Lsite 14
UnterksltunA
.volhsgemeinschastE
Sonntaz, de» 1. Mitrz 1SX
I. Kapitcl.
Der jung« Obergärtner Schmiöt hatte Lie
letzte RunL« nm den Südteil der Anlagen ge-
macht. Nach der Straße zu, ans den großeu
Rnsenflächen lag schon die volle Sonne. Aber
in dem alten dichtverwachsenen Terl war es
noch wie ein Rest der Nacht — «twas verhüllr
und von Jeuchte dampsend. Anf dem runden
Steintisch glitzerte Tau. Die hohe Lehne der
geschwnngenen Rundbank stach heller ab von
dem dunklen Hintergrnnö der Büsche. Das
alles wirkte wie eine geschickt ansgebaute
Theaterdekoration sür eine Freilichtbühne.
Der Obergärtner mochte diese Ecke nie, er
empfand sie als eine Störung, wie überhanpt
diesen unordentlich verwachsenen Tetl des
Parks. Er war von der mod-ernen Schnle sür
Licht und Lnst, sür Standenbeete und woite
unbeschattete Rasen-flächen. Am allernnpassenö-
sten empfand «r diesen Schläser dort anf der
ste-inernen Rund-bank. Hier mußte wi-eder ein-
mal jemand die g-anze Nacht vcrbracht haben.
Das war ja anch ein ausgesuchterSchlupf-
winkel für L-ente, die kein Obdach hatten. Et-
was wütend, gtng er schneller über d-en Ra-
sen — «r wollte d-en Kerl da schon wach krr-e-
gen.
Da blieb er stehen — ein ruckhafter Schreck
hie-lt ihn — das war ja k-ö!n Mann — drs
kurz-ges-chnittene Haar h-atte ihn gctänscht. Das
war eine Frau. Aber wie lag ste da? Die
schlief do-ch nicht! Da mußte doch etwas an-
beres sein. Er stürzte vorwärts.
„Das ist do-ch..." sagte er — und bann
hövte er mitten im Denk-en anf.
Das Mädchen da vor ihm mochte Mitte
zwanzig sein. Der Kops lag hinten über, wie
hingeworsen auf die Rücklehwe der Bank, der
Munö war aufgerissen, als wäre er mitten
im Schrei «rstarrt. Jetzt schrägte die Sonne
den Parkwinkel und glitzert« in den o'sfenen
Au-gäpf-eln.
Unwillkürlich wich Schmidt zurück bis an
den Ttsch. Er mußte sich halten — ganz hilf-
los fühlte er stch. War denn kein Mensch hier?
Aber di« Leute arbeiteten jetzt alle an den
Rose-nrabatten. Er g-ing mit stürzenden Schrit-
ten — «r wollte fort und drehte sich öoch im-
mer wieder u-m wie gezogen. Jmmer w-ieder
sah er das zitronenfarbene Leuchten d-er Polo-
bluse und diesen zurückgesunkenen Kopf mit
der dunklen Haarnmrandung.
Herrgott, d-as war ja kein natürlicher Tob
— das nlar Mordl
Er schluckte, wie um eüne Nebelkei-t her-
unterzukommen, und nun rannte er los —
Gottseidank, da waren ja öie and-eren.
Zwei Herren mit Aktenmappen, bi-e jetzt öen
P-ark durchkr-enz-ten, um die Elektrische an der
Hanptallee zu erreichen, sahen ein paar Gärt-
ner aus dem h-interen Teil ber Anlag-en stür-
zen. Der eine hatte noch etne Sichel in d-er
Hand. Dsm anderen hing ein-e Baststrähne
über die Arbeitsbluse. Einem öritten klapp-erte
«ine Feldslasche beim Laufen zur Seite. Sie
wurben geführt von etn-c-m jungen, ausgereg-
ten Menschen, ö-er z-e-igend dte Richtung gab.
Der eine Herr, etwas stren-g bcamtenmäßig,
sah aus öi« Gruppe, überlegte -einen Au-geu-
blick, schaute auf die Uhr und ging schnell wei-
ter. Der anöer« schloß stch ben l-a-ufenden Men-
schen an.
„Was ist denn los?" fragte er gierig.
„Morö", schrie d-er mit B-aststrähne und lief
weiter.
Der Herr blieb erschrocken st-ehen, d-ann lief
«r h-interher.
„Aber da mützte doch die Poliz-ei — —"
rief er u-nd schnauit-e im Lanfen.
Fn der Hauptallee tauchien noch andere
Püffanten au-f — sie s-ahen herüber — ganz
gegen die Borschrift setzten sie üb-er die nied-
rigen Eiseneinfassung des Rasens — rawnten
mit. Ietzt waren -es schon se-chs — ze-hn —
zwanzi-g, die dcn Pl-atz am Steintisch umstan-
den.
Und nnn war «s ganz still. Alle s-chwiegcn.
Man hörte nur das verlegene Schnau-len des
asthmatischen Herrn, das sich langsam be-
ruhi-gte.
Mitten m der vollen Sonn-e lag die To-te.
Ein kleiner Fink hüpste auf den Sleintisch,
ängt-e zier-lich auf die schweigenden Menschen,
trillerte. blitzt« schon über di-e verschnittene
Hecke über der Bank.
Als hätte das Anfflattern des klei-nen Vo-
gels d-as Schweigen gelockert. gin-g Bewegnn-g
durch die stumme Mruvve. Alles sprach plötz-
lich durcheinander, Wawn war das ges-chehen?
Wer war das? Wer war die Tole un-d wer
-der Mörder? Alle s-ahen auf den lchmalen wei-
ßen Hals und einen dunklen Fleck, der stch da
abze'chnete.
„Die kenne ich doch", sagte ein etwas gelb-
ansfehender M-ann aus d-em Pnblikum auf-
gereat, „das ist doch die Neue aus der Stern-
avotbeke. Natürlich di« hat mir doch gestern
abend nocb Ho-kkmannstropk-'n verkn-ust"
Uls« sahen ihn an, er fühlte sich p-lötzlich
im M!-ttelmrukt
„Aber da muß man boch — da mutz man
öoch —" s-agte der dick-e asth-mattsche Herr wie-
der, „die Pol-izei — —".
Der junge Obergärtner sah auf d-ie U-Hr:
„Der Wachtmeister Niemann mnß doch jetzt
kommen, der h-at jetzt sein« Tonr."
Eiuer d-er Parkg-ärtner lief vor, winkte auf-
geregt der mächtigen Schupogestalt, -die öort
im Grün des Deiteuganges anstanchte.
Anf öem Treppenabsatz vor der Stern-
apotheke stand Apotheker Seidel. Seit der Pro-
visor Beck-er hier war, brancht« er fich nm
seinen Kr-am da drin nicht vie-l zu kümmern.
Becker machte alles ovöentlich, gewissenha-ft und
arbci-ts-wüttg. Es mußte au-ch so-lche Menschen
ge-ben. Was ihn, Se-idel, anlan-g-te, zog er ein
a-u-sgiebi-ges Frühstück, einen Spaziergang im
SHettniger Park, e-i-ne Stunde Stammti-sch bei
Siecheu und di-e Pflege seines berühmten klei-
nen Vorgarten-s vor.
„Feldmaun", ri-ef er scharf — da war doch
der Dackel wi-eder bei den Koniseren. Ietzt
trottete der Hnnd traurtg zur Mauer. Seiu-e
glänze-wd-en Angcn sahen an-klagend zu Seidel
hi-nüber. Er rollte s-cin Schwänzchen zu einem
beletdi-gten Kringel.
Seidel mutzte lachen — er kannte bie
stnmme Mimtk.
Es schlng acht von der Eltsabethkirche.
„Na schon, m-achen wir halt den Laden auf,
Feldmann", senfzte Seidel lei-cht, h-ente mutzte
er arbeiten. Beck-er schltef noch vom Nachtdienst
aus. Und die Wend-ling war noch nicht )-o ein-
geavbeitet — übrtgens, wo blieb sie denn
he-ute? Fing die etwa anch 'chon an mit Wei-
berallüren? Aber da kam sie bei ihm a-n dcn
Fals-chen. Dafür hatte es die Kunds-Haft heute
besonders eili-g. Gerade stürzte sich Fran Hüb-
ner mi-t einem Putzlappen anf die Mesfing-
klinke. d-a kam-en s-chon zwei Herren. Sei-del
trat hinter den Verkanfsttsch.
„Bitte?"
Einer d-er Herren zeigte kurz eine Mar-k«.
„Können wir Sie einen Angenbl-tck alletn
sprechen, Hcrr Seidel?"
Der Kommissar sah däb-et a-nf einen jnng-en
Mann rm weißen Kittel, der im Nebenraum
h-anti-erte.
Di-e wäffrtg-blauen Angsn i-n d-em behag-
ltchen Nulldo-gg-en-gestcht Sc-td-els bekamen et-
was Hilsloses.
,Mte den-n, Kriminal-poltzei?" fragte er und
ging kopfschüttelnd dcn Beamten voran in sei-n
Privatkontor.
„Ich bin jetzt für niemanden zn sprechen",
rief er d-em Ge-Htlfen zu und schloß die Tür
hin-ter sich nnd den Beamten. Er wies stnmm
anf zwei a-ltmodi-sche Klu-bsessel. Si-e rochen
trotz d-es Leders nach Apotheke. Wie alles hi-er.
„Sie haben hier eine Provisorin bsschäf-
tigt, dnnkelh-aarrg, etw-a zwanzäg Iahre?"
„Fränlein We-ndling?"
„Also W-endling! Vorname?"
„G-iesc-la", sagtc Sei-del gchorsanr, „ja, was
rst dsnn? Hat sie wa,s angestellt?"
„Fräul-e-in Wendling tst heute Nacht rm
Scheitniger Park ermorde-t worden."
'Se-idel fnhr anf:
„M-ein Gott — erm-ordet — ab-er warum
denn?" Er sa-h ratl-os von el-nem Veamten
zum andern.
Was d!e für ruh-rge Gesichter ha-ben, dacht-e
er. Da saßen sie nnd fprachen d-as so hin: er-
moröet!
„Jch weiß ni-chts öavoir", sa-gte er plötzlich
h-eftig.
„Das nehmen wir auch an, Herr Setd-el",
der Kwinmissa-r sa-h kühl anf den anfgeregten
Mann, „wi-r möchten nur Jnformationen.
Können Sie nns etwas über ö-ie Privatver-
hältnisse der Erm-ovdeten sagen?"
„Gar ni-chts weiß ich, Fräulein W-endlin-g
ist ja erst seit d-em ersten Mai bei mir."
„Also sei-t noch ntcht mal einem Monat?
Wie ist sie zu Ihn-en gekommen? Auf Emp-
f-ehlung? Durch Bermittlung? Durch Inse-
rat?"
„Durch Jnserat tn einem Fachblatt. Jhre
«rste Stellung — schrecklich", sagte Se>ide-l vor
sich hin.
„Wo ist ihre Privatwohnung?"
„Einen Angenblick", Seidel war froh, auf-
stehen zu können.
lFortsetzung folgt).
Iie
W
Tragikomödle von 80 Hanns M?ler
„WaS haben wir denn hente im Radio?"
„Keiue Ahnung!"
„Dreh a-uf!"
Der Eh-smann sagte es. Di-e Ehefrau tat
es. Und aus des Lautspvechers klangvoller
Fülle ertönte öie Stimme d-es An-fagers: „Sie
hören jetzt Lu-dwig van Beethovens Neunte
Sinfonie..."
Di« Getgen sehten ein.
„Panline", fagte d-er Ehe-mann zur Ehefrau
nach drei Minuten, „rst der Knopf an merner
Hose ang-enäht?"
„Der Knopf? We-lcher Knopf?"
„An der grauen Hose."
„Du hast zwei gran-e Hosen."
„Ia. Aber an c-iwer fehlt ein Knopfl"
„An welcher?"
„An der alten Hoie."
„An welcher a-lten Hos-e? Du hast mehrere
alte Hosen. Du hast di-e alte branne Hose, dn
hast die alte schwarze Hos«, du hast die a-lte
bei-ge Hose, du hast di-e alte blau« Hos-e, du
hast die alte graue Hose..."'
„Di-e ist es!"
„Die graue?"
„Ja", sagte der Ehemann und seufzte.
Di-e Ehefrau sa-gte «ine Weile nichts. Dann
fragte ste: „Was i-st öenn mrt der gra-uen
Hose?"
„Dort sehlt ein Knopf."
„Ein Knopf?"
„Ia. Oben. hinten."
„Wi-e-so?" Pauline sa-gke das ,Wieso" sehr
streng. Es war n-un schon so ihre Art. „Wie-
so?" fra-gte st-e nvchmalS.
Der Ehemann zuckte die Schnl-tern: „Wo-
her soll ich denn w-:ffen. wieso der Knopf fe-hlt?
Er wird abgerissen sein — ganz einsach."
„Ein Knopf reiß-t nicht a-b mirnichtsdir-
nichts. Paul! Jedes Dinq hat seinc Uriache.
Ein Kiropi ist von einem Fachma-nn mit einsm
festen Zwirn fest angenäht. Wenn du einen
Knopf gbtrennen willst. mußt du dich an-
strengen. So fe-st sttzt er. Also wieso ist dir der
Knovf abgeriffen?"
„Dielleicht habe ich mich plötzlich gebückt",
meinte Vaul.
„Gebückt? Haha! Du und dich bttcken! Wie
pft ist mir schon «twas keruntergesallen? H"st
dn dich gebückt? Niemals! Un-d vom Bücken
reißt auch kein Knovi ab — mein erster M"nn
hat sich im-mer gebückt, menn mir etwas her-
unterfiel, nicht so wi-e dn. der bloß guckt...,
wenn dem dann tmmer ein Knopf abgertssen
wäre, hätte i-ch sa ben ganzen Tag Knöpse an-
nähen können!"
Ietzt bekam auch der Ehemann Oberwasser.
„Hättest du? Den ga-nzen Tag? Du nnd
einen Knwpf annäh-en? Erst mutz man es dir
dretmal sagen, dann muß man dir die Hose
hinlegen, den Knopf hinl-egen, öie Nadel ein-
fädeln, -dann frwgst dn noch dreimal, wo er
hinkommt, und wenn -du ihn dann angenäht
ha-st, sttzt er ganz wo an-ders, als wo er hin-
gehört!"
Pauline sagte darauf nichts. Panl-in« g-ing
stnm-m aus dem Zimm-er. Als ste wiederkam,
trng sie die gra-ue Hose über dem Arm.
„Ein Fleck i-st anch darin", s-agte ste spitz.
„Hast du ihn herausgemacht?"
„Nein! Hwbe ich i-hn hineingemacht?"
„Der Fleck ist schon zwei Wochen in der
Hose."
,iJch weiß es", sagde Pau-line, holte Nadel
und Zwirn unö fragte: „Wo ist der Knopf?"
„Da", sagte Paul un-d zeigte a-uf die strup-
ptg-cn leeren Fäden.
„Da ist die Stelle, wo er hinkommt... aber
wo ist der Knopf?"
„Woher soll ich denn wissen, wo der Knopf
sst? Ich ha-be ihn eben verloren!"
„Verloren?"
„Ia. Da -ist doch weiter nichts dabei!"
„Nichts dabei? So? Und wo ich damals
mein-en Schirm v-erloren habe, da ha-st bu ge-
tobt uwd gewettert, wie man n-ur so dumm
Me BrieswWe m PiftM
Jch stehe ost am Schalter
Uwd seh mir an, was vor sich geh-t.
Manchmal erscheint ein Alter,
Der sinnend vor der Waa-ge steht.
Anf runz-ligefli Gesichte
Seh ich ein Lächeln, gut und stiE
Ob er d-ie Briesgewichte
Noch einmal kontrollieren will?
Nein, an-öeres tri-tt zutag-e,
Enthüllt von m-einem Wissens-durst:
W-as leg-t «r auf die Waa-ge?
Ein Päckchen anfgeschnittne Wurst.
Er prüft nnd freut sich deffen —
Es wirö ja wohl sein Frnhstück sein,
Vi-ell-eicht se-in Mittagesscn —
Es stimmt genau, er packt es ein.
Die Waage wägt ganz sacht-e,
Sie sü-hlt sich amtl-ich zwar beörückt,
Doch -as Erlebnis brachte
Jhr jen-cn Ausschwung, der beg-lückt.
Peter Scher.
sein kann, unö -öas säh-e nur m-ir Shnlich. Und
wenn du etwas verlierst, da ist einsach wei-ter
nichts da-be-i!"
Der Mann war ansge-sprun-gen und lief im
Zimmer anf und ab: „Entschuld-tge, Pau-lin«,
aber es ist doch noch immerhin «in Unterfchied
zwischen einem Schivm für steben Mark fünf-
zi-g unö einem einfachen Hosenknopf?"
Aber Pauline ließ sich nicht so schnell ein-
fchüchtern. „Erstens war d-as kein Schirm für
sieben Mark sünszig, sondern nur für sieben
Mark vierzig. Zweitens hast du mir nicht den
Schirm gekauft, sondern deine Mutter hat -thn
mir ge-schenkt. Drittens gcht es dich ergcntlich
gar nichts an, höchstens d-eine Mntter, wenn
sie sich was zu sagen getrautc. Viertens aber
war das gar kein geivöhnlicher Hosenknopf,
sowdern e-in beffever, ein viergelochter, wte die
andern hier alle sind — du mitzt mit zweier-
lei Maß. mein Freund!"
„Jch messe gar nicht!" schrie jetzt der Ehe-
mann, üb-er die Logik -empört. „Ich mill mei-
nen Knopf daran haben und damit basta! Und
nicht mi-t werßem Zwirn, wte tch eben seh«,
d-atz du ihn nimmst..." Hier überschlug stch
serne Stimme -tm gerechten Zorn: „Son'dern
mit einem fchwarzen Zwirn, wie stch das ge-
hört!"
Die Frau machte komifche Kullerangen:
„Eine graue Hose?"
„Ia. Da näht man d-ie Knöpfe schwarz an!"
„Warum? Man kann st« genau so gut weitz
annähen! Grau ist «ine Mittelfavbe von
schwarz und weiß!"
„Ich will ste aber schwarz angenäht haben!"
vrttllte jetzt Panl.
Die Gattin sagte sanst: „Ia, wenn dn eS
wrllst. nur um etwas zu sagen ,nur u-m etwaS
zu besttmmen. das ist etrvas anderes. Jch -bachte
schon, du meintest e-s lwgtsch? Aber wenn du
schwarzen Zwirn willst, wei-l «s dir Spatz
mach-t. um deinen Koof durchzus-etz-en und da«
mit d-u e-in wenig schreten kann-st, um de-in«
arme Frau zn schtkanieren..."
Der Lautsprecher schwieg. —
Es war still im Ztmmer.
*
Und dre Sttmme des Aniagers ertönte wk«-
-der: „Sie hörten soeben Ludwtg van B-eet»
hovens Nennte Sinfonie..."
Man s-a-ge nichts gegen bas Raöto. ES
kann nichts d-afür.
Es steh-t nur manchmal e-in wenig unge»
schickt in den Häwsern d-er Stäöte unö ds-
Landes.
Ei»e Mtter sW...
Eine Erzättlung von Waiter vM Molv
Seit langen Jahren wußten sie es: nun
würgt das Gesche-Hen die S-eelen. Di-e Mut-
ter liegt im Sterben, si« mißt mit herumirren-
den Fingern die Decken ihres Bettes. Das
Antlitz sucht zu lächcln. Sie wtll ihren Ktn-
dern keine üble Erinnerung hinterlassen an
die Stnnde, in der sie schicd. Fünfmal hat
sie geboren. Fünfmal war sie dem Tode nahe:
vier Iünglinge stchen am Tvtenbett: den Erst-
ge-Lorenen hat die Mutter begraben, als Kind.
Das bleichte ihr Haar, seither tat das Herz
so angstvolle Schläge, daß es ruhigen Gang
nicht mehr fan-d.
Den Gatten hat sie begraben, öie Knöchel
hat stch die Not vergeblich wund gepocht,- ste
kam nicht über die Kinder, die Mutter wehrre
sie ab.
„Mutter?" flüsterte der Aelteste.
Sie str-eichelt scine Hand, die letchtsinnig ihr
blutig erarbeitetes Geld verwars, die nun
ernster Arbeit dtent. Der Jünglin-g hält der
Mutter Puls. Starr stehen die Awilltnge,' daS
Weib des einen will Mutter werden.
„Noch nichts?" fragt än-gstlich der Ster-Sen-
üen Blick.
„Noch nichtsl"
Das Ende ist da. Der Mutter Hand sinkt
kraftlos. Mit tiefer Rührung hören sie die
Mntter beten,- was ihnen Schwäche öeretnst
schien, feiges Festhalten an leerer Form, jetzt
hat es Leben und Blut.
Zu ihres toten Kindes Bild sieht die Mut-
ter. Dreißig Iahre sind es, datz der Sieben-
jährige starb,- sie hat thn nie vergessen.
„Er muß jedes Jahr... seinen Kranz auf
s-einem... Grab... haben..."
„Ja, Mutter..."
„Und ich liege — neben Vater..."
„Ja, Mutter?!..."
Eine Tür klappt auf, atemlos bringt etn«
Stimme eine Kunde.
„Großmutter!" flüstert glücklich der junge
Bater, er weint. „Großmutter! Mein Kind ist
da!"
Selig lächelnd finkt der Kopf der Mutter
zur Seite: den kraftoollen Schall des Lebens,
Sie Tritte, mit denen ihre lebenden Kinder
zu ihrem Toten-bett stürzten, hört sie als letz-
tes vom Leben.
Denkmal ttirAreuattel öenAelleren
Noch in diesem Jahr soll in Brüssel dem
niederländiichen Maler Pieter Breughel d. Ae.
neben der Kirche La Thapclle, in der stch das
Drab Breughels besindet, ein Denkmal errichtet
wevden. Der Entwurs stammt von dem Bild»
hauer Adolphe Wansart. Der König von Bel»
gien hat die Schirmherrschaft über das Denk-
mals-Komitee übernommen.
UnterksltunA
.volhsgemeinschastE
Sonntaz, de» 1. Mitrz 1SX
I. Kapitcl.
Der jung« Obergärtner Schmiöt hatte Lie
letzte RunL« nm den Südteil der Anlagen ge-
macht. Nach der Straße zu, ans den großeu
Rnsenflächen lag schon die volle Sonne. Aber
in dem alten dichtverwachsenen Terl war es
noch wie ein Rest der Nacht — «twas verhüllr
und von Jeuchte dampsend. Anf dem runden
Steintisch glitzerte Tau. Die hohe Lehne der
geschwnngenen Rundbank stach heller ab von
dem dunklen Hintergrnnö der Büsche. Das
alles wirkte wie eine geschickt ansgebaute
Theaterdekoration sür eine Freilichtbühne.
Der Obergärtner mochte diese Ecke nie, er
empfand sie als eine Störung, wie überhanpt
diesen unordentlich verwachsenen Tetl des
Parks. Er war von der mod-ernen Schnle sür
Licht und Lnst, sür Standenbeete und woite
unbeschattete Rasen-flächen. Am allernnpassenö-
sten empfand «r diesen Schläser dort anf der
ste-inernen Rund-bank. Hier mußte wi-eder ein-
mal jemand die g-anze Nacht vcrbracht haben.
Das war ja anch ein ausgesuchterSchlupf-
winkel für L-ente, die kein Obdach hatten. Et-
was wütend, gtng er schneller über d-en Ra-
sen — «r wollte d-en Kerl da schon wach krr-e-
gen.
Da blieb er stehen — ein ruckhafter Schreck
hie-lt ihn — das war ja k-ö!n Mann — drs
kurz-ges-chnittene Haar h-atte ihn gctänscht. Das
war eine Frau. Aber wie lag ste da? Die
schlief do-ch nicht! Da mußte doch etwas an-
beres sein. Er stürzte vorwärts.
„Das ist do-ch..." sagte er — und bann
hövte er mitten im Denk-en anf.
Das Mädchen da vor ihm mochte Mitte
zwanzig sein. Der Kops lag hinten über, wie
hingeworsen auf die Rücklehwe der Bank, der
Munö war aufgerissen, als wäre er mitten
im Schrei «rstarrt. Jetzt schrägte die Sonne
den Parkwinkel und glitzert« in den o'sfenen
Au-gäpf-eln.
Unwillkürlich wich Schmidt zurück bis an
den Ttsch. Er mußte sich halten — ganz hilf-
los fühlte er stch. War denn kein Mensch hier?
Aber di« Leute arbeiteten jetzt alle an den
Rose-nrabatten. Er g-ing mit stürzenden Schrit-
ten — «r wollte fort und drehte sich öoch im-
mer wieder u-m wie gezogen. Jmmer w-ieder
sah er das zitronenfarbene Leuchten d-er Polo-
bluse und diesen zurückgesunkenen Kopf mit
der dunklen Haarnmrandung.
Herrgott, d-as war ja kein natürlicher Tob
— das nlar Mordl
Er schluckte, wie um eüne Nebelkei-t her-
unterzukommen, und nun rannte er los —
Gottseidank, da waren ja öie and-eren.
Zwei Herren mit Aktenmappen, bi-e jetzt öen
P-ark durchkr-enz-ten, um die Elektrische an der
Hanptallee zu erreichen, sahen ein paar Gärt-
ner aus dem h-interen Teil ber Anlag-en stür-
zen. Der eine hatte noch etne Sichel in d-er
Hand. Dsm anderen hing ein-e Baststrähne
über die Arbeitsbluse. Einem öritten klapp-erte
«ine Feldslasche beim Laufen zur Seite. Sie
wurben geführt von etn-c-m jungen, ausgereg-
ten Menschen, ö-er z-e-igend dte Richtung gab.
Der eine Herr, etwas stren-g bcamtenmäßig,
sah aus öi« Gruppe, überlegte -einen Au-geu-
blick, schaute auf die Uhr und ging schnell wei-
ter. Der anöer« schloß stch ben l-a-ufenden Men-
schen an.
„Was ist denn los?" fragte er gierig.
„Morö", schrie d-er mit B-aststrähne und lief
weiter.
Der Herr blieb erschrocken st-ehen, d-ann lief
«r h-interher.
„Aber da mützte doch die Poliz-ei — —"
rief er u-nd schnauit-e im Lanfen.
Fn der Hauptallee tauchien noch andere
Püffanten au-f — sie s-ahen herüber — ganz
gegen die Borschrift setzten sie üb-er die nied-
rigen Eiseneinfassung des Rasens — rawnten
mit. Ietzt waren -es schon se-chs — ze-hn —
zwanzi-g, die dcn Pl-atz am Steintisch umstan-
den.
Und nnn war «s ganz still. Alle s-chwiegcn.
Man hörte nur das verlegene Schnau-len des
asthmatischen Herrn, das sich langsam be-
ruhi-gte.
Mitten m der vollen Sonn-e lag die To-te.
Ein kleiner Fink hüpste auf den Sleintisch,
ängt-e zier-lich auf die schweigenden Menschen,
trillerte. blitzt« schon über di-e verschnittene
Hecke über der Bank.
Als hätte das Anfflattern des klei-nen Vo-
gels d-as Schweigen gelockert. gin-g Bewegnn-g
durch die stumme Mruvve. Alles sprach plötz-
lich durcheinander, Wawn war das ges-chehen?
Wer war das? Wer war die Tole un-d wer
-der Mörder? Alle s-ahen auf den lchmalen wei-
ßen Hals und einen dunklen Fleck, der stch da
abze'chnete.
„Die kenne ich doch", sagte ein etwas gelb-
ansfehender M-ann aus d-em Pnblikum auf-
gereat, „das ist doch die Neue aus der Stern-
avotbeke. Natürlich di« hat mir doch gestern
abend nocb Ho-kkmannstropk-'n verkn-ust"
Uls« sahen ihn an, er fühlte sich p-lötzlich
im M!-ttelmrukt
„Aber da muß man boch — da mutz man
öoch —" s-agte der dick-e asth-mattsche Herr wie-
der, „die Pol-izei — —".
Der junge Obergärtner sah auf d-ie U-Hr:
„Der Wachtmeister Niemann mnß doch jetzt
kommen, der h-at jetzt sein« Tonr."
Eiuer d-er Parkg-ärtner lief vor, winkte auf-
geregt der mächtigen Schupogestalt, -die öort
im Grün des Deiteuganges anstanchte.
Anf öem Treppenabsatz vor der Stern-
apotheke stand Apotheker Seidel. Seit der Pro-
visor Beck-er hier war, brancht« er fich nm
seinen Kr-am da drin nicht vie-l zu kümmern.
Becker machte alles ovöentlich, gewissenha-ft und
arbci-ts-wüttg. Es mußte au-ch so-lche Menschen
ge-ben. Was ihn, Se-idel, anlan-g-te, zog er ein
a-u-sgiebi-ges Frühstück, einen Spaziergang im
SHettniger Park, e-i-ne Stunde Stammti-sch bei
Siecheu und di-e Pflege seines berühmten klei-
nen Vorgarten-s vor.
„Feldmaun", ri-ef er scharf — da war doch
der Dackel wi-eder bei den Koniseren. Ietzt
trottete der Hnnd traurtg zur Mauer. Seiu-e
glänze-wd-en Angcn sahen an-klagend zu Seidel
hi-nüber. Er rollte s-cin Schwänzchen zu einem
beletdi-gten Kringel.
Seidel mutzte lachen — er kannte bie
stnmme Mimtk.
Es schlng acht von der Eltsabethkirche.
„Na schon, m-achen wir halt den Laden auf,
Feldmann", senfzte Seidel lei-cht, h-ente mutzte
er arbeiten. Beck-er schltef noch vom Nachtdienst
aus. Und die Wend-ling war noch nicht )-o ein-
geavbeitet — übrtgens, wo blieb sie denn
he-ute? Fing die etwa anch 'chon an mit Wei-
berallüren? Aber da kam sie bei ihm a-n dcn
Fals-chen. Dafür hatte es die Kunds-Haft heute
besonders eili-g. Gerade stürzte sich Fran Hüb-
ner mi-t einem Putzlappen anf die Mesfing-
klinke. d-a kam-en s-chon zwei Herren. Sei-del
trat hinter den Verkanfsttsch.
„Bitte?"
Einer d-er Herren zeigte kurz eine Mar-k«.
„Können wir Sie einen Angenbl-tck alletn
sprechen, Hcrr Seidel?"
Der Kommissar sah däb-et a-nf einen jnng-en
Mann rm weißen Kittel, der im Nebenraum
h-anti-erte.
Di-e wäffrtg-blauen Angsn i-n d-em behag-
ltchen Nulldo-gg-en-gestcht Sc-td-els bekamen et-
was Hilsloses.
,Mte den-n, Kriminal-poltzei?" fragte er und
ging kopfschüttelnd dcn Beamten voran in sei-n
Privatkontor.
„Ich bin jetzt für niemanden zn sprechen",
rief er d-em Ge-Htlfen zu und schloß die Tür
hin-ter sich nnd den Beamten. Er wies stnmm
anf zwei a-ltmodi-sche Klu-bsessel. Si-e rochen
trotz d-es Leders nach Apotheke. Wie alles hi-er.
„Sie haben hier eine Provisorin bsschäf-
tigt, dnnkelh-aarrg, etw-a zwanzäg Iahre?"
„Fränlein We-ndling?"
„Also W-endling! Vorname?"
„G-iesc-la", sagtc Sei-del gchorsanr, „ja, was
rst dsnn? Hat sie wa,s angestellt?"
„Fräul-e-in Wendling tst heute Nacht rm
Scheitniger Park ermorde-t worden."
'Se-idel fnhr anf:
„M-ein Gott — erm-ordet — ab-er warum
denn?" Er sa-h ratl-os von el-nem Veamten
zum andern.
Was d!e für ruh-rge Gesichter ha-ben, dacht-e
er. Da saßen sie nnd fprachen d-as so hin: er-
moröet!
„Jch weiß ni-chts öavoir", sa-gte er plötzlich
h-eftig.
„Das nehmen wir auch an, Herr Setd-el",
der Kwinmissa-r sa-h kühl anf den anfgeregten
Mann, „wi-r möchten nur Jnformationen.
Können Sie nns etwas über ö-ie Privatver-
hältnisse der Erm-ovdeten sagen?"
„Gar ni-chts weiß ich, Fräulein W-endlin-g
ist ja erst seit d-em ersten Mai bei mir."
„Also sei-t noch ntcht mal einem Monat?
Wie ist sie zu Ihn-en gekommen? Auf Emp-
f-ehlung? Durch Bermittlung? Durch Inse-
rat?"
„Durch Jnserat tn einem Fachblatt. Jhre
«rste Stellung — schrecklich", sagte Se>ide-l vor
sich hin.
„Wo ist ihre Privatwohnung?"
„Einen Angenblick", Seidel war froh, auf-
stehen zu können.
lFortsetzung folgt).
Iie
W
Tragikomödle von 80 Hanns M?ler
„WaS haben wir denn hente im Radio?"
„Keiue Ahnung!"
„Dreh a-uf!"
Der Eh-smann sagte es. Di-e Ehefrau tat
es. Und aus des Lautspvechers klangvoller
Fülle ertönte öie Stimme d-es An-fagers: „Sie
hören jetzt Lu-dwig van Beethovens Neunte
Sinfonie..."
Di« Getgen sehten ein.
„Panline", fagte d-er Ehe-mann zur Ehefrau
nach drei Minuten, „rst der Knopf an merner
Hose ang-enäht?"
„Der Knopf? We-lcher Knopf?"
„An der grauen Hose."
„Du hast zwei gran-e Hosen."
„Ia. Aber an c-iwer fehlt ein Knopfl"
„An welcher?"
„An der alten Hoie."
„An welcher a-lten Hos-e? Du hast mehrere
alte Hosen. Du hast di-e alte branne Hose, dn
hast die alte schwarze Hos«, du hast die a-lte
bei-ge Hose, du hast di-e alte blau« Hos-e, du
hast die alte graue Hose..."'
„Di-e ist es!"
„Die graue?"
„Ja", sagte der Ehemann und seufzte.
Di-e Ehefrau sa-gte «ine Weile nichts. Dann
fragte ste: „Was i-st öenn mrt der gra-uen
Hose?"
„Dort sehlt ein Knopf."
„Ein Knopf?"
„Ia. Oben. hinten."
„Wi-e-so?" Pauline sa-gke das ,Wieso" sehr
streng. Es war n-un schon so ihre Art. „Wie-
so?" fra-gte st-e nvchmalS.
Der Ehemann zuckte die Schnl-tern: „Wo-
her soll ich denn w-:ffen. wieso der Knopf fe-hlt?
Er wird abgerissen sein — ganz einsach."
„Ein Knopf reiß-t nicht a-b mirnichtsdir-
nichts. Paul! Jedes Dinq hat seinc Uriache.
Ein Kiropi ist von einem Fachma-nn mit einsm
festen Zwirn fest angenäht. Wenn du einen
Knopf gbtrennen willst. mußt du dich an-
strengen. So fe-st sttzt er. Also wieso ist dir der
Knovf abgeriffen?"
„Dielleicht habe ich mich plötzlich gebückt",
meinte Vaul.
„Gebückt? Haha! Du und dich bttcken! Wie
pft ist mir schon «twas keruntergesallen? H"st
dn dich gebückt? Niemals! Un-d vom Bücken
reißt auch kein Knovi ab — mein erster M"nn
hat sich im-mer gebückt, menn mir etwas her-
unterfiel, nicht so wi-e dn. der bloß guckt...,
wenn dem dann tmmer ein Knopf abgertssen
wäre, hätte i-ch sa ben ganzen Tag Knöpse an-
nähen können!"
Ietzt bekam auch der Ehemann Oberwasser.
„Hättest du? Den ga-nzen Tag? Du nnd
einen Knwpf annäh-en? Erst mutz man es dir
dretmal sagen, dann muß man dir die Hose
hinlegen, den Knopf hinl-egen, öie Nadel ein-
fädeln, -dann frwgst dn noch dreimal, wo er
hinkommt, und wenn -du ihn dann angenäht
ha-st, sttzt er ganz wo an-ders, als wo er hin-
gehört!"
Pauline sagte darauf nichts. Panl-in« g-ing
stnm-m aus dem Zimm-er. Als ste wiederkam,
trng sie die gra-ue Hose über dem Arm.
„Ein Fleck i-st anch darin", s-agte ste spitz.
„Hast du ihn herausgemacht?"
„Nein! Hwbe ich i-hn hineingemacht?"
„Der Fleck ist schon zwei Wochen in der
Hose."
,iJch weiß es", sagde Pau-line, holte Nadel
und Zwirn unö fragte: „Wo ist der Knopf?"
„Da", sagte Paul un-d zeigte a-uf die strup-
ptg-cn leeren Fäden.
„Da ist die Stelle, wo er hinkommt... aber
wo ist der Knopf?"
„Woher soll ich denn wissen, wo der Knopf
sst? Ich ha-be ihn eben verloren!"
„Verloren?"
„Ia. Da -ist doch weiter nichts dabei!"
„Nichts dabei? So? Und wo ich damals
mein-en Schirm v-erloren habe, da ha-st bu ge-
tobt uwd gewettert, wie man n-ur so dumm
Me BrieswWe m PiftM
Jch stehe ost am Schalter
Uwd seh mir an, was vor sich geh-t.
Manchmal erscheint ein Alter,
Der sinnend vor der Waa-ge steht.
Anf runz-ligefli Gesichte
Seh ich ein Lächeln, gut und stiE
Ob er d-ie Briesgewichte
Noch einmal kontrollieren will?
Nein, an-öeres tri-tt zutag-e,
Enthüllt von m-einem Wissens-durst:
W-as leg-t «r auf die Waa-ge?
Ein Päckchen anfgeschnittne Wurst.
Er prüft nnd freut sich deffen —
Es wirö ja wohl sein Frnhstück sein,
Vi-ell-eicht se-in Mittagesscn —
Es stimmt genau, er packt es ein.
Die Waage wägt ganz sacht-e,
Sie sü-hlt sich amtl-ich zwar beörückt,
Doch -as Erlebnis brachte
Jhr jen-cn Ausschwung, der beg-lückt.
Peter Scher.
sein kann, unö -öas säh-e nur m-ir Shnlich. Und
wenn du etwas verlierst, da ist einsach wei-ter
nichts da-be-i!"
Der Mann war ansge-sprun-gen und lief im
Zimmer anf und ab: „Entschuld-tge, Pau-lin«,
aber es ist doch noch immerhin «in Unterfchied
zwischen einem Schivm für steben Mark fünf-
zi-g unö einem einfachen Hosenknopf?"
Aber Pauline ließ sich nicht so schnell ein-
fchüchtern. „Erstens war d-as kein Schirm für
sieben Mark sünszig, sondern nur für sieben
Mark vierzig. Zweitens hast du mir nicht den
Schirm gekauft, sondern deine Mutter hat -thn
mir ge-schenkt. Drittens gcht es dich ergcntlich
gar nichts an, höchstens d-eine Mntter, wenn
sie sich was zu sagen getrautc. Viertens aber
war das gar kein geivöhnlicher Hosenknopf,
sowdern e-in beffever, ein viergelochter, wte die
andern hier alle sind — du mitzt mit zweier-
lei Maß. mein Freund!"
„Jch messe gar nicht!" schrie jetzt der Ehe-
mann, üb-er die Logik -empört. „Ich mill mei-
nen Knopf daran haben und damit basta! Und
nicht mi-t werßem Zwirn, wte tch eben seh«,
d-atz du ihn nimmst..." Hier überschlug stch
serne Stimme -tm gerechten Zorn: „Son'dern
mit einem fchwarzen Zwirn, wie stch das ge-
hört!"
Die Frau machte komifche Kullerangen:
„Eine graue Hose?"
„Ia. Da näht man d-ie Knöpfe schwarz an!"
„Warum? Man kann st« genau so gut weitz
annähen! Grau ist «ine Mittelfavbe von
schwarz und weiß!"
„Ich will ste aber schwarz angenäht haben!"
vrttllte jetzt Panl.
Die Gattin sagte sanst: „Ia, wenn dn eS
wrllst. nur um etwas zu sagen ,nur u-m etwaS
zu besttmmen. das ist etrvas anderes. Jch -bachte
schon, du meintest e-s lwgtsch? Aber wenn du
schwarzen Zwirn willst, wei-l «s dir Spatz
mach-t. um deinen Koof durchzus-etz-en und da«
mit d-u e-in wenig schreten kann-st, um de-in«
arme Frau zn schtkanieren..."
Der Lautsprecher schwieg. —
Es war still im Ztmmer.
*
Und dre Sttmme des Aniagers ertönte wk«-
-der: „Sie hörten soeben Ludwtg van B-eet»
hovens Nennte Sinfonie..."
Man s-a-ge nichts gegen bas Raöto. ES
kann nichts d-afür.
Es steh-t nur manchmal e-in wenig unge»
schickt in den Häwsern d-er Stäöte unö ds-
Landes.
Ei»e Mtter sW...
Eine Erzättlung von Waiter vM Molv
Seit langen Jahren wußten sie es: nun
würgt das Gesche-Hen die S-eelen. Di-e Mut-
ter liegt im Sterben, si« mißt mit herumirren-
den Fingern die Decken ihres Bettes. Das
Antlitz sucht zu lächcln. Sie wtll ihren Ktn-
dern keine üble Erinnerung hinterlassen an
die Stnnde, in der sie schicd. Fünfmal hat
sie geboren. Fünfmal war sie dem Tode nahe:
vier Iünglinge stchen am Tvtenbett: den Erst-
ge-Lorenen hat die Mutter begraben, als Kind.
Das bleichte ihr Haar, seither tat das Herz
so angstvolle Schläge, daß es ruhigen Gang
nicht mehr fan-d.
Den Gatten hat sie begraben, öie Knöchel
hat stch die Not vergeblich wund gepocht,- ste
kam nicht über die Kinder, die Mutter wehrre
sie ab.
„Mutter?" flüsterte der Aelteste.
Sie str-eichelt scine Hand, die letchtsinnig ihr
blutig erarbeitetes Geld verwars, die nun
ernster Arbeit dtent. Der Jünglin-g hält der
Mutter Puls. Starr stehen die Awilltnge,' daS
Weib des einen will Mutter werden.
„Noch nichts?" fragt än-gstlich der Ster-Sen-
üen Blick.
„Noch nichtsl"
Das Ende ist da. Der Mutter Hand sinkt
kraftlos. Mit tiefer Rührung hören sie die
Mntter beten,- was ihnen Schwäche öeretnst
schien, feiges Festhalten an leerer Form, jetzt
hat es Leben und Blut.
Zu ihres toten Kindes Bild sieht die Mut-
ter. Dreißig Iahre sind es, datz der Sieben-
jährige starb,- sie hat thn nie vergessen.
„Er muß jedes Jahr... seinen Kranz auf
s-einem... Grab... haben..."
„Ja, Mutter..."
„Und ich liege — neben Vater..."
„Ja, Mutter?!..."
Eine Tür klappt auf, atemlos bringt etn«
Stimme eine Kunde.
„Großmutter!" flüstert glücklich der junge
Bater, er weint. „Großmutter! Mein Kind ist
da!"
Selig lächelnd finkt der Kopf der Mutter
zur Seite: den kraftoollen Schall des Lebens,
Sie Tritte, mit denen ihre lebenden Kinder
zu ihrem Toten-bett stürzten, hört sie als letz-
tes vom Leben.
Denkmal ttirAreuattel öenAelleren
Noch in diesem Jahr soll in Brüssel dem
niederländiichen Maler Pieter Breughel d. Ae.
neben der Kirche La Thapclle, in der stch das
Drab Breughels besindet, ein Denkmal errichtet
wevden. Der Entwurs stammt von dem Bild»
hauer Adolphe Wansart. Der König von Bel»
gien hat die Schirmherrschaft über das Denk-
mals-Komitee übernommen.