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WINCKELMANNS KLEINE SCHRIFTEN

Die drei Grazien sind in seiner ersten Art — denn
Tizian hat seinen Stil mehr als einmal verändert —,
das ist mit harten Konturen. Konturen sind die äußer-
sten Linien, die eine Figur umschreiben. Hart heißen
dieselben, wenn sich die äußersten Züge nicht all-
mählich verlaufen, sondern auf einmal gleichsam
abgeschnitten sind. Die Jünger von Emmaus sind
schöner, und Christus, dem man die Zinsemünze zei-
get (Christo alla Moneta), ist das berühmteste; aus
Modena. Es findet sich eine Kopie von diesem, die
dem Original so ähnlich ist als ein Ei dem andern.

Man giebet außerdem noch eine liegende nackende
Venus vor ein Werk dieses Meisters aus; sie hat aber
keine vorzügliche Schönheiten und kann vielleicht
nur aus seiner Schule sein.

Von Tizians Meister Giovanni Bellino ist ein Salvator
schätzbar wegen des Altertums, guter Ausdrückung
und wegen der äußeren Schönheiten, die dieses Werk
von den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts behalten
hat. Die Figur ist groß als die Natur; der Mantel von
dem schönsten Ultramarin, welcher damals wegen
des Handels der Venezianer nach dem Orient nicht
so teuer muß gewesen sein.

Es ist bekannt, daß diese Farbe aus einem edlen Stein,
Lapislazuli (Lasurstein) genannt, gemacht wird.
Man verfertiget noch itzo zu Venedig dergleichen
Farbe von geringerem Werte aus dergleichen Stein,
der in Welschland gebrochen wird. Derbeste kommt
aus der Tatarei, und selbst das Wasser, das übrig-
bleibt, wenn diese kostbare Farbe abgetrieben und
etlichemal gereiniget ist, machet eine besondere

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