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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 15.1915/​1916

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Scheffler, Karl: Los von Italien
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Iwand, Fritz Georg: Linkshänder und Einarmige
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https://doi.org/10.11588/diglit.57056#0175
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XV, Heft 13.

Die Werkstatt der Kunst.

171

Es handelt sich nicht darum, ob das italienische Volk
uns unsympathisch ist; es darf ein Entschluß, der unsere
Kultur so tief berührt, nicht wie eine Vergeltungs-
maßnahme wirken. Es handelt sich gar nicht um
Italien, sondern um uns selbst, um die Frage, ob
die Deutschen noch länger auf zwei auseinander-
laufenden Wegen ihrer Endbestimmung sich nähern
wollen, ob der Deutsche Italiens alte Kultur zur Er-
gänzung seiner Art schlechterdings nicht entbehren
kann, ob es in aller Ewigkeit eine römische Kultur
deutscher Nation geben soll oder ob wir uns eines
Tages wieder als Erben der gotischen Kulturkraft, als
Träger einer neuen Gotik, die zugleich eine Modernität
größten Stils sein würde, ganz auf uns selbst stellen
können. Das ist eine Lebensfrage des deutschen
Geistes.
In den Kriegstiraden d'Annunzios, die uns über-
mittelt worden sind, blitzte hier und da ein echtes
Gefühl auf. Dort, zum Beispiel, wo er mit einer Art
von Verzweiflung rief, Italien müsse aufhören, das
Land der hochzeitsreisenden zu sein, Italien müsse
wieder mehr werden als ein erhabenes Museum, als
ein Ort der historischen Romantik, das italienische Volk
müsse wieder lebendig in die Geschichte der Gegenwart
und Jukunft eintreten. Wie es dem modernen
Italiener in dieser Weise unerträglich scheint, nur
als Verweser einer großen Vergangenheit betrachtet
zu werden, so ist es für die deutsche Nation mindestens
peinlich, mit ihrer Kultur fortgesetzt noch auf die alten
Kulturwerte einer wesensfremden Rasse zurückgreifen
zu müssen, trotzdem Deutschland zurzeit siegreich im
Mittelpunkt der geschichtsbildenden Kräfte steht. Um
so mehr, als das Kulturvorbild nur scheinbar für uns
paßt, als es tausendfach mißverstanden und künstlich
sentimentalisiert worden ist, als es seiner Eigenart
nach kalt ist und ihm die Tiefe und Urkraft der Gotik
sowohl wie der Antike fehlt. Auch wir dürfen in dieser
monumentalen Zeit nicht länger den Idealismus der
hochzeitsreisenden, die Romantik der Weltfremden,
das Vollkommenheitsklischee von Vildungsmenschen
in unserer Kultur dulden, sondern müssen in jeder
Weise das ganz Lebendige, das Eigene wollen.
Oie Erfahrung einer langen Zeit lehrt, daß Italien
den Willen aller derer lähmt, die nicht schon einen
festen Willen mitbringen, daß darum nur die Ge-
festigten dahin reisen sollten, nicht die noch Suchenden
oder die neutralen Naturen. Italien ist ein Land für
die Meister, nicht für die Lehrlinge. Darum sollte
man der Jugend dieses Land sperren. Rompreise
für junge Künstler, Stipendien für Werdende sind

etwas wie ein nationaler Selbstmord. Zu viele deutsche
Künstler haben das Vorurteil für Italien mit Un-
produktivität schon bezahlt, als daß wir noch länger
dabei bleiben dürften. Unendlich viele Weichlinge
und phraseure hat Rom uns schon zurückgeschickt. —
So ungefähr habe ich in meinem Buch vor einigen
Jahren gesprochen, heute, wo der Ruf allgemeiner
werden will, füge ich aber hinzu: So fest ich überzeugt
bin, daß dem Deutschen sein höchstes nur gelingt, wenn
frei die großen gotischen Instinkte in ihm walten, wie
sehr ich neuen Schöpfungskräften in Deutschland nur
vertraue, wenn es gelingt, den alten Dualismus zu
überwinden, so bestimmt glaube ich doch, daß es eine
doppelte Verarmung bedeuten würde, wenn Italien
nun in die Acht erklärt würde, weil ein Rachegefühl
dazu treibt. Oie Folge wäre ein kultureller Nationalis-
mus engherziger Art. Es gilt nicht, das Land Italien
und seine Kultur äußerlich abzutun, sondern sie inner-
sich zu überwinden. Los von Italien! oder richtiger:
Los von der Renaissance! darf nur rufen, wer in
seinem Innern den Willen zu etwas gleich hohem oder
zu höherem noch trägt. Nur wer die große Hoffnung
auf eine Wiedergeburt des gotischen Geistes in sich
nährt, nur wer die romanische Kultur restlos in etwas
Eigenes verwandeln kann und kühn für seines Volkes
Zukunft nach den Sternen langt, nur wer monumen-
talisch will, in wem der Ehrgeiz brennt, die große Ver-
gangenheit überflügelt und die Nation mit der Krone
der Vollkommenheit gekrönt zu sehen, und nur, wer
bei solchem Versuch die Leinen lieber rühmlich will
zugrunde gehen sehen, als daß sie von den Almosen
des romanischen Glanzes noch weiter zehren — nur
der hat das Recht zu rufen: Los von Italien! Über
eine Kulturwelt von solcher Bedeutung wie die des
alten Italien, darf ein schöpferischer Optimismus
allein das Urteil sprechen. Oer nur politisch Erregte
hat dieses Recht nicht. Denn die Entscheidung richtet
sich nicht mit giftiger Spitze gegen ein uns feindliches
Volk, sondern sie wendet sich hart und unerbittlich
gegen uns selbst. Nicht die Unwürdigkeit der Italiener
steht in Frage, sondern unsere eigene Gestaltungskraft.
Völkerhaß darf in eine Entscheidung, die für uns
Schicksal ist, nicht hineinsprechen, teil an dieser Ent-
scheidung darf nur das Edelste und Reinste in uns
haben: jene tiefe Frömmigkeit, die dem Deutschen
von Natur eigen ist, die ihn bestimmt, von Angesicht
zu Angesicht mit Gott über die großen Fragen des
Lebens zu verhandeln. Nur ein von allen profanen
Zwecken gereinigter Wille zu lebendiger Größe be-
stimme den Entschluß!

Lmkskäncler unä Einarmige.
von Fritz Iwand, cand. jur., Leiter der Straßburger Einarmigenschule.

Vor dem gewaltigen Völkerringen, in dem unser
deutsches Volk steht, hat es nur wenige Linkshänder
und Einarmige gegeben, bildende Künstler waren
meines Wissens nicht vertreten, nur einer, der Stifter
der Wiener Einarmschule, Gosselfinger, befleißigte

sich der Architektur. Ein anderer bekannter Einarmer
ist Graf Zichg, der weit über die Grenzen seines
Heimatlandes Ungarn als Klaviervirtuose berühmt
ist. Da ich auch zu dieser Sorte von Menschen gehöre,
die sich bequem mit der linken Hand durchs Leben zu
 
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