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Wieland: Zeitschrift für Kunst und Dichtung — 3.1917-1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.25539#0094
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Das "Arauttucö

(polnisches Volkslied, frei übertragen von Frigga Brockdorff-Noder)

Glanzenden Auges verheißt er der Schönen
Lkebe und Hochzett, der kaum sie erblickt.
Seidenes Brauttuch sollt mondgelb sie krönen,
seidenes Brauttuch, mit Golde bestickt.

Hat es ihr schmeichelnd und listig versprochen..
Vater und Mutter sind stkll im Gemach —
aber, wie solcher Eidschwur gebrochen,
pfeisen nicht bloß die Spahen am Dach.

Wissens die Leute, und drei junge Knaben.
Schnaps trinkt der eine, der andre trinkt Wein,-
mag sich der dritte an Tränen erlaben,
der ihr gestohlen das Kränzelein.

Tröstet das Mädchen den traurigen Dritten:
„Bin keine Iungfrau mehr, du kein Gesell."
Llber den Wlesen, die herbstlich beschnitten,
hängt eine Sonne zitronenhaft grell.

Stehn vor der Schenke verloren und weinen:
„Mädel, jetzt gib mir noch einmal die Hand!"
Ohnmächtig liegt ske erblaßt auf den Steinen:
„Hätt Lch die Liebe doch nimmer gekannt!"

Wer sie nicht kcnnet, sei glücklich gepriescn!

Gott hat es schühend ihm gnädig gerichtz,
nachts darf er traumlosen Schlummer genießen,
und, wie die Sehnsucht brennt, weiß er nicht.

Lieb ist die schlimmste von allen plagen,
ärger als Kerkcr, Gefängnis, Schafott!
Ienen kannst zw.entrinnen du wagen —
dieser gar niemals, — bewahr Einen Gott!

Acl) und die Ä)ölfe

Bon Otto Alscher

V^inter uns war ein Maisseld. Die Kolben waren schon gebrochen, nur
die Stauden standen noch. Und wenn eine der vielen Kugeln, die
über die weite Stromfläche herüberkamen, tiefer ging, dann war es wie
ein Rattern in den Maisstauden, ein rasselndes Sausen, wenn sie durch
die Stauden fuhr.

Zäh waren die Stauden, selten daß eine einknickte. Nur wenn eine
Granate in das Feld einschlug, haushoch Erde aufwarf, kamen hinterher
pendelnd die langen Halme der Maisstauden zur Erde zurück,- durchzktterten
die Luft die zerfetzten Wedel.

Wir sollten über das Waffer hinweg. Weiter oben bei Belgrad und
Semendria hatten deutsche Kameraden schon am Vortag den Strom über-
setzt. Bei uns arbeiteten hart die Geschühe aus Senkungen und Höhen
her, um uns Bahn zu schaffen.

Wir lagen hart am Waffer. Weiden standen da wke eine Hecke, und
in den Weiden lagen schon die Hontone, harrten dke Moniere zum Abstoßen
bereit. Wir aber schaufelten noch immer im sandigen Boden an dtn
Gräben, dte wir ja in der nächsten Stunde schon verlassen würden.

Es kamen merkwürdig viele Ouergänger, dke zwttscherten, trillerten
und gingen mit lautem Geraffel durch die Maisstauden.

Heute waren wir jeder Parauf gefaßt, den Tag nicht zu überleben.

Waren es die Ouerschläger, war es die weite fremde Wafferfläche: wir

sahen aus schweren Augen aus, fieberhaft harrten wir auf etwas und
wußten doch ketner auf was. Wkr lebten in Erwartung und das Un-
bekannte stand wieder einmal groß vor uns.

Jch aber kehrte immer wieder zu dem so zwecklosen Gedanken zurück:
„Was ist der Tod?" Ich zerrte daran, ungeduldtg, wirr: „Warum, wozu
ist der Tod!" und wußte weniger als )e, stehe er als eine große Macht
vorne, als ein unbarmherziger Zweck, fremd unserm Fühlen,- oder als ein
Feind, tückksch und in setner Hinterlist überlegen, oder ein Schatten, ein
farbkger Bebel, hinter dem alles und auch nichts sein konnre. Dann aber
verlor ich mich in Sinnen,- wozu des Menschen Zerren an dem Borhang
des Todes wohl sei, was er damkt für sein Leben bezwecke. Und während
ich mechanisch dke Gesichter der Kameraden betrachtete, die sich verzerrten
in Lauern und Starren, mühte tch mich vergeblich mit dem Rätsel ab, ob
der Tod ein Aneiferer oder ein Lähmer des menschlichen Lebenswillens sei.

* *

*

Der Knabe wanderte eines Abends über die Berge heimwärts. Dke
Kuppen waren weich tn Dämmerung gebettet, der späte Oktober hatte das
Buschwerk noch nicht entlaubt, ein Leben war im Walde wie ein schreck-
haftes Regen, ein Nascheln,- Amseln lärmten, km fernen Dorfe bellten

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