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Volksgemeinschaft: Heidelberger Beobachter, NS-Zeitung für Nordbaden (3) — 1933 (Mai-Juni)

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Nr. 132-157 (1. - 29. Juni)
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„8iieiel, mukl Kerben ..
Der Kommißstiefel verschwinte» aus -er Reichswehr
Don Werner Nildemeister.

Jung ist er nicht mehr, der gut«, treue Kom-
mißstiefel, den man jetzt in der Reichswehr auf
den Aussterbeetat gesetzt hat, aber fabelhaft tuns
bat er sich allen widrigen Zeitläufen »um Trotz
gehalten. Er gehört zu den besten Uvberlieferun-
gen deutschen Heerwesens. Gewiß, von der Par-
teien Haß und Gunst verwirrt, schwankt lein Eha-
rakterbild in der Geschichte, Nachdem er noch im
Ringen des Weltkrieges fein« Stellung voll und
ganz behauptet hatte, erhob sich nach Friedens-
schluß im kleinen deutschen Reichsheer ein erbit-
tertes Ringen um das Dasein besagten Kommiß-
stiefels. Hier Kommißstiefel — dort Schniirschuhl
Jahrelang wogt« der Kampf der Meinungen Lin
und her. Fast schien es, als sei dem schweibduften«
den, zähen „Kommitzbock" von Stiefel in der
deutschen Arme« trotz aller Todesvrophezeiungen
ein ewiges L«bsn in Arbeit und Würde gewähr-
leistet worden, als plötzlich «in« der Nornen, die
ihm sicher gram geworden sein mußte, feinen Le-
bensfaden mit rauher Hand zerschnitt.
„Wollt ihr Rackers denn ewig leben?- Diese
Frage des Alten Fritz mag sich mancher preußische
oder bayerische oder sächsische Kammerunteroffizier
unzählige Male unbewußt vorgehalten haben,
wenn er die langen Reihen von Kommißstiefeln
tiefsinnig betrachtet«. Generationen junger Rekru-
ten bestanden in den Jahrzehnten vor dem' Krieg«
in diesen Stiefeln ihre militärische Reifeprüfung.
Nächst der Tüchtigkeit des deutschen Schulmeisters
war es vor allem der vielgeliebte und zu Unrecht
verlästerte Kommißstiefel des «infachen Grena-
diers, der dem groben Schweiger Moltke den
siebziger Krieg gegen di« Franzosen gewinnen
half. Von dieser Tatsache beißt kein« Maus auch
nur einen Faden ab. Und wer war der stille un-
bekannte Held des Weltkrieges? — Der namen-
lose „Fußlatscher" mit seinen kalk- und lehmver-
schmierten Kommißstiefeln! Aber was mußte so
ein armer Stiefel alles an Beleidigungen und
schnöden Verdächtigungen einstecken! Wurde das
von der Gulaschkanone zu „Drahtverhau" oder
„Fußlappen" beigelegte zähe Rindfleisch nicht
weich, murrten unser« Lanzer, der Küchenbulle
habe wohl wieder einen alten Kommißstiefel in
den Kompagniekessel geworfen. Und zur Strafe
begann dann in der Mchsten Ruhestellung ein Wie.
nern, Kneten und Spannen, daß dem armen
Kommißstiefel ob dieser liebevollen Behandlung
ganz schwarzschmierig vor Augen wurde. Dennoch
rächte er sich nicht, sondern stellte auf nicht enden-
wollenden Märschen wie in der Hölle zermürben-
der Stellungskämpfe seinen Mann. Nur mit den
flandrischen Sümpfen konnte er sich nie so recht
befreunden, sondern blieb dort öfter, als feinem
Träger lieb, im Morastgelände elendiglich stecken.
Aber wie gesagt: Er überlebte den Weltkrieg!
Außer seiner materiellen, besitzt der Kommiß-
stiefel auch noch so etwas wie eine symbolische Be-
deutung. Wenn der preußische Militarismus von
seinen Gegnern in der Welt verächtlich gemacht

werden sollte, zeichneten deren Karikaturisten ent-
weder «in« Pickelhaube oder den Kommißstiefel
und »war am liebsten den wuchtigen, mit großen
Sporen versehenen Kanonenstiefel Bismarcks, da-
neben auch den kurzen, knorrigen Schaftstiefel des
deutschen Infanteristen. Auch die Dichtkunst be-
mächtigte sich seiner. Dor einst viel gelesene Mi-
litärschriftsteller Freiherr von Schlicht -- ihn deckt

seit geraumer Zeit der grün« Rasen — setzt« mit
so mancher seiner köstlichen kleinen Humoresken
dem alten ehrlichen Kommißstiefel «in bleibendes
Denkmal im Herzen des wehrfreudigen deutschen
Volkes. Das alles sollte man nicht vergessen,
wenn man der ruhmvollen Ueberlieferung dieses
treuen Gefährten zahlloser deutscher Soldaten ge-
denkt!
Der preußisch-deutsche Kommißstiefel ist über-
haupt nicht totzukriegen. Mag ihn die Reichs-
wehr aus Zweckmäßigkeitsgründen eines Tages
nicht mehr tragen, so ändert das nichts an seiner
Bedeutung. Der Unsterblichkeit in der Geschichte
unseres stolzen Heerwesens ist er sicher!


Das Haus in der Eifel

Holzschnitt von Geo Tyroller.

Verbranntes Brot
Von K. Struppe.
Ebe sich's der kleine Bäckerlehrling recht versah,
hatte er eine saftige Ohrfeige weg. Er hatte die
roggenen Pfundwecken anbrennen lassen, und sein
Meister neigte — dem Himmel sei's geklagt! ---
zum Jähzorn.
Uebrigens war der Schaden bei weitem nicht
so groß, wie der Meister erst befürchtet batte,' nur
drei Wecken waren am Rande so schwarz, daß man
sie füglich nicht verkaufen konnte. Die Meisterin
legte sie deshalb beiseite, und als im Laufe des
Nachmittags ein bettelnder Sandwerksbursche in
den Laden kam, erhielt er neben einer Kupfer-
münze auch einen der angebrannten Wecken.
Eosmas, der Lehrling, hatte seine Ohrfeige
längst verdaut und versessen; da erschien gegen
Abend plötzlich ein Schutzmann im Bäckerladen
und erkundigte sich nach verbranntem Brot. Die
Meisterin war etwas gereizt und fragte, ob man
dafür Extrasteuern bezahlen müsse. Der Schutz-
mann, ganz erfüllt von dem Ernst seiner Sendung,
enthielt sich jeglicher Erwiderung, zog die stark
angebrannten Reste eines Roggenweckens hervor
und erkundigte sich, ob das Brot aus diesem La-
den stamme.
„Das wohl", mußte die Meisterin zugeben,
„aber was soll denn das alles bedeuten? Giftig
ist das Brot doch nicht gewesen und verlangt hab
ich auch nichts dafür."
Der Schutzmann sagte, sie werde gleich erfahren,
worum es sich handle, und er ging wieder.
Bald darauf erschien die gerichtliche llnterfu-
chungskommission, und die Meisterin und alle, die
es hören wollten, erfuhren es: die Notburger
Wengg, die alte Häuslerin an der Landstraße nach
Bahlingen, war in ihrer Stube überfallen, be-
täubt und ausgeraubt worden.
Die Meisterin erschrak sehr; denn die Wenggin
war ihre Erbtante.
Der Untersuchungsrichter sagte: „Diese weni-
gen Reste eines angebrannten Weckens sind dis
einzigen Spuren, die der Täter zurückgelassen hat.
Wahrscheinlich hat er sie aus seiner Tasche ge-
worfen, als er das geraubte Geld und anders
Kleinigkeiten einsteckte . . . Und da zufällig heute
nur bei Ihnen verbranntes Brot herauskam, liegt
die Vermutung nahe, daß es der Täter hier erhal-
ten bat und daß Sie uns vielleicht einiges über
seine Person mitteilen können."
Das konnte die Meisterin. Auf Grund der Be-
schreibung, die sie von dem Landstreicher gab, ge-
lang es der Polizei, seine Spur zu verfolgen und
ihn aufzugreifen, so lange er noch im Besitze seines
Raubes war.
„So kann auch verbranntes Brot manchmal für
etwas gut sein", sagte der Meister am Abend zum
Lehrburschen. Und weil er bei allem Jähzorn
doch ein gerechter Mann war, schenkte er dem Los-
inas zu der schon ausbezahlten Ohrfeige noch
einen blanken Taler.


45. Fortsetzung.
Pankraz Wendland stieß mich in die Rippen,
während ich unentwegt übers Rbeinwasser spin-
tisierte.
„Du, fahren kannste noch nit mit der Ponte,
das dauert noch drei Woche!"
Mir blieb der Unterkiefer stehen. Papa Wend-
land lachte mich aus, und dieses Gelache roch mach
Mostheimer Riesling: „Von wege die Stromvoli-
zek, gell. Die muß das erst in Augenschein nehme!"
Noch drei Wochen! Ich würde dann ausgeflittert
haben.
„Komm, Wendland, köpf' eine Flasche, morgen
ist Hochzeit!"
Ich hatte doch noch Lust zum Polterabend be-
kommen, die Ponte war halt eine runde Sache.
Warum ick, so töricht gewesen, den Menschen ihr
bißchen Tratsch anzukreiden. Großer Himmel, über
solche Winzigkeiten mußte Manes Himmerod hin-
aus sein. Kreuz hohl, befahl ich mir, daheim war-
tet einer, der dich lieb hat!
Nein, es warteten mehrere. Es wartete ein
aufgeregtes Menschenspektakel. Zuerst schlug mir
der Schreck die Kniekehlen ein, dann rannte ich
in ängstlichen Sprüngen, mein Herz klopfte bis zu
den Schläfen. Ich war gewohnt, immer vom
Schicksal verprügelt zu werden,, wenn ich mich
glücklich fühlt«,

Diesmal blieb ich verschont, meine Knie straff-
ten sich wieder: Vor Marias Kellerfenster randa-
lierte halb Mostheim mit Adam Anker indertrubeln-
den Vorhut. Der Pastor war gekommen, der Kü-
ster Donatus, der Weichensteller Philipp Weber
und der Landarbeiter Fritz Billen. Ganz vorn
ein Dutzend Messejungen in weißen Chorhemden
mit roten Kragen:
„Das ist der Tag des Herrn, —
Ich steh allein auf weiter Flur!" —
Vier dicke Posaunisten quetschten sich mit ihren
Messingröhren vor:
„Aus der Jugendzeit, — o wie liegt so weit!"
Das wirkte auf die Mgen wie geriebener Meer-
rettich. Wenn nur nicht Marias Junge wach wur-
de. Es war ja schon spät am Tag. Ich bat die
Musikanten innigst, es bei einem Lied bewenden
zu lassen, ich sei zu erschüttert und müßte für mei-
ne Gesundheit fürchten. Da ließen sie die Spucke
aus dem Messing träufeln und klemmten ihrs
Apparate grunzend unter die Achsel. Kaum war
dies geschehen, flehte mich Adam Anker an, wenig-
stens noch dem Männerquartett der freiwilligen
Feuerwehr ein musikalisches Angebinde einräumen
zu wollen. Die Kerle hätten die Uniformen ge-
bügelt, hätten eigens für diesen Polterabend die
Helme mit Sidol geputzt und die Backen wie zum
Sonntag rastert. Ich fragte nach dem Titel des

Liedes, weil doch die Franzosen — jeder dritte
Zuhörer war ein Poilu — den ganzen Zupfen-
geigenbansel auf den Index gesetzt hatten. Adam
Anker beruhigte mich, es sei alles in Ordnung.
Die Feuerwehr sei zwar nur auf Heimat- und
Soldatenlieder dressiert, doch habe sie einen ganz
ungefährlichen Kantus auf der Walze, dessen Text
man nur des anwesenden Pastors wegen ein biß-
chen okulieren mußte.
„Nanu?"
Schon hob der Brandmeister die Stimmgabel
und summte vier Tonlagen. Dann offenbarten
sich die schmetternden Kehlen:
„Es war ein König in Kalkutta,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Mutta
Einen gold'nen Becher gab-!"
Einer kniff mich ins Fell. Ich drehte mich um:
Der Pastor von Mostheim! Er verbiß sich das
Lachen.
,Tia, Hochwürden, da kannste nix machen!"
Dem Gottesmanu kamen die Tränen, am lieb-
sten hätte er aufgeschrien vor Vergnügen, doch be-
herrschte er sich standesgemäß. Und erlöste sich mit
einem pressenden Husten, dessen Entladungen nicht
gerade die leisesten waren.
Pankraz Wendland mußte als Ortsvorsteher
von dem feierlichen Auftritt gewußt haben; denn
er stieg jetzt, von zwei Küfern mit Pechfackeln ro-
mantisch eskortiert, aus ein Weinfaß. Und hielt
eine Ansprache mit dreimaligem Tusch, um mir
dann den — — Ebrenbürserbrief der Gemeinde
zu kredenzen. Auf diesen Orden war ich nicht
gefaßt gewesen. Maria Selbach wurde Gattin
eines richtigen Ehrenbürgers! So was Geckes.
Da mußte der Schiffer Manes Himmerod zutiefst
ergriffen den braven Mostheimern danken. Und
während ich, ebenfalls auf dem Weinfaß thronend,
an mein Volk sprach, erspähte ich am Ufer des
Tumults auch Jungfrau Susanna, die rund« Ka-

naille. Sie faltete die Wurstfinger auf ihrem Bauch
und trug allerlei Krakeel im Gesicht. Ich zählte
neben Adam Anker, Pankraz Wendland und dem
fröhlichen Pastor auch ihren Namen in der Reihe
derjenigen aus, die ich als „echte, brave, teutsche"
Rheinmenschen ohne Falsch und Hinterlist hatte
kennen und schätzen lernen dürfen!
Einen Augenblick war's totenstill in der Rund«.
Dann brüllte ganz Mostheim, und die meisten ki-
cherten sich — die Winzerleute waren verflucht
pfiffig — in die Ohren, der Manes Himmerod
hätte jetzt Rache genommen. — Dem war nicht
ganz so. Denn Susannchen schaukelte mit .ihrem
Wanst durchs Gedränge, drückte mir leutselig die
Hand und versicherte nässenden Micks, ich sei wirk-
lich ein ordentlicher Mensch geworden und sie
würde auch weiterhin alles tun, was in ihrer
Kraft stünde.
„Hoffentlich nicht, Susanna!"
Das begriff die Fette nicht, den sie reichte mir
abermals die Vorderpfote, die sich anfühlte wie
Speck.
Ich zog mit der Rotte Korah zum „Goldenen
Anker", weil Maria ihre Ruhe haben mußte. Im
Wirtshaus gab es Freiwein, gestiftet vom Win-
zerbund. Zwei Fässer wurden trockengelegt, wir
faßen rücklings aus den Bänken und Kisten mitten
in der Straße, denn die Gaststube selber geheilig-
tes Hoheitsgebiet der „Grande Nation".
Zu einer allgemeinen Besäufnis reichte der Stoff
zwar nicht, und es war gut so. Aber die Poilus
hatten geruht, uns Gesang und Musik bis zur
Mitternacht zu gestatten, indessen ging man schon
um elf nach Hause; denn eine vollblütige F-st-
laune kam nicht hoch, der Vorrat an Schme.'m
war noch zu groß in dieser Zeit, auch saßen in
Zweibrücken noch sieben unerlöste Mostheimer —
Familienväter — im Gefängnis, die ich nicht hatte
einhandeln dürfen.
Fortsetzung folgt.
 
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