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Wingler, Hans Maria [Hrsg.]
Der Sturm: Zeichnungen und Graphiken : Kokoschka, Klee, Chagall, Campendonk, Kandinsky u. a. — Feldafing: Buchheim Verlag, 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.49883#0061
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HERWARTH WALDEN: EINBLICK IN KUNST
Ich bin nicht der Meinung, daß es um die Kunst heute
schlechter steht. Es stehen nur zu viele um die Kunst
herum. Sie packen sie mit stumpfen Sinnen an, sie befüh-
len sie, ohne zu fühlen, sie bedenken sie ohne Bedenken.
Sie stellen sich vor die Kunst, ohne sie sich vorsfellen zu
können. Sie finden die Kunst gesucht, weil sie Gesuchtes
nicht finden . . .
Die Expressionisten verzichten auf die Nachahmung äuße-
rer Eindrücke. Sie erkennen nach vielen Jahrhunderten
wieder das Wesen der Kunst. Das Bild ist ein Organismus,
dessen Teile aus Farbformen zusammengesetzt (kompo-
niert) werden. Die Komposition geschieht ausschließlich
nach den künstlerisch logischen Beziehungen der Farbform.
Das Bild ist gesetzmäßig gestaltet. Nur werden diese Ge-
setze der Kunst nicht von dem Künstler oder von dem
Theoretiker, sondern von der Fläche diktiert. Jede Bewe-
gung wird erst durch mindestens eine Gegenbewegung
sichtbar. Diese rhythmischen Beziehungen sind das Leben
des Bildes. Das Bild ist ein Organismus, also räumlich be-
grenzt. Ein Organismus besteht nur aus organischen Tei-
len . . .
Jede Formulierung ist unwichtig. Wichtig ist, zu sehen. Wir
sind alle zu gebildet. Es ist an der Zeit, daß wir uns bil-
den. Es ist hoch an der Zeit. Und es ist eine glückliche
Zeit dazu, in der wir leben.
(Aus Herwarth Waldens Budi „Einblick in Kunst",
Verlag „Der Sturm", 3.—5. Auflage 1924).
HERWARTH WALDEN:
ERSTER DEUTSCHER HERBSTSALON 1913
(Kafolog-Vorworf, Berlin 1913)
Mit diesem ersten deutschen Herbsfsalon wird ein Über-
blick über die neue Bewegung in den bildenden Künsten
aller Länder gegeben. Ein Überblick, der zugleich das
Blickfeld der Zeitgenossen erweitern wird. Der größte Teil
der Zeitgenossen ist zu stolz auf seine Augen, mit denen
er nicht einmal sehen gelernt hat. Er verlangt vom Bild-
werk die Wiedergabe des eignen optischen Eindrucks, der
nicht einmal sein eigener ist.
Hätte er ihn, so wäre er schon künstlerisch. Künstler sein
heißt eine eigne Anschauung haben und diese eigne

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