Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Winckelmann, Johann Joachim; Kunze, Max; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]
Schriften und Nachlaß (Band 4,3): Geschichte der Kunst des Alterthums: allgemeiner Kommentar : Erste Auflage Dresden 1764, zweite Auflage Wien 1776 — Mainz am Rhein: Verlag Philipp von Zabern, 2007

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.58925#0099
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
I. Teil - Von dem Ursprünge der Kunst

97

41,4 ungeschmackt: übertragen ,unangenehm‘, hier wohl ,fade‘. Schriftsprachlich schon im 18. Jh. veraltet;
Johann Friedrich Heynatz (1744-1809) empfiehlt dafür ,geschmacklos‘ (Versuch eines dt. Antibarbarus I-
II, Berlin 1796-1797 II S. 521). Allerdings besitzt ,ungeschmackt ‘ wie hier bei W. einen Eigenwert, der sich
sinnentsprechend weder mit ,geschmacklos‘, ,unschmackhaft‘ oder ,abgeschmackt decken würde; DWB XI,3
Sp. 853-855 (bes. 3b).
41,4-5 der Mensch allezeit der vornehmste Vorwurf der Kunst und der Künstler gewesen ist: Vorwurf (von
lat. obiectum) allg. für ,Gegenstands Als Fachwort der Kunstbetrachtung steht es im Sinne von ,Gegenstand
künstlerischer Bearbeitung bzw. Darstellung‘ für ,Stoff, Thema, Motiv‘ und wird so häufig von W. gebraucht.
- Ähnlich formuliert W. bereits 1759 in Betrachtung (Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen
Künste V,l, hrsg. von Christian Felix Weiße, Leipzig 1762 S. 5 = KS S. 151,32), wenn er schreibt: „Der höchste
Vorwurf der Kunst für denkende Menschen ist der Mensch“. Rehm interpretiert diese Äußerungen W.s nicht nur
als Ausdruck der sich im 17. Jh. entwickelnden Rangfolge der Sujets in der Kunst (Primat des Historienbildes
mit der Darstellung des handelnden Menschen, danach erst Landschaft oder Stilleben), sondern auch bereits „im
Sinne der neuen Wertung der Menschlichkeit als Humanitas“; vgl. Rehm in: KS S. 416 (zu 151,32).
Lit.: DWB XII,2 Sp. 1967-1969; Kluge S. 769; Paul S. 1012; LdA S. 264-266 s. v. Mensch (Hans Erich Bödeker).
41.9 Sinesen und Tatern: Chinesen (s. auch Komm, zu 247,8) und Tataren, hier wohl Asiaten (Mongolen).
- Tater (Plur. Tatern) oder Tatar mit den Nebenformen Tatter, Tartar, Tarter (in Anlehnung an Tartaros: ,die
aus der Unterwelt gekommenen‘). - Bei Zedier XLII (1744) Sp. 32, heißt es 1744: „Tartarey [...] wird heut zu
Tage das gantze grosse Gebiete genennet, welches ehemahls unter dem Nahmen Scythien verstanden worden.
Und wie man das Scythische Reich in zween Haupt-Theile unterschieden hat, nehmlich in das Asiatische- und
Europäische Scythien: so wird auch die Tartarey in die Asiatische [oder: Große] und Europäische [oder: Kleine]
Tartarey eingetheilet.“ - Die Bedeutung des Völkernamens ,Tataren‘ erweist sich in der Geschichtsschreibung und
Ethnologie als sehr schwankend und wird bald in engerer, bald in weiterer Bedeutung gebraucht. Ursprünglich
Name eines mongolischen Stammes (,ta-ta‘), wird er in Europa Sammelbegriff für die im 13. Jh. unter Dschingis-
Khan vereinigten Mongolen und Turkvölker. Noch Ende des 19. Jhs. gilt die Bezeichnung sowohl für den hoch-
asiatischen Völker- und Sprachstamm als auch für die im Russischen Reich lebenden Türken und insbesondere
für das in der Goldenen Horde entstandene Mischvolk aus Mongolen, Türken, Resten anderer Turkvölker,
Wolgafinnen und Ostslawen. Man unterschied sie in Krimtataren, Kaukasustataren (Calmücken, vgl. Komm, zu
247,9), Wolgatataren (türkische Stämme an der unteren Wolga und am Ural), Uraltataren (Sibirien) und rechnete
auch Kirgisen, Baschkiren und Karakalpaken vom Aralsee hinzu. - Einen Volksstamm „ in der Crimischen Taterey “
(zur Europäischen oder Kleinen Tatarei gehörend), die „Kabardinski“ (Kabardiner), nennt W. in den Gedancken
als Beispiel für Völker, bei denen Schönheit keinen Vorzug darstelle, da „alles schön ist“-, vgl. Gedancken S. 6 = KS
S. 32,28-31 mit Komm, von Rehm zu 32,31.
Lit.: Zedier XLII (1744) Sp. 32-43; DWB XI,1,1 Sp. 158; Brockhaus' Konversations-Lexikon I-XI, 14. Aufl. Leipzig, Berlin, Wien 1895 XI
S. 630 s. v. Tatarei, 630-631 s. v. Tataren.
41.10 Rubens ... Aufenthalte in Italien: Peter Paul Rubens (Siegen 1577-Antwerpen 1640) hielt sich 1600-1608
in Rom, Mantua, Genua und anderen ital. Städten auf, bevor er sich in Antwerpen niederließ. Zu Lebzeiten als
„Apelles des Jahrhunderts“ gerühmt, sank sein Ansehen im späteren 17. Jh., namentlich in Frankreich, wo ihn
die sich auf Poussin berufenden klassizistischen Theoretiker (Felibien) fundamentale Mängel in der Zeichnung
vorwarfen. Roger de Piles, der die koloristische Gegenposition der „Rubenisten“ vertrat, erkannte diese Vorwürfe
an (während er Komposition und Farbe auf seiner Wertskala mit 18 bzw. 17 Punkten bedachte, erhielt Rubens für
Zeichnung nur 13 Punkte), verwies jedoch zur Erklärung auf die nationale Herkunft des Künstlers, „le naturel
de son pais, dont il se servoit, [...] fait tomber malgre, luy dans un Caractere Flamand. et luy ont quelquefois fait
faire un mauvais chois, qui donne atteinte [...] la regularit, de son dessin“ (Abrege de la [...], Paris 1699 S. 403; so
auch John Turnbull, A Treatise on Ancient Painting, Containing Observations on the Rise, Progress and Decline
of that Art amongst the Greeks and Romans [...], London 1740 S. 92, 164-165). W., der diese Meinung teilt, hatte
zu Rubens ein gespaltenes Verhältnis, vergleichbar dem Jacob Burckhardts; er bewunderte die Meisterwerke des
„grossen Rubens“ in der Dresdner Galerie, sprach ihnen jedoch „den Griechischen Umriß der Cörper“ {Gedancken
= KS S. 39) ab; was ihn für den Künstler vor allem einnahm, war dessen unerschöpfliche Phantasie und Neigung
zum Allegorischen: als „erhabener Dichter“ habe er sich vor allem in seinem Gemäldezyklus für Maria Medici
erwiesen. Das höchste Lob zollte er ihm im „Colorit des Nackenden“: „Rubens, welcher in der Zeichnung nicht
 
Annotationen