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deutsche Kunsr

auch die materiellen Mittel zerfplitterten fleh. Je nach ihrem Urfprung und den zur
Uerfügung Gehenden materiellen und geiftigen Mitteln waren die deutfdten Kunftftädte
des neunzehnten Jahrhunderts unter einander fehr uerfchieden.
Im Mittelalter und zur Reformationszeit, als die reichte Blüthe der deutfehen Kunft fich
entfaltete, waren ihre Zentren die grofjen Bürgerftädte non Cöln, Mainz, Ulm, Rugs-
burg bis Rürnberg und nicht die unbedeutenden Refidenzen der Candesfürften.
Die Kunft, die damals gefchaffen wurde, trug einen kirchlichen und in ihrer letjten £nt-
wichelung einen bürgerlichen Charakter. Fürftenkunft gab es im 6runde nicht oder nur
als Rnhängfel an die bürgerliche. Das örtliche Wefen war fehr ftark entwickelt, und
felbft die höchften Begabungen wiefen alle Merkmale des Stammes auf, in deflen Haupt-
ftadt fie emporgewachfen waren.

Diefe alten Stammeshauptftädte find in der Kunft des neunzehnten Jahrhunderts nicht
wieder auf den Schauplatj getreten.

2wifchen der bürgerlichen Kultur der Reformationszeit und der wiederum bürgerlichen
Kultur des neunzehnten Jahrhunderts lag das Zeitalter, wo die Füriren als Territorial-
herren die Cebenskraft ihres Candes um fich gefammelt hatten. Und als im neunzehnten
Jahrhundert das neue Bürgerthum durch die üerfaflung des modernen Staates zur
Theilnahme an der Herrfchaft gelangte, fand es überall den Regierungsapparat des fürft-
lichen Zeitalters in Thätigkeit und arbeitete damit weiter. Der materielle und geiftige
Zuftand der deutfehen Kunft im {neunzehnten Jahrhundert mufj uon diefem 6efichts-
punkt aus beurtheilt werden.

Im fiebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hatten die Fürften mit allen anderen
Rufgaben des Staates auch die Kunftpflege übernommen. Sie bedurften der Kunft
als höchften Mittels der Repräsentation. Was dazu nöthig war, fanden fie nach dem
Dreißigjährigen Kriege im deutfehen Bürgerthume, das uor ihnen der Träger nationaler
Kultur gewefen war, nicht mehr oor oder doch nur bruchftüchweife. Der Künftler, der
fich zur Reformationszeit mit Mühe und floth oom Handwerker getrennt hatte, war in
den deutfehen Städten wiederum zurüekgefunken in die Bande des Zunftwefens. Die
Wenigen, die als Bildnifj- oder Hiftorienmaler eine freiere Stellung anftrebten, wurden
eiferfüchtig bewacht und konnten fich nur retten, wenn üe der Zunft beitraten.
Was zur Zeit des aufdrehenden Rbfolutismus in Deutfchland geleiftet wurde, genügte
nur ausnahmsweife, und häufiger in der Rrdtitektur und Bildhauerkunft als in der
Malerei, dem BedürfnifTe des Fürften. So war er gezwungen, fich die Kräfte oom Aus-
lände kommen zu taffen oder fie fich zu erziehen, wie er fie für den Schmuck feiner
Kirchen und Paläfte gebrauchte. Cr erreichte diefes Ziel durch die 6ründung der Rka-
demien, die im fiebzehnten und achtzehnten Jahrhundert nach ausländifchem Mufter
überall eingerichtet wurden.

Was in den Akademien gelehrt wurde, ftammte nicht aus der älteren bürgerlichen
deutfehen Kultur, fondern aus dem Ruslande. Durch das Bedürfnifj der fürftlichen
Höfe war das Antlrfc der deutfehen Kunft nach Italien, nach den tliederlanden und im
achtzehnten Jahrhundert nach Frankreich gewandt. So wurde der Inhalt der deutfehen
Kunft eine Weiterentwiekelung italienifcher, franzöfifcher und niederländifcher 6edanken,
und die Träger diefer Cntwickelung waren ebenfo oft herbeigerufene Rusländer wie
Deutfche. Das Crgebnifj fiel für die drei bildenden Künfte fehr uerfdiieden aus. In der
Malerei erlag die nationale Schöpferkraft, in der Architektur und der Bildhauerei kam

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