1890/1930
VOLKSSTIMME / JUBILÄUMS-AUSGABE
1890/1930
Haus war euch damals noch gar nicht vonnöten, wickelte
sich doch alles viel geruhsamer ab zu einer Zeit, als die
Menschen noch nicht so gehetzt wie heute, selbst auch ge-
ruhsamer und auch ... bescheidener in ihren Bedürfnissen
waren. — In einer Stadt mit 90 000 Einwohnern, die noch
nicht im eigenen Besitz „ihrer" Pferdebahn war, erst 1899
wurde dieselbe von der „Societe anonyme des Tramway de
Mannheim et de Ludwigshafen" erworben, konnte das Stadt-
bild kaum durch diese Geschäfte beeindruckt werden. Sie
waren schlecht und recht in irgendeinem gutgelegenen Miet-
haus untergebracht und entsprachen hier nur auch dem Zeit-
geist. — Sie brauchten kaum eine Geste zu machen, den
Käufer anzulocken, ein Aushängeschild genügte. Im Straßen-
bild traten sie also kaum auf.
Will man die Elektrifizierung der Pferdebahn, die 1900 bis
1905 ungefähr durchgeführt war, als weitere Station unserer
Betrachtung über die Entwicklung des Geschäftshauses an-
sehen, so ist zunächst ein wichtiges Moment in dem gesam-
ten Geschäftsgebaren überhaupt festzustellen. — Ein gesun-
der Geschäfts- und Unternehmungsgeist erkannte die Mög-
lichkeiten, seine Möglichkeiten, in der immer mehr auf-
blühenden Industrie- und Handelsstadt, die naturgemäß mehr
und mehr anwachsende Konkurrenz in allen Branchen bringt
die interessierten Kreise aus ihrer Ecke der Beschaulichkeit
heraus, denn Konkurrenz bedeutet Kampf, Kampf aber be-
fruchtet den Geist, macht stark und diese Stärke drückt dem
Stadtgefüge seine ganz bestimmte Note auf, die reine, ab-
solute Geschäftsstraße und Geschäftslage
prägt sich immer mehr und mehr heraus, in der Hauptsache
den Verkehrsadern folgend. Erd- und teilweise auch schon
Obergeschosse bergen dort keine Mietwohnungen mehr, die
geschlossenen Häuserfronten öffnen sich zu Schaufenster-
anlagen, die Ware preist sich an, Ware, Licht und Glas in
endloser Reihung wenden sich eindrucksvoll an das Publikum.
Aber wieder sehen wir auch hier einen Wandel sich voll-
ziehen.
Einzelne Branchen erstellen bereits um 1905 eigene
Häuser, die nur reinen Geschäftszwecken
dienen, Das eigentliche Geschäftshaus ersteht und zu die-
am politischen Himmel ihre eigene Vorstellung gemacht
haben. Die Verknappung der Geldmittel, Im Verein mit die-
sen veranlaßte daher gleichermaßen wie beim Wohnhausbau
ein Zurückhalten in allen geschäftlichen Unternehmungen.
So war denn auch der Geschäftshausbau wie der Wohnhaus-
bau vollständig stillgelegt. — Ueberspringen wir
daher die Kriegsjahre, so muß gleichwohl festgehalten wer-
den, daß diese schwere Zeit einen neueren Umschwung
im Geschäftshausbau, zunächst aber auch wiederum im Ge-
schäftsleben, in der geistigen Einstellung zur Folge hatten.
Der verlorene Krieg, der Konkurrenzkampf, der zum Existenz-
kampf geworden ist, hat den Geschäftsgeist, den Unterneh-
mungsgeist erneut mobil gemacht. Es genügt heute nicht
mehr, daß sich die Ware in eindringlichster, wenn auch künst-
lerischer Weise anpreist. Eine neue Erkenntnis hat die Ge-
schäftswelt durchdrungen, eine neue Parole bricht sich Bahn,
der Dienst am Kunden schafft neue Wege, neue Ideen.
— Bietet das heutige Geschäftshaus aller Branchen, insbe-
sondere das moderne Warenhaus, neben formvollendet vor-
getragener Ware eine unendliche Reihe von Annehmlich-
keiten und Bequemlichkeiten für seine Kunden im Innern des
Hauses, so zwingt die neue Zeit auch äußerlich zu neuen
Werbemitteln, die der modernen Auffassung des Geschäfts-
lebens entsprechen; die Lichtreklame vermittelt die Ange-
bote schon auf der Straße an die Käufer! — Zeigen die Ge-
schäftshäuser um 1910, von einzelnen Ausnahmen, wie das
Warenhaus Kander, das der Oppau-Katastrophe zum Opfer
fiel, abgesehen, neben relativ kleinen Schaufensterauslagen
noch große, zum Teil bombastische Steinpfeiler und Flächen,
so besteht im Gegensatz hierzu das moderne Geschäftshaus
um 1930 auch außen im wesentlichen aus dünnen Eisenbeton-
oder gar metallverkleideten Stahlgerüsten. Alles ist darauf
eingestellt, die Zweckbestimmung des Hauses unter Anwen-
dung der allereindrucksvollsten Werbemittel zu zeigen. Das
Zeitalter der Sachlichkeit kennt nur Zweck und so hat
der Stillstand während des Krieges denn doch dazu geführt,
durch diese neue reife Einfachheit im Verein mit dem
besonderen Werbemittel „Licht" grundbestimmend mitzuwir-
ken an der Prägung des „Gesichtes" für Groß-Mannheim.
sem gesellt sich erstmals das Warenhaus, ein bisher ganz
unbekannter Typ Im Mannheimer Stadtbild.
Die Geschäftswelt, besonders der Großhandel, dürfte sich
um 1910—1912 herum wohl schon über die Wetterzeichen
Lichtlose Innenhöfe in der Altstadt
Ein Innenhoftor am Erlenhof
Kindergarten und Mütterberatungsstelle in der Siedlung für Kinderreiche
DER HAFEN, MANNHEIMS LEBENSNERV
VON DR. H. BARTSCH, BEIGEORDNETER DER STADT MANNHEIM
Es Ist eine Immer noch weit verbreitete Auffassung, Mann-
heim habe von der Stadtgründung an Schiffahrt getrieben
und zu anderen Schiffahrtsplätzen am Rhein in gewissen
regelmäßigen Beziehungen gestanden. Den historischen Tat-
sachen entspricht dies Jedoch nicht. Es trifft nicht einmal auf
die in mancherlei Hinsicht bedeutende Kurfürstenzeit des
18. Jahrhunderts zu. Ja man muß im Gegenteil sogar sagen,
daß der Charakter der Residenz einer wirtschaftlichen Be-
tätigung der Bevölkerung, die sich in geschäftlichen Ver-
bindungen mit auswärts unter Ausnutzung von Rhein und
Neckar als Transportwege dargestellt hätte, nicht gün-
stig war. Das Gewerbe der Bevölkerung war überwiegend
in den Dienst des Hofes und des Militärs gestellt
und wurde in der Hauptsache von Handwerkern und Klein-
gewerbetreibenden ausgeübt. Der Rhein ist zwar, wie für
Jedes Gemeinwesen, das seine Siedlung an ihm gesucht hat,
auch für Mannheim von Anbeginn Schicksal gewesen, war
aber lange Zeit lediglich militärisches Bollwerk, natürlicher
Schutzwall, vorgelagert den künstlichen Erd- und Steinw ilen
der jungen Stadt, und wurde bald genug auch an d iser
Stelle politisches Streitobjekt. Als wirtschaftliche Kraftquelle
blieb er bis an die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert noch
ungenutzt. Immerhin sind unter der Regierung der pfälzischen
Kurfürsten in Mannheim die Grundlagen bürgerlichen Wohl-
standes geschaffen und in seiner Bevölkerung Energien an-
gehäuft worden, die es dem Gemeinwesen möglich machten,
sich den Erfordernissen der neuen Zeit, die nach den Er-
schütterungen der Revolution und der Napoleonischen Kriege
angebrochen war, mit Tatkraft und Geschick anzupassen.
Neben der großen geistigen und politischen Revolution
bereitete sich bekanntlich auf der Grundlage der angewand-
ten Naturwissenschaften eine Umwälzung vor, die sich In
gigantischer Steigerung das ganze 19. Jahrhundert hindurch
fortsetzt und diesem den Stempel der Technik aufdrückt. Erst
dadurch ist Mannheim zur Schiffahrts- und Hafenstadt ge-
worden.
Im Rahmen dieses Artikels Ist natürlich nur eine ganz
skizzenhafte Darstellung der Entwicklung der Mannheimer
fciafenanlagen möglich. Der. erat« .wirkliche Halst
Mannheims wird in den Jahren 1834—1840 am Rhein gebaut,
in unmittelbarem Anschluß an die schon vorhandene Zoll-
und Schiffsanlegestelle, die unterhalb der Schiffbrücke liegt,
die nach der Rheinschanze am andern Ufer (dem heutigen
Ludwigshafen) führt. Es wird dazu ein Rheinarm benutzt,
der die Mühlauinsel von der Stadt abtrennt. Damit ist die
VOLKSSTIMME / JUBILÄUMS-AUSGABE
1890/1930
Haus war euch damals noch gar nicht vonnöten, wickelte
sich doch alles viel geruhsamer ab zu einer Zeit, als die
Menschen noch nicht so gehetzt wie heute, selbst auch ge-
ruhsamer und auch ... bescheidener in ihren Bedürfnissen
waren. — In einer Stadt mit 90 000 Einwohnern, die noch
nicht im eigenen Besitz „ihrer" Pferdebahn war, erst 1899
wurde dieselbe von der „Societe anonyme des Tramway de
Mannheim et de Ludwigshafen" erworben, konnte das Stadt-
bild kaum durch diese Geschäfte beeindruckt werden. Sie
waren schlecht und recht in irgendeinem gutgelegenen Miet-
haus untergebracht und entsprachen hier nur auch dem Zeit-
geist. — Sie brauchten kaum eine Geste zu machen, den
Käufer anzulocken, ein Aushängeschild genügte. Im Straßen-
bild traten sie also kaum auf.
Will man die Elektrifizierung der Pferdebahn, die 1900 bis
1905 ungefähr durchgeführt war, als weitere Station unserer
Betrachtung über die Entwicklung des Geschäftshauses an-
sehen, so ist zunächst ein wichtiges Moment in dem gesam-
ten Geschäftsgebaren überhaupt festzustellen. — Ein gesun-
der Geschäfts- und Unternehmungsgeist erkannte die Mög-
lichkeiten, seine Möglichkeiten, in der immer mehr auf-
blühenden Industrie- und Handelsstadt, die naturgemäß mehr
und mehr anwachsende Konkurrenz in allen Branchen bringt
die interessierten Kreise aus ihrer Ecke der Beschaulichkeit
heraus, denn Konkurrenz bedeutet Kampf, Kampf aber be-
fruchtet den Geist, macht stark und diese Stärke drückt dem
Stadtgefüge seine ganz bestimmte Note auf, die reine, ab-
solute Geschäftsstraße und Geschäftslage
prägt sich immer mehr und mehr heraus, in der Hauptsache
den Verkehrsadern folgend. Erd- und teilweise auch schon
Obergeschosse bergen dort keine Mietwohnungen mehr, die
geschlossenen Häuserfronten öffnen sich zu Schaufenster-
anlagen, die Ware preist sich an, Ware, Licht und Glas in
endloser Reihung wenden sich eindrucksvoll an das Publikum.
Aber wieder sehen wir auch hier einen Wandel sich voll-
ziehen.
Einzelne Branchen erstellen bereits um 1905 eigene
Häuser, die nur reinen Geschäftszwecken
dienen, Das eigentliche Geschäftshaus ersteht und zu die-
am politischen Himmel ihre eigene Vorstellung gemacht
haben. Die Verknappung der Geldmittel, Im Verein mit die-
sen veranlaßte daher gleichermaßen wie beim Wohnhausbau
ein Zurückhalten in allen geschäftlichen Unternehmungen.
So war denn auch der Geschäftshausbau wie der Wohnhaus-
bau vollständig stillgelegt. — Ueberspringen wir
daher die Kriegsjahre, so muß gleichwohl festgehalten wer-
den, daß diese schwere Zeit einen neueren Umschwung
im Geschäftshausbau, zunächst aber auch wiederum im Ge-
schäftsleben, in der geistigen Einstellung zur Folge hatten.
Der verlorene Krieg, der Konkurrenzkampf, der zum Existenz-
kampf geworden ist, hat den Geschäftsgeist, den Unterneh-
mungsgeist erneut mobil gemacht. Es genügt heute nicht
mehr, daß sich die Ware in eindringlichster, wenn auch künst-
lerischer Weise anpreist. Eine neue Erkenntnis hat die Ge-
schäftswelt durchdrungen, eine neue Parole bricht sich Bahn,
der Dienst am Kunden schafft neue Wege, neue Ideen.
— Bietet das heutige Geschäftshaus aller Branchen, insbe-
sondere das moderne Warenhaus, neben formvollendet vor-
getragener Ware eine unendliche Reihe von Annehmlich-
keiten und Bequemlichkeiten für seine Kunden im Innern des
Hauses, so zwingt die neue Zeit auch äußerlich zu neuen
Werbemitteln, die der modernen Auffassung des Geschäfts-
lebens entsprechen; die Lichtreklame vermittelt die Ange-
bote schon auf der Straße an die Käufer! — Zeigen die Ge-
schäftshäuser um 1910, von einzelnen Ausnahmen, wie das
Warenhaus Kander, das der Oppau-Katastrophe zum Opfer
fiel, abgesehen, neben relativ kleinen Schaufensterauslagen
noch große, zum Teil bombastische Steinpfeiler und Flächen,
so besteht im Gegensatz hierzu das moderne Geschäftshaus
um 1930 auch außen im wesentlichen aus dünnen Eisenbeton-
oder gar metallverkleideten Stahlgerüsten. Alles ist darauf
eingestellt, die Zweckbestimmung des Hauses unter Anwen-
dung der allereindrucksvollsten Werbemittel zu zeigen. Das
Zeitalter der Sachlichkeit kennt nur Zweck und so hat
der Stillstand während des Krieges denn doch dazu geführt,
durch diese neue reife Einfachheit im Verein mit dem
besonderen Werbemittel „Licht" grundbestimmend mitzuwir-
ken an der Prägung des „Gesichtes" für Groß-Mannheim.
sem gesellt sich erstmals das Warenhaus, ein bisher ganz
unbekannter Typ Im Mannheimer Stadtbild.
Die Geschäftswelt, besonders der Großhandel, dürfte sich
um 1910—1912 herum wohl schon über die Wetterzeichen
Lichtlose Innenhöfe in der Altstadt
Ein Innenhoftor am Erlenhof
Kindergarten und Mütterberatungsstelle in der Siedlung für Kinderreiche
DER HAFEN, MANNHEIMS LEBENSNERV
VON DR. H. BARTSCH, BEIGEORDNETER DER STADT MANNHEIM
Es Ist eine Immer noch weit verbreitete Auffassung, Mann-
heim habe von der Stadtgründung an Schiffahrt getrieben
und zu anderen Schiffahrtsplätzen am Rhein in gewissen
regelmäßigen Beziehungen gestanden. Den historischen Tat-
sachen entspricht dies Jedoch nicht. Es trifft nicht einmal auf
die in mancherlei Hinsicht bedeutende Kurfürstenzeit des
18. Jahrhunderts zu. Ja man muß im Gegenteil sogar sagen,
daß der Charakter der Residenz einer wirtschaftlichen Be-
tätigung der Bevölkerung, die sich in geschäftlichen Ver-
bindungen mit auswärts unter Ausnutzung von Rhein und
Neckar als Transportwege dargestellt hätte, nicht gün-
stig war. Das Gewerbe der Bevölkerung war überwiegend
in den Dienst des Hofes und des Militärs gestellt
und wurde in der Hauptsache von Handwerkern und Klein-
gewerbetreibenden ausgeübt. Der Rhein ist zwar, wie für
Jedes Gemeinwesen, das seine Siedlung an ihm gesucht hat,
auch für Mannheim von Anbeginn Schicksal gewesen, war
aber lange Zeit lediglich militärisches Bollwerk, natürlicher
Schutzwall, vorgelagert den künstlichen Erd- und Steinw ilen
der jungen Stadt, und wurde bald genug auch an d iser
Stelle politisches Streitobjekt. Als wirtschaftliche Kraftquelle
blieb er bis an die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert noch
ungenutzt. Immerhin sind unter der Regierung der pfälzischen
Kurfürsten in Mannheim die Grundlagen bürgerlichen Wohl-
standes geschaffen und in seiner Bevölkerung Energien an-
gehäuft worden, die es dem Gemeinwesen möglich machten,
sich den Erfordernissen der neuen Zeit, die nach den Er-
schütterungen der Revolution und der Napoleonischen Kriege
angebrochen war, mit Tatkraft und Geschick anzupassen.
Neben der großen geistigen und politischen Revolution
bereitete sich bekanntlich auf der Grundlage der angewand-
ten Naturwissenschaften eine Umwälzung vor, die sich In
gigantischer Steigerung das ganze 19. Jahrhundert hindurch
fortsetzt und diesem den Stempel der Technik aufdrückt. Erst
dadurch ist Mannheim zur Schiffahrts- und Hafenstadt ge-
worden.
Im Rahmen dieses Artikels Ist natürlich nur eine ganz
skizzenhafte Darstellung der Entwicklung der Mannheimer
fciafenanlagen möglich. Der. erat« .wirkliche Halst
Mannheims wird in den Jahren 1834—1840 am Rhein gebaut,
in unmittelbarem Anschluß an die schon vorhandene Zoll-
und Schiffsanlegestelle, die unterhalb der Schiffbrücke liegt,
die nach der Rheinschanze am andern Ufer (dem heutigen
Ludwigshafen) führt. Es wird dazu ein Rheinarm benutzt,
der die Mühlauinsel von der Stadt abtrennt. Damit ist die