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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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Schliepmann, Hans: Kunst und Wirtschaft, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0476
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sichten. Mäcen, weil ja auch er den Künstler, wenigstens
„seinen" Künstler fördern, mit seinen Aufträgen versehen
will. Er bringt alles mit, was der Künstler nach seiner
üblichen Veranlagung nicht hat: die Geschäftskunde, die
Witterung für das Zugkräftige, die Rücksichtslosigkeit des
Machtgebrauches, den Mammon, die Unverzagtheit, das
Mundwerk; und so ist er auf dem besten weg, den Künstler
zu seinem Sklaven zu machen. Bei den Konzertdirektionen
ist es schon so ziemlich erreicht; der Zang nach allgemeiner
Industrialisierung zeigt aber deutlich die Zukunft, wie sie
vorhin angedeutet wurde. Auch hier kann sich unter Um-
ständen noch ein besonderer Typus entwickeln: der geniale
Manager. Tiner, der die Witterung für das Zukünftige
hat und darauf warten kann. In minder gewalttätigen
Zeiten war Gurlitt, der bekanntlich Arnold Böcklin durch-
setzte, ein solches Genie. Noch ein vornehmer Kaufmann,
klug, aber nicht gerissen. Line Art Mären und der Kunst
nützlicher als die meisten schwärmenden Märene. Ts ließe
sich denken,, daß von solchen, in wohlverstandenem eigenen
Interesse wirkenden Kaufleuten eine gesundere Kunstwirt-
schaft ausgehen könnte als von blaublütigen, aber zugleich
leider oft auch blutigen Dilettanten. Jedoch: welche
Rechnung läßt sich auf solche „weiße Raben" aufbauen?
Sicher ist ja, daß Gerissenheit und Rücksichtslosigkeit schneller
zu Geld verhelfen als Klugheit und Vornehmheit, daß also
auch der Typus Gurlitt durch amerikanischere Manager
überholt werden wird und muß.
Im Kampf gegen die rohe Uebermacht des Geldes
hat sich nnn bisher nur ein Mittel als erfolgreich erwiesen:
Organisierung der Schwächeren. Aber auch sie hilft
nur, wenn die Organisierten durch ihre Menge wiederum
eine Macht werden, weil ihre Leistungen verlangt werden.
Das ist aber bei Kunsterzeugnissen kaum eigentlich der Fall.
In unserem alltäglichen Pandel und Wandel geht's auch
ohne Kunst, zumal ja ein solcher Vorrat an Kunsterzeugnissen,
etwa sich regenden ästhetischer! punger zu stillen, aus der
Vorzeit zur freien Verfügung steht, daß die Idee eines
Mass en aus stand es der Künstler von vornherein
einfach grotesk erscheinen muß.
Aber die Organisierung bietet doch wesentliche wirt-
schaftliche Vorteile, auch wenn es nicht den Kampf bis zürn
Aeußersten gilt und wenn dieser sogar ausgeschlossen wäre.
Schon das bloße Prinzip der Arbeitsteilung (wie es ja
auch bei vielen Architekturdoppelstrmen besteht) könnte den
einzelnen Künstler wesentlich freier für sein eigentlichstes
Schaffensgebiet machen. Aber hier versagt nnn wieder die
Künstlernatur. wer die verschiedenen Künstlervereine,
literarischen Klubs und allerlei ähnliche Gründungen in
ihrem Auf- und Niedergang verfolgt, kann immer nur
zweierlei feststellen: trotz allen hochtönenden Worten von
Kollegialität und Idealismus läuft die Sache zuletzt auf
die Förderung geschäftskluger Mittelmäßigkeit hinaus; und
selbst diese Mittelmäßigkeiten liegen einander meist in
offenem oder geheimem Krieg des Neides und der Ver-
kennung in den paaren.
Und diese notorische Unfähigkeit der Künstler zu organi-
sierter Interessenvertretung ist Naturnotwendigkeit. Der
Künstler ist eben nicht „Organ", das zu einem großen
Ganzen mitwirken will, sondern Individuum; desto mehr
Individualität, je größer er ist. Selbst der Mittelmäßige
pflegt jetzt dieses Individualitätsbewußtsein als sein heiligstes
Recht. Selbst vom Mären verlangt er andere Formen, als
sie noch paydn hinnahm, ohne deshalb bei seinen Lsterhazys
schlechter gestellt zu sein als ein pentiger unter dein Geld-
sack. Dem beugt sich schließlich auch der einzelne, — hinter
irgend einem Feigenblatt. Aber „einzelner" will er bleiben.
Nur Massen jedoch können sich zusammenschließen; die
widerstreitenden Strebungen, Anschauungen, Begabungen,
ja, Wunderlichkeiten der Individualitäten, gar erst der
großen Einzelnen werden vereint nur zu einein Lhaos, aus
dem nach kurzer Zeit gläubiger und schmerzlichster Versuche
jedes Genie wieder in seine Einsamkeit flieht, um sich selbst
zu retten, meist sogar, nm dann die anderen zu hassen, die
der Große ebensowenig verstehen konnte wie sie ihn. Auch

Pest ZH.

wirtschaftliche Vereinigungen der Künstler sind also mir Sicher-
heit niemals in höherem Sinn kunstfördernd. (? Red.)
Märene, Kunstkommissionen, Wettbewerbe, Presse,
Manager und Künstlerorganisation bieten also keinerlei
Gewähr dafür, daß das Genie der Mit- und Nachwelt
leisten kann, was es leisten könnte, was davon ans Licht
kommt, hängt immer noch mehr vom allgemeinen Kultur-
niveau als vom Vermögen des Künstlers ab. Ist das
Kulturniveau hoch, so ist die Wahrscheinlichkeit größer, daß
auch ein zunächst fremdartig wirkender Geist früh Ver-
stehende findet; ein fast wissenschaftlich genauer Beweis für
den Satz, daß jede Zeit die Kunst hat, die sie verdient.
Nun soll nicht geleugnet werden, daß heute eine pebung
dieses Niveaus deutlich bemerkbar ist. Die letzte Dresdener
Ausstellung gab freudigen Hoffnungen Raunr. Trotzdem:
Glück muß auch heute noch das Beste tun. Mit der Ver-
schärfung des Daseinskampfes wird die Möglichkeit, daß
Kunstwerke rein um ihrer selbst willen, ohne Rücksicht auf
den Geschmack der Gegenwart, geschaffen werden, mit mathe-
matischer Sicherheit immer geringer; immer mehr Keime
müssen verdorren. Fehlt doch dem unbegüterten eigen-
willigen Künstler auch bei bescheidensten Ansprüchen jede
Möglichkeit, irgendwo unterzukommen, wo er, der brennen-
den Sorgen um den Tag überhoben, seinem Werke zu leben
vermöchte, wie es der mittelalterliche Sinnierer noch konnte:
er ging in ein Kloster. Man könnte es ja auch jetzt noch;
und in winckelmann haben wir ein klassisches Beispiel,
wie ein Ringender seinem höheren Gott zuliebe all seine
Gottesanschauungen retouchierte. Aber dem Rat pamlets
werden doch heute nur wenige zu folgen vermögen; und
in den Klöstern scheint heute ein gar anderer Geist umzu-
gehen, als in den Zeiten des guten Ekkehard oder des Fra
Angelico.
Aber es lohnt doch vielleicht, wenigstens die
Frage aufzuwerfen, ob unsere so organisierfrohe
Zeit nicht im Interesfe einer gewiss en Kunst - und
Künstlerrettung eine Institution schaffen könnte,
die die Vorzüge des Ordenslebens ohne dessen
Nachteile für uns zu retten vermöchte. An Mitteln
dazu brauchte es eigentlich nicht zu fehlen; Staat und Ge-
meinden finden schicklich, für die Kunst etwas zu tun; die
begangenen Wege nur lassen zu wünschen übrig. Der
Ehrgeiz vieler Reichen ist erwacht; es wäre nicht so schlimm,
etwa auch die Eitelkeit in den Dienst zu nehmen. Ich denke
an eine Art Grdensbrüderschaft der Kunstfreunde, natürlich
ohne irgend welche offizielle Religiosität oder gar Kirchlich-
keit, getrennt in helfende, waltende und wirkende Brüder.
Alle Bezeichnungen feien gern preisgegeben; nur der Kern
eines Gedankens soll herausgeschält werden, der doch viel-
leicht zu einem Bäumchen aufgehen könnte.
„helfende Brüder" wären alle Zahlenden; sie könnten
nach Art des „Blanen Kreuzes" Erkennungszeichen erhalten,
eine Art Freimaurertnm oder doch Gesellschaftselite bilden.
Für die vielen, die „überall dabei sein müssen", dürfte das
Brimborium nicht ganz fehlen. Ihre pöherentwickelung
kann nicht erst abgewartet werden; genug zunächst, daß sie
sich etwas dünken und dafür zahlen.
Die „waltenden Brüder" wären ans den helfenden zu
wählen, und zwar unter wesentlichster Beteiligung der
Künstler selbst, der „wirkenden Brüder". Jene hätten alles
Geschäftliche zu erledigen und nähmen dafür besondere
Ehrenstellen ein. Die Künstler aber hätten nur zu schaffen
und erhielten dafür auskömmlichen, nicht reichlichen Unter-
halt. Man kann an Künstlerkolonien denken, die den In-
sassen dann noch besondere Vorteile bieten könnten, ohne
aber die bloße Zahlung von Pensionen auszuschließen. Ja,
man müßte für jede Dafeinsform die wirtschaftliche Mög-
lichkeit suchen, bis zu den täglichen sechs Mark, die manches
nicht mehr unbekannten Dichters Paushalt schon heute allein
zu regeln vermöchten, und man müßte planvoll geradezu
unter den: Gesichtswinkel einer „Züchtung" von schaffenden
Individualitäten die Künstler unter möglichst günstige Lebens-
bedingungen zu setzen streben. Das hieße natürlich nicht, sie
init Automobilen, Rennyachten, Importen und Schleinmer-

Die Werkstatt der Kunst.
 
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