätter so viel här-
Ler bestraft werden? Welch ein Widerspruch mit dem gro-
ßen Grundsätze der Rechtsgleichheit! Armer Letour! die
Dich in Kislau erwartende Gefangenschaft wird schwerer
als im Zuchthause selbst sein. So lohnt man in Baden die
Handhabung der sogenannten freien Presse, oder züchtigt
man die Redaktöre republikanischer Blätter! Und doch fin-'

den sich überall immer noch neue mutbige Männer, die bei
Gefahr des Zuchthäuses die Gebrechen der Monarchie und
insbesondere unserer badischen Regierung bekämpfen, um für
Einführung der Republik zu wirken.
W Aus dem öden wälder Theil des Wahl-
bezirks Heidelberg, 22. März. Nächsten Dienstag
soll für den Abgeordneten Helm reich ein Ersatzmann in
die 2. Kammer gewählt werden, und wir hören, daß Helm-
reich sich Mühe gebe, die Wahl auf sich zu lenken, da er
durch feinen Austritt nur habe erproben wollen, ob er das
Vertrauen seiner Wähler besitze. Wenn das wahr ist, so
sind es sonderbare Winkelzüge von Herrn Helmr eich. Mag
er indessen seinen Austritt betrachten für was er will, wir
sehen kein Spiel in ihm; uns ist es vollkommen ernst mit
der Meinung, daß in die bestehende Kammer gar nicht ge-
wählt werden dürfe. 10 Wahlmänner des Odenwaldes
werden an der Wahl keinen Theil nehmen, nämlich die von
Altneudorf, Altenbach, Börsbach, Eiterbach, Heiligkreuzstei-
nach, Wünschmichelbacb, Nittersweier, Wilhelmsfeld und aus
Schönau einer von den 4 Wahlmännern, von welchen einer
erst Tuchlieferungen von der Regierung bekommen hat, weß-
halb ihm natürlich nicht zuzumuthen ist, für dieses Stück
Regierungsbrot ein Volkslied zu singen. Wir hoffen aber,
daß wir dahinten im Odenwald nicht allein bleiben, sondern
daß die Wahlmänner in der Ebene ebenfalls Ehrgefühl ha-
ben und in eine keines Vertrauens mehr werthe Kammer
nicht wählen werden. Was soll denn auch dabei heraus-
kommen, wenn wir wieder Einen hinein schicken? Der wird
die Rechte wahrlich nicht links machen, und das Volk wird
nach wie vor geprellt sein. Also wählen wir in Gottes Na-
men für diesmal nicht!
Waldkirch, 22. März. In einer heute Morgen
dahier abgehaltenen vorberathenden Versammlung der Wahl-
männer des 14. Wahlbezirks wurde beschlossen, eine Erklä-
rung zu unterzeichnen, daß man sich an der von der
Regierung ungeordneten Wahl nicht betheiligen
werde. Zugleich wurde ein Schreiben an den großherzog-
lichen Wablkommissär abgefaßt, welches denselben zur schleu-
nigen Zurücknahme der Wahlausschreibung auffordert, und
Verwahrung gegen die durch Unterlassung der Zurücknahme
für die Wahlmänner entstehenden Kosten einlegt.
(Oberrh. ZI
Hrmover. In Hanover ist die Ministerunverschämt-
heit bis zum höchsten Grad gediehen. Bekanntlich sträubte
sich die hanöverische Regierung unter den kleinern Negierun-
gen Deutschlands von jeher am Hartnäckigsten gegen die un-
bedingte Unterwerfung unter die Beschlüsse der Nazionalver-
sammlung in Frankfurt, und bestand fest darauf, die Regie-
rungen müßten erst Ja und Amen dazu sagen. Sie hatte
einen starken Hinterhalt an dem preußischen Ministerium,
das sie stets zu Rathe Zog, versteckte aber ihre wahre An-
sichten hinter einem Schein von Gesetzlichkeit, indem sie sich
darauf berief, daß nach der hanöverschen Verfassung in Ha-
nover kein Gesetz gütig sei, das nicht von der Ständever-
sammlung berathen und vom König genehmigt sei. Am 19.
Februar hatte jedoch die 2. Kammer wiederholt den Be-
schluß gefaßt (mit 56 gegen 18 Stimmen), daß die Grund
rechte sogleich mit Gesetzeskraft zu verkündigen und die nö-
thigen Ausführungsgesetze vorzulegen seien. Stüve (Mi-
nister des Innern) zeigte in derselben Sitzung an, daß das
Ministerium vom König seine Entlassung begehrt habe. Die
Kammern setzten indessen ihre Verhandlungen fort, ohne daß
 
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