^34
Die Werkstatt der Aunst.
Heft 9.
eine: -Wissen Sie denn noch nicht? Alimt ist wahn-
sinnig geworden*; und der andere: ,Gr ist schon
im Irrenhause, seit heute früh*; und der dritte:
,Gr soll in der Nacht so getobt haben, daß er
gebunden werden mußtet; und alle: ,Was sagen
Sie? erzählen Sie — Sie müssen es doch wissen!*
Ich gab mir einen Ruck und sagte: -Dies ist
von einem Lügner erfunden, weil Alimt von der
Akademie zum Professor einstimmig vorgeschlagen
worden ist und seine Bestätigung durch solche Ge-
rüchte hintertrieben werden soll. Gr ist so gesund
wie ich und gescheiter als Ihr. Uebrigens, da
drüben, zwei Häuser von hier, Nummer einund-
zwanzig, ist sein Atelier. Gr arbeitet täglich bis
gegen sechs. Wer mir also nicht glaubt, mag
fragen gehen. Gr kann aber Prügel bekommen/
Dies gesagt, schritt ich in den Gaal, der schon
dunkel gemacht war, weil man eben begann. Wir
war aber doch sonderbar unruhig und es wurde
mir schwer, auf die Schwester Agraine zu hören.
Ich hatte ja freilich mit Alimt noch erst vor acht
Tagen geplauscht. Aber schließlich: wer kann denn
von sich sagen, daß er sich sicher weiß? Böse
Gedanken an den Guripides, an die blasse Lyssa,
welche die Hera über seinen Herakles schickt, klangen
in mir nach. Und ich bat endlich einen freund,
wirklich hinüber in sein Atelier zu gehen, der ihn
denn auch dort an der Arbeit fand, still und froh,
wie er ist, in seinen Träumen dem Tumult und
Neid der gemeinen Welt entrückt.
Drei Stunden später traf ich in meiner Re-
daktion dieselbe Nachricht an. Und auch hier
wußte man es schon -ganz bestimmt. Die ganze
Stadt wußte es ja plötzlich. Ich ging nun der
Gache nach, aber jeder wich aus: Der Hatte es
im Aaffeehaus gehört, dem andern war es tele-
phoniert worden, nicht unmittelbar, sondern an
seinen Diener, der aber wieder nicht wußte oder
sich nicht erinnern konnte, von wem. Jeder Hatte
es gehört, jeder natürlich weiter erzählt, keiner stand
dafür ein. Das Gerücht aber schlug mit schweren
rauschenden Flügeln in der Finsternis herum.
Alar war es, was es sollte. Die Akademie
Hatte Alimt zum Professor vorgeschlagen.
Dieser sollte aus dem Wege geräumt wer-
den. Gs ist nun bei uns Gitte, daß die Gegner
eines Aünstlers sich nicht an seine Aunst Halten,
sondern an den Menschen machen, weil dies sicherer
ist. Bei uns gilt ja nicht, was einer tut, sondern
man fragt, ob er beliebt ist. Unbeliebt aber wird,
wer zu viel von sich reden macht. Das haben wir
nicht gern, jenem Bürger im Aristides des braven
Tornelius Nepos gleich. Um den Impressionismus
zu widerlegen, sucht man darum einem Impressio-
nisten einen Ghebruch nachzusagen; um ein Gchau-
spiel abzutun, daß der Autor ein Automobil hat:
so kommen sie ins Gerede und damit in Verdacht.
Jeder versichert zwar: ich glaube es ja nicht, es
wird gewiß nur wieder eine Verleumdung sein.
Aber niemand tritt für einen ein, von dem nun
einmal, leider, -allerhand* erzählt wird. Dies ist
unsere alte Methode. Hier war es aber wohl
noch etwas anderes. Alimt, ein -Lackl*, groß und
stark, der in der Hrüh um sechs auf ist, zwei
Gtunden marschiert und in den Pausen der Arbeit
leidenschaftlich Aeulen schwingt, kommt den Leuten
nach seiner Aunst nervös, fast hysterisch vor. Dar-
auf war es nun angelegt: sie rechneten, einen labilen
und empfindlichen, vielleicht auch schon, was bei
Aünstlern, wenn sie aus den seligen Gxtasen in
die Grmattung sinken, nicht selten ist, von einer
vagen Angst vor sich selbst bedrohten Menschen,
wie sie Alimt sich denken, durch dies teuflische Ge-
rücht so zu verstören, daß er innerlich zerbrechen
würde. Bequemer und worauf man doch bei uns
immer Wert legt: gemütlicher, als ihn zu vergiften.
Dies ist in Wien im Jahre s902 verübt worden,
an einem Maler, der verträumt abseits lebt, nach
niemandem fragt und nur um seine Aunst ringt."
Wir hatten neulich Anlaß, die nach Aünstlern,
die „etwas neues" sagen, sich heiser rufende Aritik
darauf hinzuweisen, wie sie solche Aünstler von
jeher behandelt hat. Der von Hermann Bahr er-
zählte Hall Alimt ist eine neue Illustration dazu.
Ein Minister kür Kunst.
Der italienische Unterrichtsminister Nasi hat
ein Rundschreiben an die italienischen Studienräte
erlassen, das den sämtlichen höheren Schulen mehr
denn je die Grziehung der Schüler zur Aunst empfiehlt.
„Gs ist meine Ueberzeugung," schreibt der
Minister, „daß die höheren Schulen keine voll-
ständige Bildung vermitteln können, ohne
auch Aenntnisse der Aunst in den Stunden-
plan einzubeziehen. Die Notwendigkeit hierfür
lag weniger vor, als noch die Archäologie im
Vordergrund stand; heute hat das mächtige Gmpor-
Die Werkstatt der Aunst.
Heft 9.
eine: -Wissen Sie denn noch nicht? Alimt ist wahn-
sinnig geworden*; und der andere: ,Gr ist schon
im Irrenhause, seit heute früh*; und der dritte:
,Gr soll in der Nacht so getobt haben, daß er
gebunden werden mußtet; und alle: ,Was sagen
Sie? erzählen Sie — Sie müssen es doch wissen!*
Ich gab mir einen Ruck und sagte: -Dies ist
von einem Lügner erfunden, weil Alimt von der
Akademie zum Professor einstimmig vorgeschlagen
worden ist und seine Bestätigung durch solche Ge-
rüchte hintertrieben werden soll. Gr ist so gesund
wie ich und gescheiter als Ihr. Uebrigens, da
drüben, zwei Häuser von hier, Nummer einund-
zwanzig, ist sein Atelier. Gr arbeitet täglich bis
gegen sechs. Wer mir also nicht glaubt, mag
fragen gehen. Gr kann aber Prügel bekommen/
Dies gesagt, schritt ich in den Gaal, der schon
dunkel gemacht war, weil man eben begann. Wir
war aber doch sonderbar unruhig und es wurde
mir schwer, auf die Schwester Agraine zu hören.
Ich hatte ja freilich mit Alimt noch erst vor acht
Tagen geplauscht. Aber schließlich: wer kann denn
von sich sagen, daß er sich sicher weiß? Böse
Gedanken an den Guripides, an die blasse Lyssa,
welche die Hera über seinen Herakles schickt, klangen
in mir nach. Und ich bat endlich einen freund,
wirklich hinüber in sein Atelier zu gehen, der ihn
denn auch dort an der Arbeit fand, still und froh,
wie er ist, in seinen Träumen dem Tumult und
Neid der gemeinen Welt entrückt.
Drei Stunden später traf ich in meiner Re-
daktion dieselbe Nachricht an. Und auch hier
wußte man es schon -ganz bestimmt. Die ganze
Stadt wußte es ja plötzlich. Ich ging nun der
Gache nach, aber jeder wich aus: Der Hatte es
im Aaffeehaus gehört, dem andern war es tele-
phoniert worden, nicht unmittelbar, sondern an
seinen Diener, der aber wieder nicht wußte oder
sich nicht erinnern konnte, von wem. Jeder Hatte
es gehört, jeder natürlich weiter erzählt, keiner stand
dafür ein. Das Gerücht aber schlug mit schweren
rauschenden Flügeln in der Finsternis herum.
Alar war es, was es sollte. Die Akademie
Hatte Alimt zum Professor vorgeschlagen.
Dieser sollte aus dem Wege geräumt wer-
den. Gs ist nun bei uns Gitte, daß die Gegner
eines Aünstlers sich nicht an seine Aunst Halten,
sondern an den Menschen machen, weil dies sicherer
ist. Bei uns gilt ja nicht, was einer tut, sondern
man fragt, ob er beliebt ist. Unbeliebt aber wird,
wer zu viel von sich reden macht. Das haben wir
nicht gern, jenem Bürger im Aristides des braven
Tornelius Nepos gleich. Um den Impressionismus
zu widerlegen, sucht man darum einem Impressio-
nisten einen Ghebruch nachzusagen; um ein Gchau-
spiel abzutun, daß der Autor ein Automobil hat:
so kommen sie ins Gerede und damit in Verdacht.
Jeder versichert zwar: ich glaube es ja nicht, es
wird gewiß nur wieder eine Verleumdung sein.
Aber niemand tritt für einen ein, von dem nun
einmal, leider, -allerhand* erzählt wird. Dies ist
unsere alte Methode. Hier war es aber wohl
noch etwas anderes. Alimt, ein -Lackl*, groß und
stark, der in der Hrüh um sechs auf ist, zwei
Gtunden marschiert und in den Pausen der Arbeit
leidenschaftlich Aeulen schwingt, kommt den Leuten
nach seiner Aunst nervös, fast hysterisch vor. Dar-
auf war es nun angelegt: sie rechneten, einen labilen
und empfindlichen, vielleicht auch schon, was bei
Aünstlern, wenn sie aus den seligen Gxtasen in
die Grmattung sinken, nicht selten ist, von einer
vagen Angst vor sich selbst bedrohten Menschen,
wie sie Alimt sich denken, durch dies teuflische Ge-
rücht so zu verstören, daß er innerlich zerbrechen
würde. Bequemer und worauf man doch bei uns
immer Wert legt: gemütlicher, als ihn zu vergiften.
Dies ist in Wien im Jahre s902 verübt worden,
an einem Maler, der verträumt abseits lebt, nach
niemandem fragt und nur um seine Aunst ringt."
Wir hatten neulich Anlaß, die nach Aünstlern,
die „etwas neues" sagen, sich heiser rufende Aritik
darauf hinzuweisen, wie sie solche Aünstler von
jeher behandelt hat. Der von Hermann Bahr er-
zählte Hall Alimt ist eine neue Illustration dazu.
Ein Minister kür Kunst.
Der italienische Unterrichtsminister Nasi hat
ein Rundschreiben an die italienischen Studienräte
erlassen, das den sämtlichen höheren Schulen mehr
denn je die Grziehung der Schüler zur Aunst empfiehlt.
„Gs ist meine Ueberzeugung," schreibt der
Minister, „daß die höheren Schulen keine voll-
ständige Bildung vermitteln können, ohne
auch Aenntnisse der Aunst in den Stunden-
plan einzubeziehen. Die Notwendigkeit hierfür
lag weniger vor, als noch die Archäologie im
Vordergrund stand; heute hat das mächtige Gmpor-