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Witkop, Philipp
Die Anfänge der neueren deutschen Lyrik — Heidelberg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.73240#0081
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Die fünf Sinne.

73

Die Bäche schienen schwarz, die Flüsse braun und falbe,
Der ganze Luftkreis ward von Duft und Regen schwer,
Kein Vogel war zu sehn, die auch schon scheue Schwalbe
Schoß nur allein, jedoch ganz niedrig hin und her;
Es ließ, als wollte sie in Erd und Flut vor Schrecken
Vor dem, was in der Luft ihr drohte, sich verstecken.
Solch eine Stille füllt und druckte recht die Welt,
Daß man — wie sich kein Blatt, kein Kraut vor Schrecken rührte —
Vor Furcht selbst unbewegt mit starren Augen spürte.
Brockes Verehrung der Sinne steigert sich bis zum
Fanatismus — wenn man bei der Nüchternheit seines
Wesens dieses Wort gebrauchen darf. Er kennt nur
Ein Laster: die Sinne vernachlässigen. Und jenem, der
vor Greiz und Stolz — hier reizen ihn die Hamburger
Geschäftsleute — nicht dazu kommt, den Sinnen genug
zu tun, dem sagt er grimmig, „daß du ein Atheist, ein
Vieh, ein Klotz, ein Fels, ja noch was Gröbers bist“.
In einem Ausbruch sinnlicher Ergriffenheit fordert er
alle Dichter seiner Zeit namentlich auf, einzustimmen
in sein hohes Lied auf den Genuß der Sinne, den Reich-
tum der Natur: „Besingt in höhrem Ton als ich die
Pracht der Erden“. Ja, er geht weiter, er scheut nicht
vor der letzten Steigerung zurück:
Wenn wir unsern Leib von innen
Mit Aufmerksamkeit besehn,
Spüren wir, daß für die Sinnen
Alle Wirkungen geschehn.
Aller dieser Eingeweide
Unerforschliche Natur
Zielet auf des Körpers Freude,
Dienet den fünf Sinnen nur.
Denn die uns verborgnen Säfte
Geben unsren Sinnen Kräfte,
Und ihr Endzweck ist allein,
Daß die Sinne sinnlich sein.
Es gewinnt den Anschein, daß nicht unseretwegen die
Sinne, daß wir allein der Sinne wegen da sind. Die
 
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