VON DER EMPFINDUNG DES SCHÖNEN
Malern muß das Sprichwort in Deutschland ent-
standen sein: Schön von weiten, wie die italienischen
Gemälde. Ich unterscheide hier die Freskogemälde,
welche nicht fein ausgeführt werden, weil sie von
weiten wirken müssen, von andern, ferner fleißig
geendigte und geleckte Gemälde, die peinlich und
verzagt gearbeitet sind und sich mehr durch Fleiß,
als durch wahres Wissen anpreisen. Jene aber zeigen
Gewißheit und Zuversicht, und der freie Pinsel ver-
liert nichts im Nahen und wirkt viel weiter, als jener.
Von dieser Art ist die Krone aller Gemälde im klei-
nen in der Welt, im Palast Albani, nämlich die be-
rühmte Verklärung Christi des RafFael, das viele für
das Werk des Meisters selbst halten, einige aber dessen
Schülern zuschreiben. Von der andern Art ist eine
Abnehmung vom Kreuze von Van der WerfF, eines
seiner besten Werke, an ebendem Orte, das der
Künstler für den Kurfürsten von der Pfalz zum Ge-
schenke an Papst Clemens XI. gemacht hat. Im
Kolorit des Nackenden sind Correggio und Tizian
die Meister unter allen, denn ihr Fleisch ist Wahr-
heit und Leben. Rubens, welcher in der Zeichnung
nicht idealisch ist, ist es hier. Sein Fleisch gleicht der
Röte der Finger, welche man gegen die Sonne hält,
und sein Kolorit ist gegen jene, wie eine durchsich-
tige Glaskomposition gegen echtes Porzellan.
In Absicht des Lichts und Schattens können wenige
Werke des Caravaggio und des Spagnoletto schön
sein, denn sie sind der Natur des Lichts zuwider.
Der Grund ihrer finsteren Schatten ist der Satz: ent-
gegengesetzte Dinge nebeneinander werden schein-
203
Malern muß das Sprichwort in Deutschland ent-
standen sein: Schön von weiten, wie die italienischen
Gemälde. Ich unterscheide hier die Freskogemälde,
welche nicht fein ausgeführt werden, weil sie von
weiten wirken müssen, von andern, ferner fleißig
geendigte und geleckte Gemälde, die peinlich und
verzagt gearbeitet sind und sich mehr durch Fleiß,
als durch wahres Wissen anpreisen. Jene aber zeigen
Gewißheit und Zuversicht, und der freie Pinsel ver-
liert nichts im Nahen und wirkt viel weiter, als jener.
Von dieser Art ist die Krone aller Gemälde im klei-
nen in der Welt, im Palast Albani, nämlich die be-
rühmte Verklärung Christi des RafFael, das viele für
das Werk des Meisters selbst halten, einige aber dessen
Schülern zuschreiben. Von der andern Art ist eine
Abnehmung vom Kreuze von Van der WerfF, eines
seiner besten Werke, an ebendem Orte, das der
Künstler für den Kurfürsten von der Pfalz zum Ge-
schenke an Papst Clemens XI. gemacht hat. Im
Kolorit des Nackenden sind Correggio und Tizian
die Meister unter allen, denn ihr Fleisch ist Wahr-
heit und Leben. Rubens, welcher in der Zeichnung
nicht idealisch ist, ist es hier. Sein Fleisch gleicht der
Röte der Finger, welche man gegen die Sonne hält,
und sein Kolorit ist gegen jene, wie eine durchsich-
tige Glaskomposition gegen echtes Porzellan.
In Absicht des Lichts und Schattens können wenige
Werke des Caravaggio und des Spagnoletto schön
sein, denn sie sind der Natur des Lichts zuwider.
Der Grund ihrer finsteren Schatten ist der Satz: ent-
gegengesetzte Dinge nebeneinander werden schein-
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