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Wir haben gesehen, wie sich die graphische Kunst im Lause des 15. Jahrhunderts
aus kleinen Anfängen zu jener Höhe der Entwicklung emporschwang, die für die Zukunft
die herrlichsten Früchte zu bringen versprach. Nachdem das Handwerk zuerst die Schwierig-
keiten des Handgrisfs überwunden hatte, würdigte nach und nach auch die wirkliche Kunst
diese neue Erfindung ihrer Aufmerksamkeit und bediente sich derselben, um ihre ideellen
Ziele mit ihr zu erreicheu, ihr selbst den Kuß der künstlerischen Weihe zu geben. Daß
die Anfänge nicht nach den Werken unseres verfeinerten Geschmackes gemessen und be-
urtheilt werden dürfen, versteht sich von selbst. Wenn man aber mit dem Auge des
15. Jahrhunderts die noch vorhandene reiche Masse ihrer Kunst durchforscht, wird man
alsbald finden, wie neben schwächeren Kräften, die nur uoch tasteten, auch bahnbrechende,
zielbewußte Künstler auftraten, denen namentlich der Aufschwung der graphischen Künste
als hohes Verdienst anzurechnen ist. Wenn wir aus der deutschen Schule nur den
Meister L 8 und Schongauer, aus der italienischen Botticelli, Mantegna, G. B. del
Porto, G. Campagnola hervorhebeu, so haben wir damit einzelne Meister genannt, deren
Mühe und Arbeit dem folgenden Jahrhundert die Wege öffnete, auf denen die graphischen
Künste wahrhast Vollendetes hervorbrachten.

Iweile Ieriode.

Die Slüthe der graphischen Liinjte im 16. Zahrhundert.

Deutschland.

Das sechszehnte Jahrhundert war Zeuge des goldenen Zeitalters der graphischen
Künste; diese nahmen Antheil an der allgemeinen Erhöhung der gesammten Kunst. Die
Malerei forderte eine richtige Zeichnung als Grundlage des künstlerischen Schasfens, die
Zeichnung ihrerseits verlangte vom Formschnitt eine künstlerische Berücksichtigung, die
sich aus dem Handwerk heraus an die echte Kunst anschließen wollte. Schließlich hat
auch die Malerei, welche Figürliches und Landschaft nach perspectivischen Regeln auffaßt
und abrundet, den Stich beeinstußt, daß auch dieser mit geeigneten Mitteln alles Sicht-
bare abrundet. Und die künstlerische Schraffirung, die diesem Zwecke entsprach, wurde
denn auch gefunden.

Als glänzender Stern am Kunsthimmel erscheint in Deutschland Albrecht
Dürer, ein Meister, der wie im Gemälde auch im Holzschnitt und im Stich als Re-
formator und zugleich als fruchtbarer Bahnbrecher auftritt. Er bildet in der gra-
phischen Kunst so zu sagen die Signatur des Jahrhunderts und darum soll er auch hier
an erster Stelle seiue Würdigung finden.

Albrecht Dürer führt uns nach Nürnberg. Jn dieser alten Reichsstadt haben
wir bereits ein reges Kunstleben gefunden. Schon zu Ende des 15. Jahrhunderts war
hier, wie wir gesehen haben, V. Stoß, Mair von Landshut, der Mouogrammist N.
thätig gewesen. Auch Mich. Wohlgemut hat durch seine künstlerische Thätigkeit als Maler
wie als Zeichner für den Holzschnitt tüchtige Bausteine zum Ausbau des Kunsttempels

Wesselh, Geschichte der graphischen Künste. 4
 
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