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hlelt rveiler oben. Da wuchs in mir
die tolle Lust noch höher auf, und ich
sagte zu dem Mädchen: „Bleib du hrer
bei dem Baum. Wenns notroendig ist,
steig hinauf!" faszte meinen Beilstock
unten am Stiel und begann durch den
Schnee gegen die Wölfe zu waten.

Ich kam langsam näher. Schon sah
ich ganz deutlich den Schädel, die auf-
rechtstehenden Ohren, die struppigen
Haare auf dem Rücken und die starken
Läufe, die skch tn den Schnee stemmten.

Der obere der Wölfe machte cin
paar unruhkge Schritte, der untere sah
mich regungslos an.

Ganz seltsam ruhig war ich. Lang-
sam, gar nicht hastig schritt ich nicht ge-
radewegs auf sie zu, sondern wie an
ihnen vorbei. Meine Augen beobachteten
und wartetcn: «Wann werden sie an-
greifcn?!"

Nun war kch schon ganz nahe. Viel-
leicht sollte ich ein paar Sprünge ma-
chen und angrcifen. Abbr wcnn ske
ausweichen, hole ich sie doch nicht ein,
dachte ich mir. Hlöhlich erhob sich dcr
vordere Wolf, den Kopf scheu gewendet
zog er den Berg hinauf. Er wühlte sich
träge durch den Schnee, wie in einer tiefen
Rknne zog er hkn, sah ganz klein aus und
nieder zwischen de' hohen Schneewällcn.

2ch war stehen gebliebcn. Erst wic die Wölfe weiter oben wieder hisl-
ten, und nach mkr herabsahen, biß ich trotzig die Zähne aufcinander und
nahm meinen Weg auf sie zu wieder auf.

Diesmal aber kam tch nicht so nahe, denn sie wandten sich rrnd zogen
gänzlich dem Dorfe zu.

Das Mädel war mir davongelaufen und ich ging alletn nach Hause.
2ch ging gerne allein. Einc groste Verachtung war kn mir gegen die
Wölfe, es kam mir jetzt lächerlich vor, datz kch den Kampf mit ihnen
gesucht hatte, sic schienen mir wie Hunde, die vor einem Stcinwrrrf
flüchten, die man nur prügcln, mit denen man nicht kämpfen kann.
Und mm kam eine Zeit, wo ich verächtlich an dcn Dcren vorbeiging,
der Mensch mir groß und überlegen schien, das Der aber nur ein Wesen,
über das man nicht nachzudenken braucht, weil uns dies nur im Aus-
bau, im Fühlen unserer Kraft störcn kann.

* *

*

Ich hatte mtch in meiner Heimat mitten tm Walde angeskedelt. Mit
der Flinte durchftrcifte ich den Wald, oft mit meiner Frau, schweigsam tn
stundenlanger Wanderung. So kam eine Eksnacht. Die vielen Wolfs-
fährten hatten mir die Sehnsucht wieder gcbracht, dies leidenschaftliche
Verlangen, jenem Dere gegenüberzutreten, das tch sehnend verehrt, das
ich gehaßt, das ich schmerzlich übersehen, dessen Wesen kch aber doch meine
Iünglingszeit hindurch wie andere den Daum vom Wcibe in mir ge-
hegt hatte.

. . . Aus etnem Berggrat wuchscn Felsen empor. Ekn eksiges Mond-
licht erfüllte dte Weite, die nichts als Wald zeigte. Wälder, dlinkel und
schwer über Höhen gehend. Hart wie eine versteinte Faust erschien die
Fläche des Schnees vor mir, die tch in einer Felsnische lauernd übersah.
Ein Tag, wie von der Einsamkeit des Winters und der Wcite lekden-
schaftlich durchzittert, ging rasch in cine Nacht über, die so grost war, daß
sie wi'e ein einziges Erftarrcn erschien, ein jähes Zusammenkrampfen alles
Lebenden.

Kein Laut kam aus den Fernen. Die Stille war so ungeheuer mächtig,
daß sie fast körperliche Formen anzunehmen schken und wie eine Gcstalt
war, die hoch über den Bergen schwebte, mit starren, strengen Zügen,
mit Blicken, dke aus toten Augen kommend, alles lähmten, was trdisch
war. Und als dann tn ekner Schlucht tief unten der erste Wolf heulte,
war es, als habe dke Stille zu schwingen begonnen, mit einem tiefen
Summen, das ein Gesang der Weite, der Berge und des nächtlichen
Waldes war.

Ein Fuchs tauchte unten am Waldrand auf. Er glktt längs des Schat-
tens hin, wand sich wie eine Erscheinung zwischen Büschen, huschte, ver-
schwand, tauchte wieder auf und ließ dann wteder die Nacht zurück, etn-
sam, grosz und ruhig.

Dann erschien der Wolf. Er kaip grofl, dunkel, rasch und gcrade den
Grat entlang, durchschnitt die Helle des Schnees und das Mondlkcht wie
eine Linie und mir war, als habe er mich zum Ziel.

Ich kann mkch ntcht mehr crinnern, wie ich zielte und schoß. 2ch weiß
nur, das; die Gestalt plötzlich reglos auf dem Schnee lag, ich hinstürmte
und dort ständ, wie vor einem unfaßbaren Ereignis, das ein Wunder, eine
mächtige Erschütterung war. So starrte ich das Tker an. Da hob dieses
plöhlich den Kopf und sah nach mir. Es war ein Blick, fremd, dunkel,
wie durch mich hindurchgehend, so menschlich uncrklärlich, voll einer
Wildhekt, ohne Bewegung, die wie etn Stein war, ein Fels, der un-
erschüttcrlich in einer wilden Ebene stand, einen ganzen Horkzont etn-
fassend... Es war ein Blick, der mich nicht faßte, der wke eine jäh auf-
wachsende Mauer war, so daß ich plöhlich erschreckend einsam und verloren
dastehen mußte.

Dann legte der Wolf den Kopf wieder zurück auf dcn Schnee, seine
Augen aber waren offen, seine Blicke ging-n tmmer mehr tn die Ferne, sie
wurden so Weites umfassend, wie in einer seltsamen wildbewegterj Welt
wohnend/ sie sahen mich nicht mehr, blieben gleich ferne, etwas schauend,
das ich nie erfahren würde. Und ohne daß kch in diesen Blicken ein
Brcchen bemerkt hätte, eine Veränderung, erkannte ich dann, daß das
Der tot war.

Die Winternacht blieb starr und ruhkg. Ske war nicht erwacht durch
den Schuß, durch den Mord. Mkr aber war, als hätte der Schuß in mir,
das Sterben dieses Dcres etwas ausgelöscht und zuglekch wiedererstehen
lassen, vor dem kch nun in tkefster Erschütterung stand . . .

Das Märchen vom Anklagenden im Blkcke eknes sterbenden Deres!
Wars nicht, als set der Wolf gar nicht zusammengebrochen im Sterben,
als habe er sich nur größer aufgerichtet um hinüberzugehen in etwas
Gewaltiges, das ihm nkcht fremd ist, weil es ihn immer erwartet, für
ihn offen stcht, auch im Leben. Das war kekn Auslöschen, kein Zu-
sammensinken, das war ein Ekngehen kn ekn Etwas, das ganz gleich für
das Der da ist, im Leben wie im Tode.

* *

*

Nun habe tch zwei Iahre hinter mir, da ich so viele Menschen um mtch
sallen sah, Freunde und Fremde. Ieder schien mkr anders im Sterben zu
sein, aber eines hatten alle gletch: das jähe Zusammenbrechen, das Ver-
schwknden, das vollständige Auslöschen des persönlichen im Wesen, des
eigentlichsten im Leben des Menschen, beimVeratmen tn der lehtenMinute.
Denn der Mensch geht mit seinem Leben tns Ungewisse, das D'er aber
scheint nur in eine Fortsehung des Gewissens seines Daseins hineinzu-
schreitcn. Darum wird es nicht kleiner tm Tode wie der Mensch, der mkt
allem Gewesenen vcrlischt, der dem Tode nichts gegenüberzustcllen hat,
was seine Kraft aufheben könnte. Vkelleicht ist der Tod nichts als ekn
Tier, ist das Bedingungslose im Sein, wke es das Tier ist.

Nun muß ich immer gleichen Schritt mit dem Tier in meinem Denken
halten. Denn es ist eine Ahnung in mir, daß mir nur das Tker, durch die
Größe seines Sterbens, das Rätscl dcs Zweckes als Gewesenes, als Lebe-
wesen lösen kann.

Leichter ist der Schritt der Mcnschen, dic durch die Ticrheit schretten
lerntcn.

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