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Über Denken und Nachdenken.

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willkürlich frühere Vorstellungen in unser Bewußtsein zu-
rückrufen und, wie wir zu sagen pflegen, in dem Schatze
unseres Gedächtnisses danach mit vollbewußter Absicht
suchen, — daß wir im willkürlichen Nachdenken um man-
nigfacher Zwecke willen Aufmerksamkeit und Erinnerung
dazu verwenden, Begriffe, Urteile und Schlüsse durch
bewußte Absicht zu erzeugen: das sind so sehr einem
jeden bekannte und so völlig unzweifelhafte Tatsachen,
daß man nur darüber eigentlich sich verwnndern sollte,
weshalb das Problem, wie dieser Einfluß des bewußten
Willens aus das Denken zu begreifen sei, sich bisher von
den Psychologen verhältnismäßig nur sehr geringer und
höchstens gelegentlicher und nebensächlicher Beachtung zn
erfreuen gehabt hat. Vielleicht, weil sich die alte Erfahrung
wiederholte, daß gerade das Geläufigste und Gewohnteste
am spätesten die Aufmerksamkeit der erklärenden Wissen-
schaft auf sich zu ziehen pflegt, — vielleicht auch aus dem
anderen Grunde, weil die Anffassung der älteren Psycho-
logie dieses Problem mehr verdeckte, nnd weil die Erkennt-
nismittel, welche ihr zu Gebote standen, in der Tat zur
Lösung dieser Aufgabe unzureichend waren.

Diese ältere Psychologie hatte bekanntlich den leeren
Raum des von ihr angenommenen „Seelenwesens" mit
einer Reihe von metaphysischen Gespenstern bevölkert,
welche sie „Vermögen" nannte und welche in Wahrheit
nur Abstraktionsbegriffe aus der Gleichartigkeit psychischer
Tatsachen waren. Da gab es ein Empfindnngsvermögen,
ein Gefühlsvermögen, ein Aufmerksamkeitsvermögen, ein
Gedächtnisvermögen — und was weiß ich, was diese arme
Seele noch alles für Vermögen haben sollte. Es ist aber
diese Annahme selbständiger Seelenvermögen nicht weniger
ungerechtfertigt und ungereimt, als wenn z. B. die Natur-
wissenschaft die Gravitationskraft oder die magnetische
Kraft als selbständige Wesen betrachten wollte, während
sie darin nur gesetzmäßige, d. h. allgemein sich gleich-
 
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