Vis Krühjahrsschlacht am Lhemin des Domes und
in der Champagne 1917 bietet ein einzigartiges kriegs-
geschichtliches Beispiel, wie der rapide Sturz vom Gip-
se! überspannter Siegeshossnungen in den klbgrund der
Niederlage «in so erprobtes Heer, wie das sranzösische,
innerhalb weniger Blochen zum völligen Zusammen-
bruch treiben konnte. Zwei Zahre lang war der Kran-
zose mit erddückender Überlegenheit von Sssensive zu
Sssensive geschritten, zwei Jahre lang waren olle Durch-
bruchsversuche nach erbittertem, ost dis zum Weiß-
bluten ausgesochtenem Kamps an der stahlharten Wider-
standskraft der deutschen Verteidiger gescheitert, aber
ungeachtet aller Enttäuschungen und Niederlagen in den
vergangenen Jahren trat das sranzösische Heer mit dem
Sesühl: Jetzt odernie! im April 1917 seinen ent-
scheidenden Sang an. —
Wie bei dem an drei Krönten in schwerstem Kamps
stehenden deutschen Heer, hatte dos Kriegsjahr 1916
auch in der französischen klrmee tiefe Spuren zurück-
gelassen. Die Verluste von Verdun und Somme waren
nicht mehr zu ersehen. Die Lrsatzlage konnte nur da-
durch gemeistert werden, daß der frischere britische Bun-
desgenosse, der erst 1916 begonnen hotte, die Wehrkraft
Alt-Englands und des britischen Weltreiches voll aus-
zuschöpsen, die Lost des Krieges mehr und mehr aus
feine Schultern verlagerte. In Paris und im franzö-
sischen Hinterland hotten die Nervenprobe von Verdun
und die bittere Enttäuschung der festgelausensn Sfsen-
sive an der Somme, im besonderen aber der völlige Zu-
sammenbruch Rumänien» eine allgemeine Depression
ausgelvst. Der Generalissimus Jofsre, auf den sich
die Angriffe des erregten Parlaments und gewisser Re«
gierungskrsiss konzentrierte, mußte gehen. Zugleich mit
ihm wurde General Koch, der für den bedrückenden
klusgang der Sommeschlacht verantwortlich gemacht
wurde, seines Posten« enthoben.
Ls war ein Kennzeichen echt gallischer Beweglichkeit,
baß mit der Ernennung des jungen Generals NIveIle
zum Sberstkommanbierenden die Stimmung im franzö-
sischen Volk und Heer jäh umschlug. Rn die Person des
neuen Generalissimus klammerten sich jetzt die Hoff-
nungen ganz Krankreichs. Volk und Heer, des bereits
33 Monate bauernden Krieges müde, erwarteten von
ihm das große Wunder: Die Schlachtenwends! Den
Sieg! - Und in der Tat, General Nioelle schien seiner
ganzen Vergangenheit nach zu den kühnsten Hoffnungen
zu berechtigen. Zu Beginn des Krieges noch Sberstleut-
aant und Kommandeur eines Artillerie-Regiments und
im dritten Jahr des Keldzuges Sberbefehlshader eines
Millionenheeres hatte Nioelle einen wahrhaften napo-
leonischen Rufstieg hinter sich. Am seine, echtem Reiter-
geist entsprungenen, schneidigen Taten von Mülhausen
und an der Marne 1914 rankte sich bereits ein Kranz
von Legenden.
3n seinem vollen Glanze aber war Nioelles Stern
erst bei Verdun aufgegangen. Seine blitzartigen, schlag-
kräftigen und von starkem Erfolg gekrönten Gegenstöße
über vouaumont und Hardaumont hinaus hotten seinen
Namen zu einem festen Begriff gemacht. Wohl war
man sich in eingeweihten Kreisen des französischen Se-
neralstabes klar, daß im Sktober und Dezember 1916
Verdun aus deutscher Seite „eine entblößte Krönt" —
ohne ausreichenden Artillerieschuh und mit abgekämpf-
ten Divisionen besetzt - darstellte, oder es erhoben sich
auch maßgebliche Stimmen im französischen Lager, die
von der „jungen Schule von Verdun" die Schlachten-
wende erwarteten. Diese „junge Schule" Nioelles ver-
focht gegenüber dem langsamen und methodischen An-
grisssverfahren von der Somme die neue Methode
eines rücksichtslosen Durchbruchs. Rusgebaut war diese
Methode auf einer unmittelbar vor der Sturminfan-
terie herlousenden „Keuerwalze", die den letzten Wider-
stand der Verteidigung zerstampfen sollte. Segen dieses
Verfahren schien nach vernichtendem Sturmreifschießen
kein kraut gewachsen. Diese neue kampsart würde, das
war die feste Aderzeugung des neuen Generalissimus,
in der bevorstehenden Krühjahrsossensioe glänzend«
Triumphe feiern, den Durchbruch durch die deutschen
Stellungen erzwingen und zur heißersehnten Verfol-
gung des geschlagenen Keindes über die Landesgrenzen
hinaus führen.
Die Vorbereitungen zu der Doppelschlacht Risne-
Lhampagns warfen alle bisherigen Begriffe von
Materialschlachten über den Haufen. Die Reichtümer
einer ganzen Welt und die mit höchster Tourenzahl
arbeitende amerikanische Rüstungsindustrie bildeten
unerschöpfliche Hilfsquellen, aus denen der phan-
tastische Rufwand der britisch-französischen Rrmeen ge-
speist werden konnte. Innerhalb weniger Monate ent-
standen allein hinter der Risne-Ehampagne-Kront
420 Kilometer neue Bahnlinien, 25 neue Marschstraßen
für Kahrzeugs und Infanterie wurden aus dem Boden
gestampft,- eine Rrmee von Karbigen war bei den Lrd-
arbsiten tätig, 28 000 Mann wurden als Chauffeure
eingesetzt und 43 000 Waggons waren allein für die
Heranschassung von Baumaterial, pioniergerät und
Verpflegung erforderlich. Um die Kraftfahrzeuge und
Dompsbahnen zu entlasten, wurden 400 000 Pferde und
Maulesel den Kuhrpark - Kolonnen zur Verfügung
gestellt.
Nach diesen Vorarbeiten erfolgte der Artillerieaus-
marsch. 5000 Geschütze und 1000 Minenwerfer — das
bedeutete olle 6^6 Meter ein Rohr — wurden für die
40 Kilometer breite Rngrisfssront bereitgestellt. And
hinter diesen fast Rad an Rad stehenden Geschützen
häuften sich Berge von Munition: Line Million
ochthunderttousend schwere Granaten, sechseinhalb
Millionen Keldgranaten und eine Million schwerer
Minen. Noch französischen Berechnungen entfielen aus
jeden lausenden Meter der deutschen Kampslinien
theoretisch 407 Kilo Keldgranaten, 705 Kilo schwere
Granaten und 25 Minen.
Hinter dieser zermalmenden Rrtilleriemasse mar-
schierte in vier Rrmeen die Elite des französischen
Heeres - 950 000 Mann stark - zum Angriff aus: Die
4. Rrmee fRnthoines in der Champagne und die 5., 6.
und io. Rrmee vor dem Lhemin des Domes. Die 5.
und 6. Rrmee sMazel und Manginj waren unter dem
tönenden Namen „Heeresgruppe Durchbruch" unter
dem Befehl des General Micheler zusammengesoßt: die
10. Rrmee, die „verfolgungsormee", unter vuchesne,
war dem Sberbefehlshader direkt unterstellt. — Zu
gleicher Zeit sollten zwischen Nogon und päronne zwei
weitere französische Rrmeen, 300 000 Mann stark, und
nördlich anschließend bis zur Vimghöhe bei Rrras die
Nasse des britischen Heeres, 800 000 Gewehre stark,
zum Sturm schreiten. So legten sich von Rrras bi«
östlich Reims die Greiser einer gigantischen Zange um
die deutsche Wehrstellung, um diese mit unwider-
stehlichem Druck einzuquetschen. Lin Kampf aus Tod
und Leben stand dem deutschen Westheer bevor.
Mitten in diese Vorbereitungen fuhr zur völligen
Verblüffung der alliierten Heeresleitungen der deutsche
Rückzug aus dem Sommegebiet in die seit langem vor-
bereitete und stark ousgebauts Siegsriedstellung. Mit
einem Schlage hatte dieses kühne Manöver der SHL.
Hindenburg-Ludendvrsf den Rusmarschplan der feind-
lichen Seneralvffensive zerstört. Der nördliche Greifer
der angesetzten Zange schnappte ins Leere. Zwei
britische und zwei sranzösische Rrmeen zwischen Ba-
poume und Nogon sahen sich von der Ssfensivs aus«
</s/i LoM/ns/vckruL.
///// Fe/m LS/Hv/n/SZ
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geschaltet. Mühsam quälten sie sich unter opferoollen
Kämpfen mit der zähen deutschen Nachhut durch die
wüste Zone hindurch, um den Anschluß an den spurlos
verschwundenen Gegner wiederzugewinnen.
3m französischen Lager wurden besorgte Stimmen
laut, die nach diesem gelungenen deutschen Manöver
den Erfolg der Krühjahrsoffensive anzweiselten. Armee-
führer äußerten offen ihre Bedenken. Die Politik
schaltete sich ein. Der Kriegsminister und der Präsident
der Republik, pvincarä, stellten die Krage in einem
Kriegsrat zur Debatte. Aber Nioelle, berauscht von der
Zahl, vom Material und durchdrungen vom Sieges-
bewußtsein, setzte sich gegen alle Gegner — schließlich
sogar mit der Drohung seines Rücktritts - durch.
3n den ersten Rpriltagen hat die Spannung im
französischen Heer und Volk ihren Höhepunkt erreicht.
Seit Wochen ist die Sssensive, die die Entscheidung des
Krieges dringen so», in aller Munde. Line skrupellose
Propaganda hat die volksleidenschaften bis zur Siede-
loschen ist, da gelingt es wohl einigen dieser Patrouillen
in die deutschen Linien einzudringen, ohne aus Gegen-
wehr zu stoßen, aber an der übrigen Krönt werfen sich
die feldgrauen Verteidiger mit der ganzen Erbitterung,
die sich in den sechs Tagen und Nächten wehrlosen
Ausharrens ausgespeichert hat, aus den Schanze! und
schicken die Stoßtrupps mit blutigen köpfen heim.
Die starke Widerstandskraft der deutschen 3nsanterie
ist sür Mangin eine unangenehme Überraschung und,
so schwer es ihm fällt, sein Temperament zu zügeln,
muß er bei Nioelle eine Verlängerung der artilleristi-
schen Keuervorbereitung um weitere zwei Tage noch-
fuchen. Aber es gibt schon in der ersten Phase dieser
Schlacht sür die französischen Generale noch andere
unangenehme Überraschungen, die am 14. April den
General Micheler veranlaßen, wegen einer noch-
maligen, letzten Verlängerung des Trommelfeuers dis
zum 16. April im Hauptquartier vorstellig zu werden.
Ls ist die verblüffende Schlagkraft der deutschen
Luftwaffe und die starke Gegenwirkung der deutschen
Artillerie, die alle Berechnungen des französischen
deutschen Waffe empfand, bezeugt ein Bericht des
Generals deMitrg an das Sberkommando der 6. Rrmee,
der schon eher einem Notruf gleichkommt: „Die durch
unsere Jagdflieger zugesicherte Lustsperre ist eine glatte
Illusion. Wir besitzen keineswegs die Luftüberlegenheit,
die wir an der Somme von Anbeginn der Schlacht an
hatten, kein Klugzeug kann unsere Linien passieren,
ohne von einer Gruppe feindlicher Klieger angesallen
zu werden." Zu gleicher Zeit sah sich der Kührer der
5. Rrmee, General Mazel, zu folgender Meldung ge-
zwungen: „Die deutschen Luststreitkräfte, zahlreich und
angrisfslustig, beherrschen fast ausschließlich den fran-
zösischen Luftraum... Während der ersten Tage der
Artillerievorbereitung waren die Erkundungen infolge
der unbestreitbaren Unterlegenheit unserer Kampfflug-
zeuge äußerst schwierig." Kügt man hinzu, daß !m
April 1917 nur 74 deutsche Klugzeuge zu Boden gehen
mußten, aus der Keindseite aber 362 Klieger abgeschossen
wurden, so gibt dies eine eindrucksvolle Illustration
von dem stürmischen Draufgängertum und der
kämpferischen Überlegenheit der deutschen Jagdflieger.
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Hitze gesteigert. Der deutsche Rückzug von der Somme
wird in einen glänzenden Erfolg der französischen
Waffen umgedogen und dos Volk empfindet ihn als
einen Vorgeschmack des kommenden Siegeszuge». Als
am 6. April 1917 die Rrtillerieschlacht an der Risne
losbricht, als bis Paris dos ununterbrochene dumpfe
Grollen des Trommelfeuers hörbar ist, da wartet ganz
Krankreich mit fiebernden Herzen auf jene Nachricht,
die den Lntscheidungssieg und damit das Ende des
Krieges bringen sollte. -
Nioelle hatte sechs Tage für das Trommelfeuer fest-
gesetzt. Der Zustand, in dem sich schon nach dreitägigem
pausenlosen Rrtilleriekamps die deutschen Stellungen
befanden, ließ diese Krist für völlig ausreichend er-
scheinen. Dort, wo sich einst ein dichtes Srabenneh mit
Schulterwehren, Schützenauftritten, Stützpunkten und
MS.-Bastionen hinzog, wo tiefe Stocheldroht-tzinder-
nisse jeder Überraschung spotteten, reiht sich jetzt
Trichter an Trichter. Wohin das Auge blickt, geben zer-
fetzte Drähte, eingestürzte Grabenwände, zersplitterte
Balken, geborstenes Eisen und die grauen Gestalten
Gefallener nur noch schwache Anhaltspunkte von dem
Verlauf der vorderen Kampflinien. And trotzdem —
als in der Nacht vom 11. zum 12. April Mangin starke
Stoßtrupps gegen die deutschen Linien vortreibt, um
fsstzustellen, ob der letzte Widerstand tatsächlich er-
Seneralstabes, die aus den Erfahrungen der Somme-
Schlacht ausgebout sind, zunichte machen. Gewiß, an
der Somme war es möglich gewesen, die um dos Vier-
fache und bei den schweren und schwersten Rohren um
das Zwölf- dis Zwanzigfache unterlegene deutsche Ar-
tillerie vollständig niederzukämpfen, an der Somme war
die absolute Luftherrschaft der britisch-französischen Ge-
schwader ein Kennzeichen der Schlacht, aber seit dem
Herbst 1916 hotte die eiserne Energie der neuen
deutschen Sbersten Heeresleitung, in erster Linie der
unbeugsame Wille Ludendorsfs, hierin grundsätzlichen
Wandel geschossen.
Trotz der verheerenden Wirkung des feindlichen
Trommelfeuers bleibt die deutsche Artillerie dem Kran-
zosen keinen Augenblick die Antwort schuldig. Auch sie
kann aus dem Vollen schöpfen, und zum Schweigen
gebrachte sranzösische Batterien und mit toten Pferden
und zerschossenen Munitionswogen besäte Anmarsch-
straßen hinter der französischen Krönt zeugen von ihrer
Treffsicherheit. Die deutschen Luststreitkräfte — von Ge-
rat o. Hoeppner und Sderst Thompson in rastloser Arbeit
neu ausgebout, zahlenmäßig vervielfacht und mit her-
vorragenden Apparaten ausgestattet — sollten sich in
diesem gigantischen Ringen zu einer Waffe von ent-
scheidender Bedeutung entwickeln, wie unangenehm
die französische Kührung die Schärfe dieser jungen
Wenn dos sranzösische Trommelfeuer noch einer
Steigerung fähig war, dann bringen sie die Tage vom
12. bis 16. April. Von Soissons bis zu der tzöhen-
kette In der Champagne sind die deutschen kampflinien
in eine undurchdringliche Wolke von Seschoßquolm,
Lrplosionsgasen, Staub und ausgewirdelten Lrdbrocken
eingehüllt. Lin Unterstand nach dem anderen ist den
Torpedominen und den 34-Zentimeter-Kalibern der
schweren Eisenbahngeschütze, deren Geschosse mit einem
infernalischen Heulen herangegurgelt kommen, zum
Spser gefallen. Mit zusammengedissenen Zähnen hockt
die Lefahung in den letzten, noch erhaltenen Deckungen.
Do, wo auch dieser Schutz versagt, wo die Eingänge
in die Stollen eingeschossen sind, wo die Gefahr der
Verschüttung droht, haben die überlebenden Gfsiziere
und Unteroffiziere ihre Mannschaft ins Trichterfeld ge-
zogen und hier kauern sie, von Splittern umzischt, von
hochgeschleuderten Erbmassen überschüttet und harren
der Stunde, wo sie sür diefe Tortur Vergeltung üben
können...
Line unheimliche Spannung liegt in der Nacht vom
15. zum 16. April über dem Schlachtfeld. Der Keuer-
sturm hat nachgelassen und einer ungewohnten, fast be-
klemmenden Stille Platz gemacht.
In diesen Stunden setzen sich hinter der französischen
Kampffront die Angrisssdioisionen in Marsch. Lin
S