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Der Volksführer — 1849

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No. 96 - No. 100 (25. April - 30. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.52472#0305
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men in Heidelberg in der S.
Mohr' schen Buchdrucker«, a»s-
wärts, sowohl im Großerzogth«
Baden, als außerhalb desselben-
bei allen Postämtern. — Briese
werden franko erbeten.

Erscheint täglich, mit Ausnahme
des Sonntags, «nd kostet bei den
Posten innerhalb des Großh.
Baden halbjährlich st. 2. 30 kr.
Für Anzeigen wird der Raum ei-
ner dreispaltigen Petitzeilr Mit
S Kreuzern berechnet.

Der Volksfuhrer.

Heidelberg, Freitag 27. April.


Die Verfassung des sogenannten deut-
schen Meiches.
Was die deutsche verfassunggebende Nazionalversamm-
lung unter dem 28. März beschlossen und verkündigt hat,
fängt mit einer Lüge an, indem es heißt: „Das deutsche
Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bun-
des." Abgesehen von dem noch nicht beseitigten Widerstand
der Könige von Sachsen, Hannover und Bayern, wird der
Kaiser von Oesterreich mit seinen deutschen Ländern nie frei-
willig in das „Reich" treten; und ihn zu zwingen, dafür
hat die Paulskirchenversammlung die Zeit verstreichen lassen.
Das „deutsche Reich" wird also, in so fern es zu Stande
kommt, wenigstens die deutschösterreichischen Länder einbüßen
müssen.
Im ersten Abschnitt der Verfassung, die vom „Reich"
handelt, ist bestimmt, daß die Einzelstaaten, und damit mei-
nen sich die Regierungen der Einzelstaaten (nach dem
fürstlichen Grundsatz: „der Staat bin ich"), ihre Selbststän-
digkeit behalten, so weit dieselbe nicht durch die ReLchöver-
fassung beschränkt ist; sie haben also alle Hoheiten und Rechte,
welche nicht der Reichsgewalt ausdrücklich übertragen sind.
Von der Selbstherrlichkeit des Volkes ist keine Rede.
Der zweite Abschnitt handelt von der „Reichsgewalt",
d. h. von der Reichsregierung, von ihren Rechten und
Pflichten.
Die Reichsgewalt hat allein das Recht, Gesandte an
auswärtige Negierungen zu schicken, und solche von auswär-
tigen Regierungen zu empfangen; die Einzelregierungen ha-
ben dieses Recht nicht mehr. Die Reichsgewalt allein schließt
Bündnisse und Verträge (wegen Handel und Schifffahrt,
Auslieferung der Verbrecher u. s. w.) mit dem Ausland ab.
Sie allein hat das Recht, Krieg und Frieden zu schlie-
ßen; ihr steht die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands
zur Verfügung; sie erläßt die Gesetze für das Heerwesen
und ernennt im Krieg die kommandirenden Generäle; die
Seemacht steht ganz allein unter ihr, und kein Einzelstaat
darf Kriegsschiffe für sich halten.
Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht über alle Schiff-
fahrtsanstalten.
Sie hat die Oberaufsicht und erläßt die Gesetze über
die Eisenbahnen und die Landstraßen und Kanäle.
Sie erläßt die Gesetze über das ganze Zollwesen und
führt die Oberaufsicht über die Erhebung der Zölle, über
den Handel, die Schifffahrt und das Gewerbswesen, so wie
über das Post- und Münzwesen.
Der dritte Abschnitt handelt vom „Reichsoberhaupt."
Die Würde des Oberhauptes wird einem regierenden Für-
sten mit dem Titel „Kaiser der Deutschen" übertragen, und
vererbt sich im Mannsstamme dieses Fürsten nach dem Recht
der Erstgeburt.
Der Erblasser bezieht eine „Zivilliste" (Besoldung);
er ist unverletzlich und unverantwortlich; er übt die Reichs-
gewalt durch verantwortliche Minister aus. Er hat den
Reichstag zu berufen und zu schließen; er darf das Volks-

haus auflösen; er hat das Recht, Gesetze vorzuschlagen; er
verkündigt und vollzieht die Gesetze.
Der vierte Abschnitt handelt vom „Reichstag". Der-
selbe besteht aus dem Staatenhaus und dem Volkshaus.
Das Staatenhaus hat 192 Mitglieder, die zur Hälfte von
der Negierung und zur Hälfte von den Landständen der
Einzelstaaten ernannt werden. Sie müssen 30 Jahre alt
sein und werden auf 6 Jahre gewählt.
Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des Vol-
kes, die nach den Vorschriften des Neichswahlgesetzes auf 3
Jahre gewählt werden.
Ein Beschluß eines Hauses kann gefaßt werden, wenn
die Hälfte seiner Mitglieder anwesend ist; es ist sodann
einfache Stimmenmehrheit erforderlich. Jedes Haus darf
Gesetze Vorschlägen, Beschwerde führen, Addressen (an den
Erbkaiser) erlassen und die Minister anklagen.
Ein Neichstagsbeschluß kann nur durch die Ueberein-
stimmung beider Häuser zu Stande kommen. Ein solcher
ist erforderlich zur Erlassung von Neichsgesetzen, zur Feststel-
lung des Reichshaushaltes, zur Aufnahme von Anlehen, zum
Abschluß von Verträgen mit dem Ausland u. s. w. Die
Bewilligung von Ausgaben steht allein dem Volkshaus zu;
das «Ltaatenhaus darf nur Erinnerungen und Ausstellungen
machen, über welche das Volkshaus endgiltig beschließt.
Einen Reichstagsbeschluß, dem die Neichsregierung nicht
zustimmt, braucht diese nicht sogleich zu vollziehen, sondern
nur dann muß sie Dies thun, wenn derselbe Beschluß auf
drei ordentlichen Reichstagen hinter einander gefaßt wird.
(Dies nennt man das „suspensive Veto" oder „aufschiebende
Einspruchsrecht" des Staatsoberhauptes.) Unter ordentli-
chen Reichstagen sind diejenigen verstanden, die alle Jahre
stattfinden und wenigstens 4 Wochen dauern müssen.
Der fünfte Abschnitt handelt von dem „Reichsgericht".
Dieses hat hauptsächlich zu entscheiden über Klagen eines
Einzelftaates gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der
Neichsverfassung, so wie der Reichsgewalt gegen Einzelstaa-
ten in demselben Betreff; über Streitigkeiten zwischen dem
Staatenhaus, dem Volkshaus und der Reichsregierung we-
gen der Auslegung der Reichsverfassung; über Streitigkeiten
zwischen den ELnzelstaaten und den Regierungen und Land-
ständen der Einzelstaaten; über Klagen einzelner Neichsbür-
ger gegen die Negierung eines Einzelstaates oder des Reiches.
Der sechste Abschnitt enthält die „Grundrechte." Die-
selben sind bekannt.
Der siebente Abschnitt handelt von der „Gewähr der
Verfassung." Der zur Regierung gelangende Erbkaiser lei-
stet vor versammeltem Reichstage den Eid auf die Reichs-
verfassung; ebenso die Reichsbeamten beim Antritt ihres Am-
tes. Keine Verfassung und kein Gesetz eines Einzelstaates
darf mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen. Eine
Abänderung der letzteren kann nur durch einem vom Reichs-
tag (von beiden Häusern) gefaßten und von dem Erbkaiser
genehmigten Beschluß bewirkt werden. Zu einem solchen
Beschluß müssen jedoch in jedem Hause wenigstens 2 Drittel
der Mitglieder anwesend sein; es bedarf dazu zweier Ab-
stimmungen, bei denen sich jedesmal eine Stimmenmehrheit
 
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