58. Fortsetzung
Wieder wandelt er einige Male um den Tisch
in Ser Mitte des Gemachs. Dann fährt er fort:
..Eine unerfreuliche Stimme in meinem Innern
sagt mir, daß auch Rom der Tyrannis ver-
fallen wird, wahrscheinlich schon in ein bis zwei
Menschenaltern: die Verpöbelung ist so weit
vorgeschritten, daß man sich aus ihren Zügen
das Gesicht des neuen Jahrhunderts bereits
malen kann. Mir ist, als sähe ich die Burschen
schon vor mir, die Platons letztes Stadium bei
uns verwirklichen werden: üble, von Selbst-
sucht und Größenwahnsinn zerfressene Kerle,
ohne eine Spur von Selbstkritik, geschweige
denn Selbstironte! Aber-darf mich diese
Vision verkümmern zum Fatalismus? Nein!
Ich werde bauen, und wenn meine Nachfolger
das Werk wieder verfallen lassen, so ist das
nicht meine Schuld! Ich wäre nur dann schul-
dig, wenn ich nichts täte. Es gibt keinen Be-
stand in der Geschichte; es gibt nur immer neue
Taten. Was ist von Babylon geblieben? Von
Hellas? Von Alexanders Niesenreich? Auch
dort sind die besten Baumeister am Werk ge-
wesen. und dennoch —! — Die Himmlischen
haben offenbar am Wechsel der Erscheinungen
mehr Freude als am Verweilen des Guten.
Wir aber müssen die Götter zu ihrem eigenen
Besten davon überzeugen, daß im irdischen Be-
stand auch ihr Bestand verankert ruht! —
Nimm deinen größten Bogen, Epicadus!"
Der Freund setzt sich mit dem Schreibzeug
bereit.
„Schreib darüber: Erster Entwurf der Cor-
uelischen Gesetzgebung.
Erster Grundsatz: Die Geschichte ist das wich-
tigste Lehrbuch des Herrschers. Wahre Staats-
kunst muß sich an den Erfahrungen der Vor-
fahren schulen und die Ehrfurcht vor ihren
Taten pflegen: Ueberlieferung ist größeres
Leben. Veraltetes mutz der Gegenwart ange-
vaßt werden; geschichtslose Neuerungen da-
gegen und Einführung landfremder Verfassun-
gen sind als Landesverrat zu behandeln.
Zweiter Grundsatz: Die Herrschaft im Staat
hat von den Besten auszugehen. Die Besten
sind diejenigen, die sich selbstlos für das Ge-
samtwohl einsetzen und die Kraft haben, ihren
Willen durchzudrücken. Sie sind durch Wahl
zu ermitteln; sind sie einmal vom Vertrauen
ihrer Mitbürger gewählt, so bleibe Mißtrauen
ihnen fern. Das Streben nach vererbbarer
Alleinherrschaft ist verbrecherisch; denn es setzt
Famtlienselbstsucht über das Gemeinwohl. Ge-
nialität vererbt sich selten, Eigensucht oft; die
Gesamtheit erbt dabei schlecht.
Dritter Grundsatz: Niemand kann auf die
Dauer gegen den Willen des Volkes regieren;
jeder Tyrann erwürgt schließlich sich selber,
Doch hat eine kluge Regierung das Volk zu
erziehen! Solange der Populus nicht zum
Pöbelus geworden ist, wird er dankbar einer
Regierung folgen, die selbstlos ihm eine große
Idee voranträgt. Die Erziehung kann über-
zeugen, überreden oder zwingen; versagen
alle diese Mittel, Sann hat die Regierung eben
keine Idee, sondern nur eine Sucht vorange-
tragen. — Voraussetzung für eine solche Erzie-
hung ist ein einheitliches Volkstum: Fremd-
körper müssen aus dem Leib des Volkes her-
ausgeschnitten werden. Hierfür ist jedes Mit-
tel recht; denn cs geht um Leben und Bestand
der Nation.
Hast du diese Grundsätze, mein Freund?"
Epicadus nickt.
„Gut; dann schreib jetzt:
Das Volk. — Alle freibürtigen Bewohner
Italiens genießen das gleiche Vollbürgerrecht.
Ausgenommen hiervon sind Ausländer und
Freigelassene: sie stehen unter Fremdenrecht;
ihren Kindern kann das Vollbürgerrecht ge-
währt werden, wenn sie sich bewähren. Der
Sklave steht unter dem Recht seines Herrn. —
Das Vollbürgerrecht erlaubt jedem Einzelnen,
als Wähler an den Aufgaben des Staates mit-
zuarbeiten und sich um jedes seiner Aemter
zu bewerben.
Gleichen Aufgaben müssen gleiche Pflichten
gegenüber stehen. Erste Pflicht jeden Bürgers
ist, tätig zu sein. Italien bietet -Boden und
braucht Brot. Das Land erzeugt, die Stadt
verzehrt. Wenn die Erzeuger vom Pflug weg-
laufen und sich in Sen Städten zum Circus
drängen, dann verkommt das Reich. Dadurch,
daß die Gracchen und ihre Nachbeter die un-
entgeltliche Kornverteilung in Nom eingeführt
haben, wurde die Ansammlung von Pöbelmas-
sen in der Hauptstadt überhaupt erst ermöglicht.
Nimm ihnen die Unterstützung, die eine Prä-
mie ihrer Faulheit ist, und sie werden Rom er-
freulich entschwängern. Ich bestimme, daß die
Kornverteilungen aufhören. Onod valde do-
leo."
Epicadus hebt den schmalen Kopf: „Das wird
Staub aufwirbeln, Lucius!"
„Das soll es ja auch, namentlich auf den
Landstraßen, Sie von Rom wegführcn! An-
fangs wird der Janhagel protestieren; ja er
wird sogar ein wenig revoltieren, erfolglos,
versteht sich, und dann wird er murrend sein
Bündel schnüren und mit einem letzten Weh-
mutsblick auf den Circus von dannen ziehen,
nachdem er sich bei der Ansiedlungsbehürde sein
Landlos geholt hat. Zeigt es sich, daß er fürs
Land bereits verdorben ist, so muß er ver-
recken; denn in der Stadt verreckt er ohne-
hin! — Weiter:
Die Bolkstribunen. — Diesen Anwälten
hemmungsloser Massenbegehrlichkeit stutzte ich
die Flügel sehr kräftig; denn ihr Ehrgeiz nährt
sich an minderwertigen Instinkten! Sie wollen
die Massen kitzeln und befriedigen, es koste den
Staat, was cs wolle, — wenn sie selber nur
auf den Schultern der Volksgunst zu hohen
Aemtern emporklimmen können: Schädlinge
schlimmster Sorte! — Also schreib, Epicadus:
Die Volkstribunen dürfen den Volksversamm-
lungen nur solche Gesetzesvorschläge zur An-«
nähme vorlegen, die vom Senat bereits ge-
nehmigt sind. Ihr Einspruchsrecht wird be-
schränkt. Mißbrauchen sie es, so fallen sie in
schwere Geldstrafen: das tut ihnen am wehe-
Ueber das tiefgrüne Wasser des Königssees
gleitet ein Kahn. Das letzte Leuchten spielt
um Sie Felsen- und Schneepyramide der
Schönfelöspitze, und die Schneebänder der
Watzmann-Ostwand gleichen Streifen violet-
ter Seide. Dunkelblau starren die Hochwälder
in den Spiegel des Wassers. In das Tal des
Bergsees ist schon die Dämmerung eingczvgen,
und alle Farben sind verwischt. Nur oben liegt
noch Sonne, und weit hinten am See flim-
mert ein Licht. Dort liegt Bartholomä. Die
Furchen, die der Kahn durch das stille Wasser
zieht, nähern sich immer mehr dem klösterlich
einsamen Jagdschloß. Es wird Nacht, als der
Kahn dem schmalen Uferstreifen entgegen-
streicht. So friedlich-still ist es, daß man das
Knirschen des Kieses weit über den See hört,
als der Kahn am Ufer ausfährt. Ein Bauern-
bursche springt zum Steg hin und lauft in
hastiger Eile zum Jagdschloß.
Schrill läutet die Glocke. Eine Tür fliegt
auf. Stimmen werden laut. „Was gibt's?"
schreit ein alter Jäger dem Burschen zu.
„Kreuzkruzitürk'n — dös geht no ab. Der
Prinzregent will nicht gestört sein", setzt der
alte Jäger hochdeutsch zu seinem Dialektaus-
ruf hinzu. Der Bursche gibt den Brief ab und
eilt zu seinem Kahn zurück. Zögernd, mit dem
Briefe in der Hand, steht der alte Jäger vor
der Tür des großen Jagdzimmers. Er wagt
es nicht, mit diesem Brief einzutreten. Ner-
vös läßt er den weißen, schweren, langen Brief
durch seine knochigen faltigen Hände spielen.
»Jetzt, grad jetzt an Prinzregent stören. Der
is' doch so müd'. War an ganzen Tag auf der
Jagd", murmelhe er in seinen mächtigen
grauen Bart. Alle Jäger von St. Bartholomä
haben aus Verehrung für ihren hohen Jagd-
herrn, den Prinzregeuten Luitpold, einen lan-
gen Bart wachsen lassen. „Dös geht doch nöt,
daß man den alten Herrn mit derer Regiererei
stört. An Neunzigjährigen no so plag'n, dös
is doch allerhand."
Dann entschließt er sich doch, einzutreten.
Langsam geht er auf den Tisch zu, wo seine
Jagdkollegen um Sen Tisch Herumsitzen und
über irgend ein Jagderlevnis plaudern. Der
Prinzregent sitzt etwas zurückgelehnt in sei-
nem eichengeschnihten Stuhle. Die Augen
blicken noch frisch. Die Stirne wölbt sich fast
faltenlos. Nur das schneeweiße Haar auf dem
großen, prächtigen Kopfe und der lange silber-
graue Bart verraten das hohe Alter. Die
Hände ruhen auf dem Tische. Seine König-
liche Hoheit lieben es, einige Stunden mit den
Jägern zu plaudern. Lebhaft spricht er, voll
Begeisterung für das Weidwerk und die Schön-
heit der Berge- Und zum Erzählen wünscht er
sich stets das gleiche, was seine Jäger sich wün-
schen: den Steinkrug mit dem kühlen, braunen
Naß guten bayerischen Bieres.
Heute hatte er einen schweren Jagdtag, hoch
oben im Revier des stolzen Watzmanns. Und
nach so einem Jagdtag wird erzählt von Gem-
sen und Wilderern und guten und schlechten
Schützen. Gerade als der Prinzregent herzlich
über einen Witz lachte, verneigte sich der alte
Jäger, der Sen Brief in der Hand hält. In
der Verneigung liegt gewissermaßen eine Ent-
schuldigung für die unliebsame Störung.
Der Prinzregent greift nach dem Briefe, be-
sieht sich stirnrunzelnd die verschiedenen Stem-
pel und Aufschriften. Im Jagözimmer ist es
Mäuschenstill geworden. Hätten die Jäger,
statt verlegen auf den Tisch zu sehen, ihren ho-
sten. Gewesene Volkstribunen behalten Sitz
und Stimme im Senat; im übrigen aber be-
stimme ich, daß diejenigen, die das Volkstri-
bunat bekleidet haben, zur Uevernahme ande-
rer, höherer Aemter unfähig geworden und
von der Bewerbung ausgeschlossen sind."
Jetzt fährt Epicadus überrascht empor:
„Blitz und Donner: das wird einschlagen, Lu-
cius!! Damit brennst du der Hydra die
Stümpfe aus!!"
„Tut auch not! Weißt du: dies ist die ein-
zige Möglichkeit, befähigten Köpfen, nament-
lich aus den oberen Ständen, das widerliche
Buhlen um die Pöbelgunst zu verleiben und
sie zu sachlicher Mitarbeit im Staat zu erzie-
hen. Bolkstribunen werden eben künftig nur
noch platte Burschen werden mögen, die damit
zufrieden sind, sich demagogisch zu brüsten und
ihr parlamentarisches Geplätscher von der Tri-
büne herab ins Volk zu pinkeln, ohne daß ihre
Minderwertigkeit noch zur Macht gelangte; so
schalten wir ihre Eitelkeit in einen harmlosen
Leerlauf ein. — Dem Volk kann es gleichgül-
tig sein; denn seine Comitien behalten ja das
Recht, Gesetz zu bestätigen und Beamte zu
wählen. — Ich fürchte nur, daß sich nach mei-
nem Tod doch wieder Hampelmänner finden
werden, die sich vom Volk am Schnürchen zie-
hen lassen möchten, und ich wäre nicht verwun-
dert, wenn das Tribunat seine bisherige Un-
rechte zurück erhielte! Kein Bedürfnis in der
Welt scheint so unausrottbar wie die Sucht ge-
wisser Streber, dem breiten Pöbel hinten hin-
einzukriechen: Bandwürmer mit umgekehrter
Marschrichtung! — Doch das hat mich nicht zu
kümmern! Weiter, mein Freund, schreib:
lFortfetzung solgtl.
hen Jagdherrn angeblickt, sie würden ihn nicht
wieder erkannt haben. Krankfahl ist plötzlich
sein Gesicht geworden. Die Augen blicken müde
auf die Schriftzüge des Briefes. Dann erhebt
er sich langsam, stützt sich mit beiden Händen
an der Tischkante, verweilt einen Augenblick
noch. Dann zeigt sich wieder die Rüstigkeit
des Neunzigjährigen. Er reißt seinen Körper
herum und geht festen Schrittes aus dem Jagd-
zimmer. „Wia kannst Du jetzt den Brief abge-
ben, Wastl?"
„Dös hab i doch tun müss'u. Ihr wißt doch,
was der Prinzregent gesagt hat: „Wenn ich
auch schon ein Neunziger bin, aber meine
Pflicht muß ich als Regent von Bayern erfül-
len."
„Scho, scho, dös hat er g'sagt. Aber gerade
jetzt . . ."
Die Jäger brechen ihre Unterhaltung ab
und verabschieden sich. Sie wissen, daß der Re-
gent, wenn er zu arbeiten hat, nicht mehr so
schnell zurückkehren wird.
Prinzregent Luitpold arbeitet nicht, er ist in
die Kirche hinübergegangen, um zu beten- „Es
ist zu bedenken", heißt es in diesem Briese sei-
nes Ministerpräsidenten, „daß diesmal das
Todesurteil vollstreckt werden muß. Das Volk
würbe cs nicht verstehen, wenn dieser Massen-
mörder begnadigt werden würde."
Er soll über das Leben eines Menschen .ent-
scheiden. Keuchend ringt sich der Atem empor.
Wie kalt es in der Kirche ist! Fröstelnd schüt-
telt er die Schultern. Seine Hände, die zum
Gebet ineinander verkrampft sind, lösen sich.
Schlaff werdend gleiten sie herab über den Bet-
stuhl. Unendliche Müdigkeit liegt in dem Blick
seiner Augen, die zum Kerzenlichte am Altar
emporsehen. Im rötlichen, flackernden Lichte
zuckt der Schatten des Regenten die kahle Kir-
chenwand entlang. Halblaut kommt es von
seinen Lippen: „Herr vergib uns . . ." Die
Worte singen leise wie feines Geigenspiel durch
das Gotteshaus. Ganz still steht nun die
Flamme der Kerze. Man hört sogar das
Plätschern des Wassers am Ufer in die Andacht
hinein. . . das Säuseln der großen, schlanke»
Tannen, als flüsterten sie, um das Gebet des
Regenten nicht zu stören.
Das Volk wünscht cs, „ ... es würde nicht
verstehen, wenn der Massenmörder begnadigt
werden würde." Noch nie hat der Prinzregent
ein Todesurteil unterschrieben. Diesmal muß
er es tun.
Tränen tropfen auf den Betstuhl nieder.
„Was hab' ich getan, daß ein Mörder unter
meinem Volke ist?"
Des Regenten Blick irrt zum Fenster hin.
Ueber dem Hochwalde leuchtet ein Stern. Wie
diese Gottesblume ihm zunickt, als nickte der
Ewige dort oben ihm zu! Der Herrscher er-
hebt sich, schreitet zum Altar hin, sinkt in die
Knie und spricht das Gebet für den, der mor-
gen oder übermorgen zur Richtstätte geführt
wird.
Ruhig geworden, verläßt der Regent das
Gotteshaus. Knarrend schließt sich die Tür.
Als er über den Schloßplatz geht, schlägt von
irgendwoher eine Uhr die Mitternachtsstunde.
Noch ehe der Morgen graut, stößt ein Kahn
vom Ufer ab. Mit eiligen kräftigen Ruder-
schlägen bahnt sich der Schloßvote seinen Weg
durch den See. Der Brief, den er nach Berch-
tesgaden zu bringen hat, enthält Sie Bestäti-
gung eines Todesurteils. Sie war die erste
und die letzte.
Mm mm dem EOüksal
mchWft
Eva im Paradies hatte es einfach! Sie
brauchte nur den Apfel auszustrecken, und
schon saß ein Adam dran. Eva Neuhof hatte
es dagegen schwerer. Sie stand im Beruf, Ser
ihre Zeit ausfüllte. Sie war Schwester, und es
fehlte ihr in der Stadt an Bekannten. So
mußte sie dem Schicksal etwas nachhelfett, wenn
sie nicht als alte Jungfer sitzen bleiben wollte.
Also gab Eva Neuhof eine Anzeige auf:
„Junges Mädchen, beruflich tätig, fleißig, spar-
sam, gesund und, wie man sagt, hübsch, möchte
sich mit einem Mann in fester Stellung und
mit gutem Charakter verheiraten. Angebote
unter..." Die Worte waren alle sehr überlegt,
sie glaubte, richtig ausgedrückt zu Haben, was
sie suchte und was sie einem Mann zu bieten
hatte. Die Chiffrenummer setzte der freund-
liche Herr von der Zeitung ein.
Am nächsten Tag flog das Blatt in viele
Häuser, und Eva Neuhof war sehr aufgeregt.
Zuerst glaubte sie, jeder sähe es ihr an, daß
sie die Verfasserin des öffentlichen Aufrufes
wäre. In der Nacht träumte sie, jeder Mann
der Stadt schriebe ihr einen Brief und die
weißen und bunten Umschläge regneten auf
ihr Bett.
Es wurde aber nicht so schlimm. Zwar hatte
nicht einmal jeder zweite Mann geschrieben,
aber immerhin, die Handtasche, in die Eva die
Briefe gesteckt hatte, ging nicht mehr zu. Es
genügte.
Eva Neuhof las. Manche Briefe waren sehr
albern — o, wie selbstgefällig waren die Män-
ner! —, einige waren ernsthafter, und Eva
Neuhof machte gleich zwei Haufen und schied
so die Schafe von den B..., sagen wir Läm-
mern.
Ein Brief gefiel ihr in seiner Schlichtheit am
besten. Er enthielt überhaupt kein Eigenlob,
war kurz, sachlich, ganz männlich: „Ich las mit
Interesse Ihre Anzeige und bitte Sie, in den
nächsten Tagen zwischen zehn und elf bei mir
vorzusprechen." Diesen Brief beantwortete Eva
Neuhof zuerst, und zwar schrieb sie, daß sie aus
verständlichen Gründen nicht ins Kontor kom-
men möchte — später gern, aber für diesmal
schlage sie Cafs soundso vor, und sie werde dort
warten, kenntlich an einer roten Rose im
Knopfloch.-
Mit dem sachlichen, höchst männlichen Brief
hatte cs nun folgende Bewandtnis. Herr
Lehmann suchte eine Schreibgehilfin, annon-
cierte deswegen in der Zeitung und schrieb
gleichzeitig auf einige Stellengesuche. Aus Ver-
sehen aber hatte er auf einen der letzten Briefe
eine verkehrte Chiffre geschrieben, und so ge-
langte dieser, gegen die Absichten des Absen-
ders, in Eva Neuhofs rosige Hände.
Herr Lehmann war nicht wenig erstaunt,
als er unter den vielen Bewerbungen einen
Brief vorfanö, in dem die junge Dame um
ein Stelldichein im Kaffeehaus bat. Man kann
wohl sagen, daß dieser Brief unter der Menge
genau so auffiel, wie sein Brief unter denen
der Heiratslustigen. Was nun?
Jedenfalls besaß die junge Dame Schneid.
Wer Schneid hat, ist auch zu gebrauchen. Herr
Lehmann rief seinen Prokuristen und fragte,
ob er vielleicht... Der aber hielt gleich beide
Hände hoch. Auf keinen Fall! Wenn seine Frau
etwas davon erführe! Mit einem Mädchen im
Kaffeehaus! Außerdem könnte das ja eine
Hochstaplerin sein. Er jedenfalls rate ergebenst,
aber entschieden ab.
Herr Lehmann tat grundsätzlich das Gegen-
teil von dem, was sein Prokurist sagte. Da
dieser mit der Zeit meist das Gegenteil von
dem sagte, was er meinte, hatten die beiden
sich ganz gut eingelebt. Also Herr Lehmann
ging nun gerade hin.
Dem Prokuristen war und blieb die Sache
nicht geheuer. Er wartete einige Stunden,
wartete über Geschäftsschluß. Von seinem Chef
keine Spur. Da beschloß er endlich, in das be-
wußte Cafe zu gehen.
„Ein dicker, freundlicher Herr mit Glatze?
Eine Dame mit einer Rose an der Brust?
Kennen mir nicht."
„Ja so", meldete sich Sie Kellnerin. „Sie
meinen Sie Dame, die so hell lachen konnte,
was? Ja, die beiden sind eingehakt weggegan-
gen. Was haben sie viel gelacht! Und dann
haben sie sich ein Auto genommen und..."
„Danke!" sagte der Prokurist. Er war jetzt
auf alles gefaßt. Wenn nur das Geschäft kei-
nen Schaden erlitte. Halb gebrochen kam er zu
Hause an.
Am nächsten Tage saß der Chef schon früh
am Arbeitstisch, strahlend, mit einer knallroten
Rose im Knopfloch. Er war nicht wieder zu er-
kennen.
„Gut, daß Sie kommen", sagte er zu seinem
Prokuristen. „Hier, rauchen Sie mal 'ne
Zigarre. Brasil, prima. Na — was machen
Sie denn für'n Gesicht? Kopf hoch, Kopf hoch,
Meier! Das Schicksal ist gar nicht so schlimm,
und im Notfall muß man eben ein bißchen
nachhelfen. Merken Sie sich diese Lebensregel!
Und nun halten Sie sich mal am Stuhl fest.
Sie müssen eine Anzeige zur Zeitung bringen
lassen: Eva Neuhof, Horst Lehmann, Verlobte.
Auf alle Fälle gestriges Datum. Da staunste,
was?"