Trattato premiliare [vorläufige Abhandlung] · Kommentar
157
Mahler und Philosoph; und es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Hermaphrodit in der Villa Borghese ein Werk eben dieses Polycles sey.
Ein Zeitgenosse dieser Künstler scheint auch Apollonius gewesen zu seyn, ein Sohn des [202] Nestor aus Athen, und Meister der Statue
des Hercules, von weichere uns der berühmte Sturz im Hofe der Belvedere übrig geblieben; wenigstens kann man auf diese Zeit schließen
aus der Form der Buchstaben in dem Namen des Künstlers an dem Fußgestelle der eben genannten Statue. Denn der Buchstabe Omega
Ω hat in dieser Inschrififast die Form des Cursivbuchstaben ω, und das also geformte Omega erscheint zuerst auf Münzen der Könige
in Syrien, und in der Inschrifi des Gefäßes des Mithradates im Capitolinischen Museum, und zwar in dem Worte AIACWZE. Man liest
in dieser Inschrifi vordem Worte AIACWZE das WortEU<$A, das auf mehrere Arten erklärt worden, wie P. Corsini in einer Abhandlung
über eben dieses Gefäß zeigt. Es wird daher dem Leser nicht unangenehm seyn, wenn ich im Vorbeygehen bemerke, daß, da Corsini seine
Meynung über jenes Wort entwickelt hat, ich in der Geschichte der Kunst eine andere Erklärung versucht habe, welche vielleicht auch
haltbar seyn könnte. Ich glaube nämlich, daßeucpa ein um zwey Sylben abgekürztes Adjectiv sey und man lesen müsse έυφάλαρον. Dieses
mit dem Worte διάσωζε verbunden, würde heißen: bewahre es rein und glänzend und sich auf denjenigen beziehen, welcher über das
vom Mithradates gegründete Gymnasium, wo jenes [203] Gefäß war, die Aufsicht hatte. Diese Bedeutung kann das Wort έυφάλαρος
haben, da es von glänzendem metallenen Pferde-Geschirregebraucht wird.
$. 150. Indem ich aber auf die Zeit Rücksicht nehme, in welcher das Omega sich allmälig der Form der Cursivschrifi näherte: so glaube
ich, daß der Sturz im Belvedere weder vor noch unmittelbar nach Alexander dem Großen gearbeitet seyn könne, sondern daß sein Alter
in die Zeiten, von welchen hier die Rede ist, und zwar in die hundert und fünf und vierzigste Olympiade zu setzen sey, als die Kunst
unter den Griechen zugleich mit der Freyheit wieder aufblühte.
Neuer Verfall der Kunst in Griechenland, verursacht durch die Siege der Römer über die Achäer und durch die Plünderung
von Corinth.
$. 151. Indessen war der Genuß dieser Freyheit von kurzer Dauer, weil die Griechen dieselbe nicht zu benutzen wußten; von Natur
unruhig bewiesen sie sich den Römern abgeneigt, und diese schöpfen zu großen Argwohn aus dem noch bestehenden Achäischen Bunde.
Da nun die Römer durch den Metellus vergebens gesucht hatten, für immer in ein gutes Vernehmen mit den Griechen zu treten, schickten
sie nach dem Siege über den Perseus, den letzten König in Macedonien, und nach der Eroberung seines Reichs, den Lucius Mummius
mit einem andern Heere nach Griechenland. Dieser kämpfte mit den Griechen bey Corinth, schlug sie, eroberte diese Stadt, das
Haupt des Achäischen [204] Bundes, und zerstörte dieselbe. Dieses geschah in eben dem Jahre, in welchem Carthago ein gleiches
Schicksal erfuhr.
$. 152. Durch die Plünderung von Corinth kamen die ersten Werke der Griechischen Kunst nach Rom, und Mummius ließ sie
bey seinem Triumphzuge sehen. Sie gefielen den Römern so sehr, daß diese von jetzt an nicht aufhörten, viele Städte Griechenlands
zu berauben. Marcus Scaurus nahm als Aedilis der Stadt Sicyon wegen rückständiger Schulden an die Staatskasse in Rom, alle
ihre Gemählde aus Tempeln und öffentlichen Gebäuden, und sie dienten ihm zur Auszierung seines prächtigen Theaters, welches
er auf einige Tage bauen ließ für die von ihm als Aedilis zu gebenden Spiele. Gemählde sammt der Mauer wurden fortgeschleppt
und so nach Rom gebracht, welche Gewaltthätigkeit die Aedilen, Murana und Barro, in Sparta verübten. Da auf diese Weise allen
Räubereyen Thür und Riegel geöffnet und die Griechischen Städte der Willkür ihrer Ueberwinder ausgesetzt waren, entsagten sie
der alten Gewohnheit auf öffentliche Werke der Kunst Kosten zu verwenden, und die Künstler, denen die Mittel zur Ausübung
der Kunst fehlten, verließen ihr Vaterland, um sich anderswo ein besseres Loos zu suchen.
[205] Aehnliches Schicksal der Kunst in Aegypten und unter den Seleuciden.
$. 153. Wenig verschieden war das Schicksal der Kunst in Aegypten und Asien. Aus Aegypten entfernten sich fast alle Gelehrte und
Künstler bey der grausamen Verfolgung, welche Ptolemäus Physcon, der siebente König, nach seiner Rückkehr in das Reich, welches er
verlassen mußte, wider die Stadt Alexandria ausübte; auf diese Art machte Physcon das zweyte Jahr seiner Regierung, welches in die
hundert und acht und fünfzigste Olympiade fällt, merkwürdig.
$. 154. Bey dieser Unterdrückung, welche die Griechische Kunst erlitt, war ihr letzter Beschützer König Antiochus, der vierte dieses
Namens, der Sohn Antiochus des Großen, und Nachfolger seines ältern Bruders Seleucus in der Regierung. Er liebte und beschützte
die Kunst so sehr, daß die Unterredung mit den Künstlern seine vornehmste Beschäftigung war. Aber nach dem Siege der Römer über
Antiochus den Großen bey Magnesia, in der hundert und sieben und fünfzigsten Olympiade, kam alles Land, was die Seleuciden in
Klein-Asien und in Phrygien besessen hatten, in die Gewalt der Sieger, so daß das Gebürge Taurus als Gränze zwischen beyden Reichen
festgesetzt wurde. Die Gemeinschaft mit den Griechen war dadurch gleichsam abgeschnitten und jenseits des Gebürges war nicht das
Land, wo die Griechen ihre Kunst pflegen konnten. Die [206] Kunst wurde hieraufvon den Königen von Bithynien und Pergamus in
Klein-Asien aufgenommen und zugleich mit den Wissenschaften von ihnen beschützt; auch gegen die Städte Griechenlands bewiesen
sie sich freygebig und die Stadt Sicyon bezeugte dem Könige Eumenes ihre Dankbarkeit für seine Verdienste durch eine colossalische
Statue, welche sie ihm errichtete.
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Mahler und Philosoph; und es ist nicht unwahrscheinlich, daß der Hermaphrodit in der Villa Borghese ein Werk eben dieses Polycles sey.
Ein Zeitgenosse dieser Künstler scheint auch Apollonius gewesen zu seyn, ein Sohn des [202] Nestor aus Athen, und Meister der Statue
des Hercules, von weichere uns der berühmte Sturz im Hofe der Belvedere übrig geblieben; wenigstens kann man auf diese Zeit schließen
aus der Form der Buchstaben in dem Namen des Künstlers an dem Fußgestelle der eben genannten Statue. Denn der Buchstabe Omega
Ω hat in dieser Inschrififast die Form des Cursivbuchstaben ω, und das also geformte Omega erscheint zuerst auf Münzen der Könige
in Syrien, und in der Inschrifi des Gefäßes des Mithradates im Capitolinischen Museum, und zwar in dem Worte AIACWZE. Man liest
in dieser Inschrifi vordem Worte AIACWZE das WortEU<$A, das auf mehrere Arten erklärt worden, wie P. Corsini in einer Abhandlung
über eben dieses Gefäß zeigt. Es wird daher dem Leser nicht unangenehm seyn, wenn ich im Vorbeygehen bemerke, daß, da Corsini seine
Meynung über jenes Wort entwickelt hat, ich in der Geschichte der Kunst eine andere Erklärung versucht habe, welche vielleicht auch
haltbar seyn könnte. Ich glaube nämlich, daßeucpa ein um zwey Sylben abgekürztes Adjectiv sey und man lesen müsse έυφάλαρον. Dieses
mit dem Worte διάσωζε verbunden, würde heißen: bewahre es rein und glänzend und sich auf denjenigen beziehen, welcher über das
vom Mithradates gegründete Gymnasium, wo jenes [203] Gefäß war, die Aufsicht hatte. Diese Bedeutung kann das Wort έυφάλαρος
haben, da es von glänzendem metallenen Pferde-Geschirregebraucht wird.
$. 150. Indem ich aber auf die Zeit Rücksicht nehme, in welcher das Omega sich allmälig der Form der Cursivschrifi näherte: so glaube
ich, daß der Sturz im Belvedere weder vor noch unmittelbar nach Alexander dem Großen gearbeitet seyn könne, sondern daß sein Alter
in die Zeiten, von welchen hier die Rede ist, und zwar in die hundert und fünf und vierzigste Olympiade zu setzen sey, als die Kunst
unter den Griechen zugleich mit der Freyheit wieder aufblühte.
Neuer Verfall der Kunst in Griechenland, verursacht durch die Siege der Römer über die Achäer und durch die Plünderung
von Corinth.
$. 151. Indessen war der Genuß dieser Freyheit von kurzer Dauer, weil die Griechen dieselbe nicht zu benutzen wußten; von Natur
unruhig bewiesen sie sich den Römern abgeneigt, und diese schöpfen zu großen Argwohn aus dem noch bestehenden Achäischen Bunde.
Da nun die Römer durch den Metellus vergebens gesucht hatten, für immer in ein gutes Vernehmen mit den Griechen zu treten, schickten
sie nach dem Siege über den Perseus, den letzten König in Macedonien, und nach der Eroberung seines Reichs, den Lucius Mummius
mit einem andern Heere nach Griechenland. Dieser kämpfte mit den Griechen bey Corinth, schlug sie, eroberte diese Stadt, das
Haupt des Achäischen [204] Bundes, und zerstörte dieselbe. Dieses geschah in eben dem Jahre, in welchem Carthago ein gleiches
Schicksal erfuhr.
$. 152. Durch die Plünderung von Corinth kamen die ersten Werke der Griechischen Kunst nach Rom, und Mummius ließ sie
bey seinem Triumphzuge sehen. Sie gefielen den Römern so sehr, daß diese von jetzt an nicht aufhörten, viele Städte Griechenlands
zu berauben. Marcus Scaurus nahm als Aedilis der Stadt Sicyon wegen rückständiger Schulden an die Staatskasse in Rom, alle
ihre Gemählde aus Tempeln und öffentlichen Gebäuden, und sie dienten ihm zur Auszierung seines prächtigen Theaters, welches
er auf einige Tage bauen ließ für die von ihm als Aedilis zu gebenden Spiele. Gemählde sammt der Mauer wurden fortgeschleppt
und so nach Rom gebracht, welche Gewaltthätigkeit die Aedilen, Murana und Barro, in Sparta verübten. Da auf diese Weise allen
Räubereyen Thür und Riegel geöffnet und die Griechischen Städte der Willkür ihrer Ueberwinder ausgesetzt waren, entsagten sie
der alten Gewohnheit auf öffentliche Werke der Kunst Kosten zu verwenden, und die Künstler, denen die Mittel zur Ausübung
der Kunst fehlten, verließen ihr Vaterland, um sich anderswo ein besseres Loos zu suchen.
[205] Aehnliches Schicksal der Kunst in Aegypten und unter den Seleuciden.
$. 153. Wenig verschieden war das Schicksal der Kunst in Aegypten und Asien. Aus Aegypten entfernten sich fast alle Gelehrte und
Künstler bey der grausamen Verfolgung, welche Ptolemäus Physcon, der siebente König, nach seiner Rückkehr in das Reich, welches er
verlassen mußte, wider die Stadt Alexandria ausübte; auf diese Art machte Physcon das zweyte Jahr seiner Regierung, welches in die
hundert und acht und fünfzigste Olympiade fällt, merkwürdig.
$. 154. Bey dieser Unterdrückung, welche die Griechische Kunst erlitt, war ihr letzter Beschützer König Antiochus, der vierte dieses
Namens, der Sohn Antiochus des Großen, und Nachfolger seines ältern Bruders Seleucus in der Regierung. Er liebte und beschützte
die Kunst so sehr, daß die Unterredung mit den Künstlern seine vornehmste Beschäftigung war. Aber nach dem Siege der Römer über
Antiochus den Großen bey Magnesia, in der hundert und sieben und fünfzigsten Olympiade, kam alles Land, was die Seleuciden in
Klein-Asien und in Phrygien besessen hatten, in die Gewalt der Sieger, so daß das Gebürge Taurus als Gränze zwischen beyden Reichen
festgesetzt wurde. Die Gemeinschaft mit den Griechen war dadurch gleichsam abgeschnitten und jenseits des Gebürges war nicht das
Land, wo die Griechen ihre Kunst pflegen konnten. Die [206] Kunst wurde hieraufvon den Königen von Bithynien und Pergamus in
Klein-Asien aufgenommen und zugleich mit den Wissenschaften von ihnen beschützt; auch gegen die Städte Griechenlands bewiesen
sie sich freygebig und die Stadt Sicyon bezeugte dem Könige Eumenes ihre Dankbarkeit für seine Verdienste durch eine colossalische
Statue, welche sie ihm errichtete.