Angelus Silesius.
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lassen. Er bleibt in den Schranken des katholischen
Dogmas. Und seine mystische Sehnsucht hat sich in die
Sphäre des Gefühls zurückgezogen. Während die Christo-
logie des Cherubinischen Wandersmanns in ihren besten
Stücken die Geburt Christi nicht als einen einmaligen
historischen Akt begreift, sondern im Geiste der Mystik
als die ewige Wiedergeburt Gottes im Menschen, faßt
die Heilige Seelenlust Christus durchaus als die dog-
matisch gegebene Persönlichkeit. Und die mystische
Vereinigung besteht einzig in der mystisch-sinnlichen
Liebe, in der die Seele Jesus als Bräutigam liebt und
begehrt. Aber was bei Spee so natürlich und notwen-
dig, so persönlich anmutet, daß man die Überzeug'ung
gewinnt, er hätte dieses bräutliche Verhältnis der Seele
erfinden müssen, wenn es nicht schon überliefert gewesen
wäre, das wirkt bei Scheffler übernommen und typisch.
Spee wirkt so sicher und natürlich dadurch, daß er seine
Liebe immer in Handlung und Leben umsetzt. Jedes Ge-
dicht wächst aus einer Stunde und Stimmung, entwickelt
sich in Drang' und Handlung. Und auch das Leben Christi
ist keine dogmatische Überlieferung, auch das ist Gegen-
wart, ist unmittelbares werdendes Leben und leidenschaft-
liches Erlebnis. Scheffler ist eine spekulative Natur.
Die Wirklichkeit und Gegenständlichkeit des Lebens
sind ihm fremd. Im Reich des Wesenlosen ist er zu
Hause. Aber wenn die Spekulation nur ausgesprochen
werden will, das Gefühl will dargestellt sein. Die Spe-
kulation verharrt in sich, das Gefühl wird uns in aller
Lebendigkeit nur zugänglich, wenn es sich als ein un-
mittelbar Werdendes an der Erscheinung ausspricht. Das
Gefühl als ein Gewordenes betrachten, sich seiner hinter-
her durch die Reflexion bemächtig'en, das heißt, sein
tiefstes Wesen zerstören, seine lebendigste Gewalt ver-
nichten. Der Minnesang, der Meistersang', die Gelehrten-
poesie, vielfach auch das protestantische Kirchenlied
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lassen. Er bleibt in den Schranken des katholischen
Dogmas. Und seine mystische Sehnsucht hat sich in die
Sphäre des Gefühls zurückgezogen. Während die Christo-
logie des Cherubinischen Wandersmanns in ihren besten
Stücken die Geburt Christi nicht als einen einmaligen
historischen Akt begreift, sondern im Geiste der Mystik
als die ewige Wiedergeburt Gottes im Menschen, faßt
die Heilige Seelenlust Christus durchaus als die dog-
matisch gegebene Persönlichkeit. Und die mystische
Vereinigung besteht einzig in der mystisch-sinnlichen
Liebe, in der die Seele Jesus als Bräutigam liebt und
begehrt. Aber was bei Spee so natürlich und notwen-
dig, so persönlich anmutet, daß man die Überzeug'ung
gewinnt, er hätte dieses bräutliche Verhältnis der Seele
erfinden müssen, wenn es nicht schon überliefert gewesen
wäre, das wirkt bei Scheffler übernommen und typisch.
Spee wirkt so sicher und natürlich dadurch, daß er seine
Liebe immer in Handlung und Leben umsetzt. Jedes Ge-
dicht wächst aus einer Stunde und Stimmung, entwickelt
sich in Drang' und Handlung. Und auch das Leben Christi
ist keine dogmatische Überlieferung, auch das ist Gegen-
wart, ist unmittelbares werdendes Leben und leidenschaft-
liches Erlebnis. Scheffler ist eine spekulative Natur.
Die Wirklichkeit und Gegenständlichkeit des Lebens
sind ihm fremd. Im Reich des Wesenlosen ist er zu
Hause. Aber wenn die Spekulation nur ausgesprochen
werden will, das Gefühl will dargestellt sein. Die Spe-
kulation verharrt in sich, das Gefühl wird uns in aller
Lebendigkeit nur zugänglich, wenn es sich als ein un-
mittelbar Werdendes an der Erscheinung ausspricht. Das
Gefühl als ein Gewordenes betrachten, sich seiner hinter-
her durch die Reflexion bemächtig'en, das heißt, sein
tiefstes Wesen zerstören, seine lebendigste Gewalt ver-
nichten. Der Minnesang, der Meistersang', die Gelehrten-
poesie, vielfach auch das protestantische Kirchenlied
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