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Die Werkkunst — 3.1907/​1908

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3

BRUNO PAUL

früher unmöglich schien, so daß man erst nach Jahren merken kann, wie
allmählich das Niveau der Kultur gestiegen ist. Man muß diese ganze
bisherige Entwicklung der Raumkunst in Betracht ziehen, um zu sehen,
wie logisch sich mit Paul der Anschluß an den historischen Gang der Dinge
vollzogen hat.
II.
Die moderne, dekorative Bewegung, die Architektur, Raumkunst und
Kunstgewerbe umfaßt, ist eine STÄDTISCHE Bewegung. Sie geht von
der Stadt aus. Erst die Ansammlung bestimmter Zentren — seien es Kunst*-
Zentren wie Darmstadt, München oder Industriezentren, wie Berlin — macht
eine solche bewußte Willensanstrengung möglich. In den kleineren Zentren
wird diese Bewegung von den höheren, kunstfreundlichen Kreisen gefördert;
in den großen Städten wird sie von der Industrie getragen, die bald merkt,
daß ihr hier ein neues Mittel umfassendster, einwandsfreier, weil künst-
lerischer Reklame erwächst. In beiden Fällen sind es die KÜNSTLER, die
den Anstoß geben.
In dem Moment, wo die städtische Bewegung übergreifen wird auf
umfassendere, mehr in die Breite gehende Bezirke, auf das Land, beginnt
eine neue Entwicklung. Denn es zeigt sich damit: die moderne, dekorative
Bewegung ist schon so erstarkt, sie liefert schon so greifbare Resultate, daß
die Ausstrahlungen dieser zentralen Idee bis in ferner liegende Gebiete hin*
wirken. Es ist etwas anderes, wenn in der Großstadt durch Ansammlung
der verschiedensten Kräfte dieses Neue, das vielen noch als problematische
Erscheinung entgegentritt, geschaffen und gefördert wird oder wenn es sich
durchsetzt in den entlegenen Bezirken des platten Landes, wo jeder für sich
allein steht und das Neue einen harten Kampf zu bestehen hat, ehe es auf
Anerkennung rechnen kann.
Man kann sagen, daß der Schwerpunkt der modernen, dekorativen
Bewegung, die, wie gesagt, eine städtische Bewegung ist, augenblicklich nach
Berlin verlegt ist und daß die weitere Entwicklung vonBerlin Entscheidendes
erwartet. Nirgendwo sonst sind die industriellen Möglichkeiten so günstig,
nirgendwo sonst ist das Leben so stark, sind die Aufgaben so mannigfaltig,
wie in Berlin. Und da die Künstler mehr und mehr die Vielfältigkeit der
Aufgaben, die sie hier erwarten, ahnen, so ist die Möglichkeit gegeben, diese
Aufgaben zu erfüllen. Die Stadt, die Großstadt wird von diesem ent*
scheidenden Punkte ihre Bedeutung als Kulturträger zu erweisen haben.
Die moderne, dekorative Kunst ist keine höfische, sondern eine städti*
sehe, eine BÜRGERLICHE Kunst.
Die Kunstgeschichte von früher hat zu dieser Entwicklung, aus der die
Gegenwart sich befreit, beigetragen durch die einseitige Bevorzugung der
höfischen Kunst, die sich je nach den Fürsten, die dafür Sinn hatten, be*
sonders prägte und so Gelegenheit gab zu dem geschickten Arrangement
der Stile, das die Industrie dann wohl oder übel übernehmen mußte. Es
ist nur natürlich, da alles auf diese Verhältnisse, und nicht zum mindesten
auf die maschinellen Herstellungsmittel zugeschnitten ist, daß sie nicht
leicht davon loskam. Die Kunstgeschichte hat früher die Bauernkunst gern
als tölpelhafte Schöpfung, als spaßige Kuriosität angesehen und beiseite
gelassen; jetzt erkennen wir, daß sich auf diesen Gebieten im Künstlerischen
soziale Differenzierungen vollziehen. Differenzierungen, gegen die natürlich
zuerst Widerstände einsetzen. Gegen die natürlich Erwägungen angeführt
1*
 
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