Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

DOI Heft:
Heft 7
DOI Artikel:
Die Kunst in Hamburg / An die bildenden Künstler Sachsens / Ein Fragment / Laufende Preisausschreiben / Erledigte Preisausschreiben / Denkmäler / Architektur / Staatsankäufe etc. / Personal-Nachrichten / Auszeichnungen und Medaillen / Todesfälle / Aus Künstler-Vereinen / Werbung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0099
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
heft 7.

Die Werkstatt der Kunst.

9s

die Ehre der heimischen Kunst im friedlichen Wett-
streit mit der Kunst der anderen deutschen Staaten
hochzuhalten gilt. Wir werden die Rechte einer jeden
Künstlergruppe wahren und allen berechtigten Wün-
schen* **)) entgegenkommen. Die Kosten verteilen sich
nach Maßgabe der Beteiligung auf die eiuzelnen
Gruppen.
Wegen Beteiligung an der Ausstellung bitten
wir, sich möglichst bald unter Bekanntgabe etwaiger
Wünsche und unter schätzungsweiser Angabe des
voraussichtlichen Umfanges der Einsendungen mit
uns in Verbindung zu setzen, damit wir bald in der
Lage sind, eine klare Uebersicht über die Verwen-
dung des verfügbaren Raumes zu erhalten. (Zu-
schriften sind zu richten an den Vorsitzenden, Maler
Walter witting, Dresden-A. s6, Fürstenstraße 2ch)
6m Fragment?
von Wilhelm Steinhaufen.
Nicht weit von Segantinis Grab, über den See
hinüber, ist ein Fels, auf dem die Worte des ge-
quälten großen Geistes eingemeißelt stehen:
G Mensch! Gib acht!
was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief —
aus tiefem Traum bin ich erwacht!
Die Welt ist tief,
und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh —,
Lust — tiefer noch als Herzeleid!
Weh spricht: vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit —,
will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
Dichter und Maler grüßen sich im Schauer der
Einsamkeit, im Glanz des Sternenhimmels, unter
den Zeugen der stummen, eisigen Berggipfel, dem
Brausen der tosenden Wasser. Ihre Schatten raunen
sich diese Worte zu von Lust und Weh, und die
Ewigkeit hallt sie wieder. Wir lauschen, und aus
der Ferne und aus der Einsamkeit klingt es wie
eine Antwort auch zu uns, die wir fragen.
Wenn alle Lust Ewigkeit will, muß nicht auch
die Kunst darnach verlangen, die eine Freude birgt,
gleich tief, wie das Weh, das sie uns offenbart?
Aber ist's denn so? Kettet uns die Kunst nicht
an die Wirklichkeit, an das Sichtbare, das vergäng-
lich ist, — an den Schatten eine Hand breit? wenn
diese Welt der Formen und Farben verblaßt, wenn
unser Auge sich schließt, versinkt nicht auch die Kunst,
die, ach, diese Erscheinungen so liebte, in dunkle
Nacht? Und doch will sie Ewigkeit, tiefe, tiefe Ewig-
keit. Das ist nicht der quälende Wunsch des niedrig
denkenden Menschen, sondern in den Großen und
*) Eigene Jury, Raumverteilung, Zentraljury mit Ver-
tretern aller Gruppen, wie bei der Sächsischen Kunstausstel-
lung Dresden ^906. Für die der angegliederten Aquarell-
ausstellung zngedachten Werke (Aquarell, Gouache und Tem-
pera) behält sich Düsseldorf programmäßig eine eigene Jury vor.
**) Dem Katalog der 8. Iabres-Ausstellung der Frank-
furter Künstler hat Meister Wilhelm Steinhaufen dieses
Vorwort gewidmet. Die Schristleitung.

Edlen unsres Erdengeschlechtes war er und lebte
er, und wir lesen ihn auf den Denkmälern ihrer
Kunst, auf den Grabsteinen ihrer Werke.
Zurückblickend auf das Zahr, das bald hinter
uns liegt, wurden wir nicht oft an diesen großen
Wunsch aller Schaffenden erinnert?
Wir feierten Auferstehungs- und Erinnerungs-
feste der Großen im Reiche des Geistes: Schumann,
Mozart, Rembrandt, die Zahrhundertausstellungen
zeigten die großen und auch die mit Unrecht ver-
gessenen Maler, — Musiker und Dichter, ihre Werke
und ihr Wirken, ihr Leben, ihr Leiden, zogen an
uns vorüber. Hunderte wurden ihre Lobredner,
Hunderte ihre Kritiker, Hunderte ihre Nangordner.
Man prägte Urteile mit dem Anspruch allgemeiner
Gültigkeit oder Scherzworte mit der Absicht der Unter-
haltung des Augenblicks zu dienen. Man ließ sich
mit dein Strom der Begeisterung forttragen, man
empfand den Wert der Gaben, mit denen sie uns,
oft unbekümmert, beschenkten, wir waren gerührt,
wir dankten ihnen wieder, und unsere Brüder schienen
sie uns zu sein. Aber wir waren auch so kühn, so
nüchtern, sie aufs neue zu begraben, oft im Prunk
feierlicher Begräbnisse mit einem Ueberstuß von
Blumen und Grabgesängen, wir legten Maßstäbe
an, die wir gerade zur Hand hatten und die sich,
immer aufs neue geeicht, und nach neuen Methoden
verfertigt, in den Werkstätten der Wissenschaft und
der Redaktionen finden.
Und dann — mitten in der Begeisterung über-
schlich uns ein Weh über die Vergänglichkeit, die
Irrtümlichkeit unseres Urteils, unserer Empfindung
und unsrer Wertschätzung, und wir frugen — gibts
kein Bleibendes, kein Ewiges in diesen Erscheinungen?
Meine Freunde, auch mich, einen Kleinen unter
den Großen, hat man gefeiert, unerwartet. Es mag
mir gestattet sein, den Dank dafür auch hier vor
aller Welt zu wiederholen — waren doch die Räume
des Kunstvereins die ersten Stätten der Anerken-
nung. Die Ehren, welche Behörden, Vereine, meine
Kunstgenossen, meine Freunde mir erwiesen, waren
überreich und groß und brachten mir Augenblicke
der höchsten Freude.
warum denn aber ward die Frage nach dem,
was unvergänglich und bleibend ist, nur größer in
mir -—? warum war der Freude der Schmerz
so nahe?
Und warum spreche ich jetzt davon? weil ich
es selbst erfahren habe, wie hoch die Freude führt
und bis zu welchen Grenzen und Tiefen — darum
möchte ich alle, die die Kunst lieben, hinlenken von
dem Flüchtigen zu dem Bleibenden, zu alle dem,
was die Seele als bleibenden Gewinn aus allen
Erlebnissen, die auch die Kunst in unser Dasein
webt, davonträgt: Laßt das vor allem Ehrfurcht,
Sehnsucht und Liebe sein, die das Große und Un-
vergängliche auch im kleinen sucht und findet und
die vor dem Erhabenen sich beugt und doch zu ihm,
wie zu den ewigen Sternen, begeistert aufblickt.
 
Annotationen