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Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Editor]
Ver sacrum: Mittheilungen der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs — 1.1898

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Heft 7 (Juli 1898)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6363#0216
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Wenn ich den Ring entlang schlendere,
so ist es mir immer, als hätte ein moderner
Potemkin die Aufgabe erfüllen wollen, je-
mandem den Glauben beizubringen, als würde
er in eine Stadt von lauter Nobili versetzt.

Was immer auch das renaissierte Ita-
lien an Herren-Palästen hervorgebracht hat,
wurde geplündert, um Ihrer Majestät der Plebs
ein Neu-Wien vorzuzaubern, das nur von Leu-
ten bewohnt werden könnte, die imstande
wären, einen ganzen Palast vom Sockel bis zum
Hauptgesims allein innezuhaben. Im Parterre
die Stallungen, im niedrigen, untergeordneten
Mezzanin die Dienerschaft, im hohen, archi-
Entwurf ftir tektonisch reich durchgebildeten ersten Stock-
%$£VX>wS!£ werke die Festräume und darüber die Wohn-

von Ad. Böhm. < c> •» < r t- « < n <

und bchlaträume. Emen solchen Palast zu
besitzen, gefiel den Wiener Hausherren gar
wohl, in einem solchen Palast zu wohnen, ge-
fiel auch dem Mieter. Dem einfachen Mann,
der auch nur das Zimmer und Cabinet im
letzten Stockwerke gemietet hatte, überkam
auch etwas von feudaler Pracht und Herren-
grösse, wenn er sein Wohngebäude von aussen
betrachtete. Liebäugelt nicht auch der Besitzer
eines falschen Brillanten mit dem glitzernden
Glase ? O, über den betrogenen Betrüger!

Man wird mir einwenden, dass ich den
Wienern falsche Absichten unterschiebe. Die
Architekten sind schuld daran, die Archi-
tekten hätten nicht so bauen sollen. Ich muss
die Baukünstler in Schutz nehmen. Denn jede
Stadt hat jene Architekten, die sie verdient.
Angebot und Nachfrage regulieren die Bau-
formen. Derjenige, der dem Wunsch der Be-
völkerung am meisten entspricht, wird am
meisten zu bauen haben. Und der Tüchtigste
wird vielleicht, ohne je einen Auftrag erhalten
zu haben, aus dem Leben scheiden. Die an-
deren aber machen Schule. Man baut dann
so, weil man's eben gewohnt ist. Und man
muss so bauen. Der Häuserspeculant würde
am liebsten die Facade glatt von oben bis
unten putzen lassen. Das kostet am wenig-
sten. Und dabei würde er auch am wahrsten,
am richtigsten, am künstlerischesten handeln.
Aber die Leute würden das Haus nicht be-
ziehen wollen. Der Vermietbarkeit wegen ist
der Bauherr gezwungen, diese, und gerade nur
diese Facaden anzunageln.

Jawohl, anzunageln! Denn diese Renais-
sance- und Barockpaläste sind nicht einmal
aus dem Material, aus dem sie hergestellt er-

VER SACRUM.

scheinen. Bald geben sie vor, aus Stein, wie
die römischen und toskanischen Paläste, bald
aus Stuck, wie die Wiener Barockbauten ge-
baut zu sein. Sie sind keines von beiden: ihre
ornamentalen Details, ihre Consolen, Frucht-
kränze, Cartouchen und Zahnschnitte sind an-
genagelter Cementguss. Gewiss hat auch diese
Technik, die erst in diesem Jahrhunderte in
Anwendung kommt, ihre volle Berechtigung.
Aber es geht doch nicht an, dieselbe auf For-
men, deren Entstehung mit der Beschaffenheit
einesbestimmten Materials eng verknüpft sind,
nur deswegen anzuwenden, weil ihrer Anwen-
dung keine technischen Schwierigkeiten im
Wege stehen. Aufgabe des Künstlers wäre es
nun gewesen, für das neue Materiale eine neue
Formensprache zu finden. Alles andere ist
Imitation.

Darauf kam es dem Wiener der ietztenBau-
epochen auch gar nicht an. Ihn freute es sogar,
mit so geringen Mitteln das theuere Material,
das als Vorbild diente, nachahmen zu können.
Als echter Parvenü glaubte er, dass die anderen
den Schwindel nicht merkten. Das glaubt der
Parvenü immer. Von der falschen Hemdbrust,
dem falschen Pelzwerk, von all den imitierten
Dingen, mit denen er sich umgibt, glaubt er
sicher,dass sie ihren Zweck vollständig erfüllen.
Allein diejenigen, die über ihm stehen, diejeni-
gen, die dieses Parvenu-Stadium schon über-
wunden haben, die Wissenden also, sie lächeln
über die nutzlosen Anstrengungen. Und mit
der Zeit gehen auch dem Parvenü die Augen
auf. Bald sieht er dieses, bald jenes bei seinen
Freunden, das er früher noch für echt gehalten.
Dann gibt er's resigniert auch auf.

Armut ist keine Schande. Nicht jeder
kann in einem feudalen Herrensitz auf die
Welt gekommen sein. Aber seinen Mit-
menschen derartiges vorzuspiegeln, ist lächer-
lich, ist unmoralisch. Schämen wir uns doch
nicht der Thatsache, in einem Hause mit
vielen anderen, uns social gleichstehenden
Menschen zur Miete zu wohnen. Schämen
wir uns doch nicht der Thatsache, dass es
Stoffe gibt, die uns als Baumaterial zu theuer
wären. Schämen wir uns doch nicht der That-
sache, Menschen aus dem i9. Jahrhundert
zu sein, und nicht solche, die in einem Hause
wohnen wollen, das seiner Bauart nach einer
früheren Zeit angehört. Ihr würdet dann sehen,
wie schnell wir den unserer Zeit ureigenen
Baustil erhalten würden. Den haben wir auch
 
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