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Winckelmann, Johann Joachim; Uhde-Bernays, Hermann [Editor]
J. J. Winckelmanns kleine Schriften und Briefe (Band 1): Kleine Schriften zur Geschichte der Kunst des Altertums — Leipzig, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.6830#0163
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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

Mensch in Rom einige Jahre unterhalten gewesen,
das Altertum nachzuahmen! Eine Charitas von Ber-
nini an einem der päpstlichen Grabmäler in St. Peter
zu Rom soll liebreich und mit mütterlichen Augen
auf ihre Kinder sehen. Es sind aber viel widerspre-
chende Dinge in ihrem Gesichte. Das Liebreiche ist
ein gezwungenes satirisches Lachen, damit ihr der
Künstler seine ihm gewöhnliche Grazie, die Grüb-
chen in den Wangen, geben konnte. In Vorstellung
der Betrübnis geht er bis auf das Haarausreißen, wie
man auf vielen berühmten Gemälden, welche ge-
stochen sind, sehen kann,
ie Bewegung der Hände, welche die Gebärden
1/ begleiten, und deren Haltung überhaupt ist an alten
Statuen wie an Personen, die von niemand glauben
beobachtet zu werden. Ob sich gleich wenig Hän-
de an denselben erhalten haben, so sieht man doch
an Richtung des Arms, daß die Bewegung der
Hand natürlich gewesen ist. Diejenigen, welche die
mangelnden oder zerstümmelten Hände ergänzten,
haben ihnen häufig, so wie an ihren eigenen Wer-
ken, eine Haltung gegeben, die eine Person vor dem
Spiegel machen würde, welche ihre vermeinte schöne
Hand denen, die sie bei ihrem Putze unterhalten,
solange und sooft sie kann, im völligen Lichte wollte
sehen lassen. Im Ausdrucke sind die Hände insge-
mein gezwungen, wie eines jungen Anfängers auf
der Kanzel. Faßt eine Figur ihr Gewand, so hält sie
es wie Spinnewebe. Eine Nemesis, welche auf alten
geschnittenen Steinen gewöhnlich ihr Peplum (von
( dem Busen sanft in die Höhe hält, würde es in neuern

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