Trattato premiliare [vorläufige Abhandlung] · Kommentar
159
Zwey Statuen gefangener Könige im Capitol.
§. 161. Zu den Denkmalen der Bildhauerey, welche in den letzten Jahren der Römischen Freyheit in Rom und wahrscheinlich von
Griechischen Künstlern verfertigt worden, gehören zuerst die zwey gefangenen Könige von schwarz gräulichem Marmor, die vom Pabst
Clemens XI. ruhm würdigen Andenkens gekauft und auf beyden Seiten der triumphirenden Roma im Capitol aufgestellt worden, wie
auch die Statue des Pomp ejus im Pallaste Spada. Die beyden ersten Statuen stellen Thracische Könige und zwar derjenigen Thracier
vor, die Scordisci hießen, welche, wie Florus berichtet, vom Marcus Licinius Lucullus, dem Bruder des prächtigen Lucullus, besiegt
wurden. Erbittert über den wiederholten Meineid dieser Völker ließ er ihren Königen beyde Hände abhauen, so wie die Statuen
selbst gebildet sind, die eine mit abgeschnittenen Händen bis über den Elbogen, die andere mit abgehauenen Händen bis über die
Knöchel, die folglich hierin ähnlich sind den Statuen von Gefangenen in dem Mausoleum des Königs Osymandias in Aegypten,
welche auch mit abgehauenen Händen gebildet waren, gleichwie zwanzig hölzerne colossalische Statuen in der Stadt [211] Sais in
eben diesem Reiche. Die Chlamys an den beyden eben erwähnten Capitolinischen Figuren, welche mit Franzen besetzt und auf der
rechten Schulter zusammengeknüpft ist, schlägt großartige ungezwungene und mit solcher Meisterschaft gearbeitete Falten, daß diese
Statuen, ohne sie als Denkmale der Geschichte jener Zeiten zu betrachten, sich durch sich selbst achtungswerth machen; denn sie sind
mit so großem Fleiße ausgeführt, daß man an ihnen mehr als an andern Statuen die erhobenen und vertieften Reifen sieht, welche
über die Chlamys hinlaufen und in den Gewändern der Alten blieben, nachdem sie zusammengelegt und auch mehrere Male gepreßt
waren, damit sie keinen falschen Bruch annehmen mögten. Aehnliche Falten sieht man an dem Mantel einer weiblichen Statue in
dem Museum zu Oxford in England.
Die Statue des Pompejus im Pallaste Spada.
$. 162. So oft ich die Statue des Pompejus betrachte, befremdet es mich immer, diesen berühmten Römer heroisch und in Gestalt ver-
götterter Kayser, das ist, mit Ausnahme der Chlamys, ganz unbekleidet vorgestellt zu sehen. Dieses scheint mir mit der Bescheidenheit
eines Bürgers zu streiten, da ich nicht denken kann, daß man ihm nach seinem Tode so sehr sollte geschmeichelt haben, da seine Parthey
vernichtet war, und sich niemals wieder erheben konnte. Ich glaube auch, daß diese [212] die einzige Statue eines Römischen Bürgers
aus den Zeiten der Republik sey, die heroisch abgebildet worden, da uns Plinius lehrt, daß der Gebrauch bey den Griechen gewesen,
nackte Statuen zu errichten, da hingegen die Römischen, sonderlich die ihrer Krieger, in Rüstung oder mit dem Panzer vorgestellt
worden (graeca res est, nihil velare: at contra romana ac militaris, thoracas addere.)
$. 163. Man könnte mir vielleicht zwey gleichfalls nackte Statuen entgegenstellen, welche gemeiniglich für Abbildungen von zwey
berühmten Römischen Bürgern gelten. Die eine befand sich sonst in der Villa Montalto zu Rom und steht jetzt zu Versailles. Die
Figur ist vorgestellt, wie sie am rechten Fuße den Schuh zubindet, indem der linke Fuß bloß ist; man glaubt, daß es die Statue des
Diktators Q. Cincinnatus sey; die andere im Pallaste Grimani zu Venedig gilt für das Bildniß des Marcus Agrippa. Allein, welches
Kennzeichen findet man an der ersten dieser Statuen um sie für eine Abbildung des Cincinnatus zu halten! Ein Pflugeisen, wird man
mir antworten, das hinter der Statue zu ihren Füßen liegt, und sich sehr gut zu diesem Gegenstände paßt; denn die Abgesandten des
Römischen Senats, welche dem Q. Cincinnatus die Zeichen der Diktatur überbringen sollten, fanden ihm beym Pflügen. In der That,
dieses ist ein sehr scheinbarer Einwurf. Aber zu Folge des [213] von mir in der Vorrede zu diesem Werke aufgestellten Grundsatzes
und vermöge der oben angeführten Bemerkung des Plinius muß man annehmen, daß die Statue, von welcher wir reden, nicht einen
Römischen Bürger, sondern mit weit mehr Wahrscheinlichkeit einen Helden und vielleicht den Jason vorstelle. Denn dieser war, wie
man erzählt, schon in seiner frühen Jugend von seinem Vater aus seiner Heimath geschickt worden; als er herangewachsen, wurde
er vom Pelias, dem Bruder seines Vaters, obgleich er ihn nicht kannte, nebst andern Benachbarten zu einem feyerlichen Opfer für
den Neptunus eingeladen. Er wurde gerufen, da er pflügte, und aus Besorgnißfür ihm vorgeschriebene Zeit zu verfehlen, vergaß er
in der Eile den Schuh an den linken Fuß zu legen, und erschien daselbst nur mit einem Schuhe. Damals löste sich für den Pelias das
ihm gegebene räthselhafie Orakel, sich vordem zu hüten, welcher mit einem einzigen Schuhe (μονοκρηπις) zu ihm kommen würde.
Läßt sich wohl unter den Erzählungen der Alten eine andere finden, die es wahrscheinlicher macht, daß die Statue in Versailles nicht
den Cincinnatus, sondern den Jason vorstelle! Es war auch eine Statue des Dichters Anacreon nur mit einem Schuhe vorgestellt, um
anzudeuten, daß er den andern in der Betrunkenheit anzuziehen vergessen hatte. [214]
§. 164. Was soll ich von Maffei sagen, welcher diese Statue für das Bildniß jenes Römischen Bürgers hält, bloß wegen des
Schuhanziehens, nicht wegen des Pflugeisens, welches in dem von Maffei gesehenen Kupfer nicht sichtbar wird, weil die Seite, von
welcher diese Statue gezeichnet worden, den Anblick desselben den Augen entzog. Nicht allein in dieser Statue will er aus einem so
schwachen Grunde einen Cincinnatus sehen, sondern auch, um die gemeine Meynung, welche er durchaus nicht begründen konnte,
zu begünstigen, in einem geschnittenen Steine, welcher schon vorher von Leonardo Agostini bekannt gemacht ist, und gleichfalls
eine Figur, die sich die Schuhe anzieht, vorstellt. Nach dem Kupfer zu urtheilen, scheint dieser Stein von einer neuen Hand zu seyn.
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Zwey Statuen gefangener Könige im Capitol.
§. 161. Zu den Denkmalen der Bildhauerey, welche in den letzten Jahren der Römischen Freyheit in Rom und wahrscheinlich von
Griechischen Künstlern verfertigt worden, gehören zuerst die zwey gefangenen Könige von schwarz gräulichem Marmor, die vom Pabst
Clemens XI. ruhm würdigen Andenkens gekauft und auf beyden Seiten der triumphirenden Roma im Capitol aufgestellt worden, wie
auch die Statue des Pomp ejus im Pallaste Spada. Die beyden ersten Statuen stellen Thracische Könige und zwar derjenigen Thracier
vor, die Scordisci hießen, welche, wie Florus berichtet, vom Marcus Licinius Lucullus, dem Bruder des prächtigen Lucullus, besiegt
wurden. Erbittert über den wiederholten Meineid dieser Völker ließ er ihren Königen beyde Hände abhauen, so wie die Statuen
selbst gebildet sind, die eine mit abgeschnittenen Händen bis über den Elbogen, die andere mit abgehauenen Händen bis über die
Knöchel, die folglich hierin ähnlich sind den Statuen von Gefangenen in dem Mausoleum des Königs Osymandias in Aegypten,
welche auch mit abgehauenen Händen gebildet waren, gleichwie zwanzig hölzerne colossalische Statuen in der Stadt [211] Sais in
eben diesem Reiche. Die Chlamys an den beyden eben erwähnten Capitolinischen Figuren, welche mit Franzen besetzt und auf der
rechten Schulter zusammengeknüpft ist, schlägt großartige ungezwungene und mit solcher Meisterschaft gearbeitete Falten, daß diese
Statuen, ohne sie als Denkmale der Geschichte jener Zeiten zu betrachten, sich durch sich selbst achtungswerth machen; denn sie sind
mit so großem Fleiße ausgeführt, daß man an ihnen mehr als an andern Statuen die erhobenen und vertieften Reifen sieht, welche
über die Chlamys hinlaufen und in den Gewändern der Alten blieben, nachdem sie zusammengelegt und auch mehrere Male gepreßt
waren, damit sie keinen falschen Bruch annehmen mögten. Aehnliche Falten sieht man an dem Mantel einer weiblichen Statue in
dem Museum zu Oxford in England.
Die Statue des Pompejus im Pallaste Spada.
$. 162. So oft ich die Statue des Pompejus betrachte, befremdet es mich immer, diesen berühmten Römer heroisch und in Gestalt ver-
götterter Kayser, das ist, mit Ausnahme der Chlamys, ganz unbekleidet vorgestellt zu sehen. Dieses scheint mir mit der Bescheidenheit
eines Bürgers zu streiten, da ich nicht denken kann, daß man ihm nach seinem Tode so sehr sollte geschmeichelt haben, da seine Parthey
vernichtet war, und sich niemals wieder erheben konnte. Ich glaube auch, daß diese [212] die einzige Statue eines Römischen Bürgers
aus den Zeiten der Republik sey, die heroisch abgebildet worden, da uns Plinius lehrt, daß der Gebrauch bey den Griechen gewesen,
nackte Statuen zu errichten, da hingegen die Römischen, sonderlich die ihrer Krieger, in Rüstung oder mit dem Panzer vorgestellt
worden (graeca res est, nihil velare: at contra romana ac militaris, thoracas addere.)
$. 163. Man könnte mir vielleicht zwey gleichfalls nackte Statuen entgegenstellen, welche gemeiniglich für Abbildungen von zwey
berühmten Römischen Bürgern gelten. Die eine befand sich sonst in der Villa Montalto zu Rom und steht jetzt zu Versailles. Die
Figur ist vorgestellt, wie sie am rechten Fuße den Schuh zubindet, indem der linke Fuß bloß ist; man glaubt, daß es die Statue des
Diktators Q. Cincinnatus sey; die andere im Pallaste Grimani zu Venedig gilt für das Bildniß des Marcus Agrippa. Allein, welches
Kennzeichen findet man an der ersten dieser Statuen um sie für eine Abbildung des Cincinnatus zu halten! Ein Pflugeisen, wird man
mir antworten, das hinter der Statue zu ihren Füßen liegt, und sich sehr gut zu diesem Gegenstände paßt; denn die Abgesandten des
Römischen Senats, welche dem Q. Cincinnatus die Zeichen der Diktatur überbringen sollten, fanden ihm beym Pflügen. In der That,
dieses ist ein sehr scheinbarer Einwurf. Aber zu Folge des [213] von mir in der Vorrede zu diesem Werke aufgestellten Grundsatzes
und vermöge der oben angeführten Bemerkung des Plinius muß man annehmen, daß die Statue, von welcher wir reden, nicht einen
Römischen Bürger, sondern mit weit mehr Wahrscheinlichkeit einen Helden und vielleicht den Jason vorstelle. Denn dieser war, wie
man erzählt, schon in seiner frühen Jugend von seinem Vater aus seiner Heimath geschickt worden; als er herangewachsen, wurde
er vom Pelias, dem Bruder seines Vaters, obgleich er ihn nicht kannte, nebst andern Benachbarten zu einem feyerlichen Opfer für
den Neptunus eingeladen. Er wurde gerufen, da er pflügte, und aus Besorgnißfür ihm vorgeschriebene Zeit zu verfehlen, vergaß er
in der Eile den Schuh an den linken Fuß zu legen, und erschien daselbst nur mit einem Schuhe. Damals löste sich für den Pelias das
ihm gegebene räthselhafie Orakel, sich vordem zu hüten, welcher mit einem einzigen Schuhe (μονοκρηπις) zu ihm kommen würde.
Läßt sich wohl unter den Erzählungen der Alten eine andere finden, die es wahrscheinlicher macht, daß die Statue in Versailles nicht
den Cincinnatus, sondern den Jason vorstelle! Es war auch eine Statue des Dichters Anacreon nur mit einem Schuhe vorgestellt, um
anzudeuten, daß er den andern in der Betrunkenheit anzuziehen vergessen hatte. [214]
§. 164. Was soll ich von Maffei sagen, welcher diese Statue für das Bildniß jenes Römischen Bürgers hält, bloß wegen des
Schuhanziehens, nicht wegen des Pflugeisens, welches in dem von Maffei gesehenen Kupfer nicht sichtbar wird, weil die Seite, von
welcher diese Statue gezeichnet worden, den Anblick desselben den Augen entzog. Nicht allein in dieser Statue will er aus einem so
schwachen Grunde einen Cincinnatus sehen, sondern auch, um die gemeine Meynung, welche er durchaus nicht begründen konnte,
zu begünstigen, in einem geschnittenen Steine, welcher schon vorher von Leonardo Agostini bekannt gemacht ist, und gleichfalls
eine Figur, die sich die Schuhe anzieht, vorstellt. Nach dem Kupfer zu urtheilen, scheint dieser Stein von einer neuen Hand zu seyn.