Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Ankel, Paul; Werckmeister, Karl [Hrsg.]
Das Neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen (Band 5) — Berlin: Kunstverlag der Photographischen Gesellschaft, 1901

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.63696#0290
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Peter Tschaikowsky.
(Geb. am 25. April (7. Mai) 1840 zu Wotkinsk, gest. am 25. Oktober (6. November) i8p3 zu Petersburg.)
(Hierzu Bildnis No. 56/.)

Durch die erfolgreichen Bemühungen moderner,
namentlich deutscher Dirigenten ist neuerdings
die russische Komponistenschule zu grossem Ansehen
gelangt. Mit steigender Vorliebe beschäftigt man
sich mit ihren kraftvollen Erzeugnissen und ist bereit,
das Eigenartige auch dort zu bewundern, wo es
sich lediglich im Widerstreit mit den Traditionen
einer durch Jahrhunderte erworbenen, allmählich
verfeinerten musikalischen Kultur abhebt. Ein
Meister indessen, der in seinen Werken die Musik
unabhängig von dem Reiz des Nationalen durch
schöpferisches Vermögen bereichert hat und dem
deshalb vor seinen Landsleuten eine überwiegende
Bedeutung zukommt: das ist Peter Tschaikowsky.
In weit höherem Grade als seine Vorgänger ist er
erfinderisch veranlagt, und namentlich, wo er in
grossen symphonischen Formen sich ausgesprochen
hat, ist es ihm gelungen, eine Brücke zu schlagen
zwischen der Kunst des Abendlandes und den
musikalischen Bestrebungen seiner Heimat. Auf die
folgende Generation russischer Tonsetzer ist er von
entscheidendem Einfluss gewesen. In wieweit er
der gesamten Entwicklung dienlich gewesen, lässt
sich freilich noch nicht überblicken; wohl aber hat
schon die Gegenwart ein Recht, ihn unter die
ersten Meister der jüngsten Epoche zu setzen.
Peter Iljitsch Tschaikowsky entstammt wahr-
scheinlich einem polnischen Adelsgeschlechte, das
jedoch seit Generationen in Russland vollständig
heimisch geworden war. Seine Mutter, eine geborene
Assiere, war französischer Herkunft. Wie alle her-
vorragenden Musiker Russlands ist er vom Dilettan-
tismus zur Kunst gekommen. Es hängt das mit
den Verhältnissen des Landes zusammen, denn bis
vor Kurzem war der Beruf des Musikers in Russland
ein wenig verlockender. Der Vater Tschaikowskys
hatte das Bergfach erlernt und erhielt als Oberberg-
rat die Stellung des leitenden Chefs einer Fabrik in
Wotkinsk im Gouvernement Wiätka. Hier wurde
Peter am 25. April (7. Mai neuen Stils) 1840 ge-
boren. Kein Mitglied der zahlreichen Familie zeigte
musikalische Neigung. Dieser Umstand, das Leben
der Seinen in einer von allen Kulturstätten abge-
legenen Gegend, endlich der mehrfache Domizil-
wechsel während seiner Kinderjahre brachten es
mit sich, dass die Begabung Tschaikowskys erst
spät erkannt wurde. Während er durch eine fran-
zösische Erzieherin den nötigen wissenschaftlichen
Unterricht erhielt und später, als die Familie nach
Petersburg übersiedelt war, eine öffentliche Schule

besuchte, war er musikalisch fast ganz auf sich
selbst gewiesen. Kurze Zeit gab ihm ein gewisser
Filipoff Klavierstunden; dann übernahm der Vater
einen Verwaltungsposten in Alapajewsk und die
Phantasie des Knaben, die in der neuen Umgebung
wieder jeder Anregung beraubt war, arbeitete selb-
ständig weiter. Peter sollte nach dem Wunsche der
Eltern die Beamtenlaufbahn einschlagen. Als seine
bis dahin schwankende Gesundheit sich einiger-
massen gekräftigt hatte, wurde er 1850 nach Peters-
burg geschickt, um dort die sogenannte „Recht-
schule“ durchzumachen. Aus jener Zeit besitzen
wir interessante Zeugnisse über Tschaikowskys
äusserlich wenig anmutendes und doch so ge-
winnendes Wesen. „Als ich ihn kannte“, schreibt
einer der Mitschüler in seinen Erinnerungen,
„konnte nur der ganz ungewöhnliche, nicht zu be-
schreibende Zauber seiner Persönlichkeit die Zer-
streutheit, Unordentlichkeit und Nachlässigkeit
Tschaikowskys vergessen lassen“. Später zeichnete
sich der Meister im Gegenteil durch peinliche Ge-
wissenhaftigkeit in der Erfüllung seiner Pflichten
und Sauberkeit in der äussern Erscheinung aus, wie
er auch in seinen Ansichten umschlug, oft leichtfertig
gefällte Urteile selber verwarf und aus dem ver-
gnügungssüchtigen , flotten Viveur, der er als
Jüngling war, zu einem ernsten, arbeitsamen Manne
heranreifte. Treu aber blieb ihm die Gabe, alle, die
mit ihm in Berührung kamen, durch seine Liebens-
würdigkeit zu bezaubern, in dem Masse, dass Laroche
in seinem Nachruf ihn die Verkörperung aller Licht-
seiten des Menschentums nennen durfte.
Während der Schulzeit scheint das Bewusst-
sein von seiner Bestimmung in Tschaikowsky noch
geschlummert zu haben. Wohl improvisierte er
nach wie vor allerlei Tänze am Klavier, berauschte
sich gelegentlich an musikalischen Aufführungen
und suchte sein Klavierspiel durch Stunden, die er
bei dem tüchtigen Pianisten Rudolf Kündinger
nahm, zu vervollkommnen. Als er jedoch 1859 die
Schule verlassen konnte, dachte er noch keineswegs
an eine Künstlerlaufbahn, sondern trat als Sekretär
in die Kanzlei des Justizministeriums ein. Fleissig
und pünktlich erfüllte er seine Obliegenheiten, in-
dessen das Gefühl der Unbefriedigung, die Sehn-
sucht nach musikalischer Bethätigung liessen nicht
auf sich warten und waren bald durch keinen
Vergnügungstaumel mehr zu betäuben. Jahrelang
hat Tschaikowsky qualvoll mit sich gerungen, ehe
er alle Zweifel niederkämpfte und seine Entlassung

857
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen