Der Tod Mariannes.
91
Ihr holden Jahre, die wir beide
Einander ach! so kurz gemacht,
O hätt ich nur, was wir im Leide
Bei manchem Sturme hingebracht!
Wir suchten Ruh in zärterm Scherzen
Wie Tauben, die ein Wetter fliehn,
Und fanden Lust selbst in den Schmerzen,
Weil unsre Treu nie heller schien.
O Bern! o Vaterland! o Worte
Voll reger Wehmut, banger Lust!
O zärtlich Bild geliebter Orte
Voll wunder Spuren in der Brust!
O bleibt bei mir, erneut die Stunden,
Da sie die Hand mir zitternd gab!
Wo seid ihr? Ach, ihr seid verschwunden!
Ich bin allein, sie deckt ein Grab.
Ein Grab? In deinen schönen Tagen?
Du Rose frisch, vom reinsten Blut?
Ach ja, dort ward sie hingetragen,
Hier ist der Tempel, wo sie ruht,
Der Stein, den ich beschrieben habe —
O wie ist’s hier so öd und still!
O hier ist’s, wo an ihrem Grabe
Ich meine Schmerzen enden will.
Aber Hallers Wesen war das des Gelehrten und
nicht des Künstlers. Die Kunst hatte ihm einen Augen-
blick zum Selbstbewußtsein zurückverholfen. Aber er
begriff den Wert dieses Augenblickes nicht. Den Wert
dieses Selbst begriff er nicht, er fühlte nicht gleich dem
Künstler, daß damit ihm alles gegeben sei. Aufs neue
sinkt er zurück. Und in der letzten Entscheidung',
wohin er aus dem Uferlosen sich retten soll, ob an die
felsige Insel der Persönlichkeit, ob an den weiten Strand
des Allgemeinen, da verleugnet er sein Selbstbewußt-
sein und unterwirft sich restlos dem Allgemeinen. Da
er kein spekulativer Kopf ist, da der ernsten Schwere
seines Wesens eine gewisse Gebundenheit entspricht,
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Ihr holden Jahre, die wir beide
Einander ach! so kurz gemacht,
O hätt ich nur, was wir im Leide
Bei manchem Sturme hingebracht!
Wir suchten Ruh in zärterm Scherzen
Wie Tauben, die ein Wetter fliehn,
Und fanden Lust selbst in den Schmerzen,
Weil unsre Treu nie heller schien.
O Bern! o Vaterland! o Worte
Voll reger Wehmut, banger Lust!
O zärtlich Bild geliebter Orte
Voll wunder Spuren in der Brust!
O bleibt bei mir, erneut die Stunden,
Da sie die Hand mir zitternd gab!
Wo seid ihr? Ach, ihr seid verschwunden!
Ich bin allein, sie deckt ein Grab.
Ein Grab? In deinen schönen Tagen?
Du Rose frisch, vom reinsten Blut?
Ach ja, dort ward sie hingetragen,
Hier ist der Tempel, wo sie ruht,
Der Stein, den ich beschrieben habe —
O wie ist’s hier so öd und still!
O hier ist’s, wo an ihrem Grabe
Ich meine Schmerzen enden will.
Aber Hallers Wesen war das des Gelehrten und
nicht des Künstlers. Die Kunst hatte ihm einen Augen-
blick zum Selbstbewußtsein zurückverholfen. Aber er
begriff den Wert dieses Augenblickes nicht. Den Wert
dieses Selbst begriff er nicht, er fühlte nicht gleich dem
Künstler, daß damit ihm alles gegeben sei. Aufs neue
sinkt er zurück. Und in der letzten Entscheidung',
wohin er aus dem Uferlosen sich retten soll, ob an die
felsige Insel der Persönlichkeit, ob an den weiten Strand
des Allgemeinen, da verleugnet er sein Selbstbewußt-
sein und unterwirft sich restlos dem Allgemeinen. Da
er kein spekulativer Kopf ist, da der ernsten Schwere
seines Wesens eine gewisse Gebundenheit entspricht,