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Walden, Herwarth
Die neue Malerei — Berlin, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.26391#0008
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es nichts über den gemeinen Verstand hinaus
gibt. Man wird auch nicht behaupten können,
dass nur der Verstand natürlich ist. Denn
wir erleben den natürlichen Menschen, der
nicht verständig ist, ständig unter uns: das

Kind. Das Kind lebt und äusserst sich zu-
nächst nur in Offenbarungen. Es ist ohne Ich-
bewusstsein. Es wird zum Produkt der Zu-
fallsbedingungen systematisch gemacht. Es
wird eine Person oder die sogenannte Persün-
liehkeit.

Mit dieser Entwickelung des Menschen hat
Kunst nichts zu tun. Kunst hat keine Ent-
wicklung, Kunst wird nicht gemacht, Kunst
wird nicht einmal geschaffen. Kunst schafft.
Der Künstler ist nicht ihr Herrscher, er ist ihr
Diener.

Wir können geschichtlich immer wieder fest-
stellen, dass Kunst nichts mit der Bildung des
Blutes zu tun hat. Es gibt Kunst bei den
Negern und den Südseeinsulanern. Es gibt
Kunst bei den Bauern und den Hirten. Beet-
hoven war der Sohn einer Kellnerin, Heinrich
von Kleist uradlig. Die Wissenschaft ist ein
Vergleichen und aus der Kunstwissenschaft ist
erwiesen, dass Kunst nichts mit der Geburt und
mit dem Geiste zu tun hat. Kunstgeschichte ist
nur eine Aufzählung der Namen, deren Träger
eine künstlerische Begabung haben. Diese
künstlerische Begabung ist aber höchstens Vor-
aussetzung, ' nicht Kunst. Diese künstlerische
Begabung bedeutet weiter nichts als das Vor-

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