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118«

kit Berlin rin Reichstag sthk,
Der in schwerer Arbeit schwitzt,
Zu des Reiches Segen.

Alle Leiden stillet er,

Die des Volkes Seele schwer
Drücken und erregen.

Hat er für die Neichsstnanz
Auch bewilligt stets mit Glan;

Alles unser»! Miguel,

Hat er ;n -er Zöllner Groll
Doch verkürzt den Weizenzoll
Grad um fünfzehn Nickel.

I^eichstags -Freuden.

' Was der Mensch vertragen kann,
Wenn er setzt ein Schnapsglas an,
Mutz er streng ermesse«,

Mutz gebieten Matz und Ziel,

And die Strafe fiir's Zuviel
Darf er nicht vergessen.

Und danrit das Freizngsrecht
Nicht benützt rin böser Knecht,

Seinen Herrn zn fliehen,

Mutz der Reichstag Knall und Fall
Einen Paragraphenwall
Um die Heimatlz ziehen.

Jobber aus der Börsenwelk,

Rowdy, Strolch und Messerheld
Mutz er alle bänd'gen.

Jede Unnroral der Zeit
Mutz der Reichstag hilfsbereit
Durch Gesetz brend'gen.

Datz er noch so nebenher
Für Marin' und Militär
Spendet Millionen,

Dieses ist nur seine Pflicht,

Und dankt's ihm das Volk auch nicht,
Wird's der Himmel lohnen.

Seine Unverletzlichkeit,

Die erregt der Gölter Neid,
Mutz er selbst beschneiden.

Darf auch nach Diäten schrei'«,
Aber sagt Caprivi „Nein",
Mutz er sich bescheiden.

So mit emstg-frohem Sinn
Sucht der Reichstag in Berlin
Grotzes uns zu leisten,

Und wie viel er, wenn er tagt,
Auch von! Wohl des Volkes sagt
„Ja" sagt er am meisten.

Sit. II.

Berlin, Anfang Februar.

Lieber Jacob!

Seitdem ick nich an Dir jeschrieben habe, is hier so Manchet passirt,
worieber ick mir mit Dir so unterhalten muß, wie et sich vor een paar
verninftije Kerrels, wovor ick uns Beede estimire, so richtig ejinet i»t jebiehret.

Von det Ordensfeste wceß ick allerdings mch ville zn berichten, indem
ick mir von die Feierlichkeit jänzlich fern jehalten hatte. Ick hatte nämlich
keene Jnladung jekriegt, litt ick habe mir ooch weiter den Kopp nich darieber
zerbrochen. In de birjerliche Zeitungen habe ick aber darieber jelesen, det
det Pitblikum, wat ooch nich injeladen war, lausig jefroren hat, tut det de
Schutzmannsferde mit ihre Hufeisen mächtig uff de Hiehneroogen von die
Plebejer, die sich zu alle möjlichen Jelejenheiten drängeln, janz nach ihren
Belieben rumjetrampelt haben. Det wundert mir weiter jarnich, indem De
sonne unverninstijen Biester höhere Bildung nich in'n Jeringsten zutranen
derfst. Aber det wundert mir, det sich in de Metropole der Jntellijenz immer
noch nnjezählte Hunderte finden, die sich mit Vorliebe da nfshalten, wo se
partuh nischt zu duhn haben.

Na, ick bleibe ja nu in die Hinsicht bei det olle Sprichwort: „Wer
nich Heeren will, muß flehten," un wat Eener mit sichtliche Oogen nich seht,
det muß ihn von de Hiehneroogen abjetreten tverden. Det bejreift nämlich
Jeder. Doch, wat ick sagen wollte: Is et bei Euch ooch so kalt? Hier
kannstc wat spieren, un hier kannste bei die Temperatur de faulsten Philister
un sonstije Spießbirjer, die sich sonst blos janz langsam nach ihre Stamm-
kneipe wälzen, uff de Straße rennen sehen, als ob se bange haben, det ihre
rothen Neesen vor Frost noch röther werden. Un dabei sind die Leite so
dämlich, det De Wände mit se inrennen kenntest! Als ob in Berlin een
eenzijer Mensch zn frieren brauchte, wo wir doch nu mit Hilfe von unsern
Majistrat zwee veritable, richtije Wärmehallen haben, wo sich Jeder, den et
jrade paßt, mit Verjniejen so lange nfshalten kann, bis er jänzlich von Außen
nfsjedauht is. Von Innen kann er sich ooch mit Erbsensuppe nn Milch-
Pampe uffdauhen, wenn er sich von zn Hause det neethije kleene Jeld mit-
jebracht hat. Un uff die Wärmehallen sind ja nu unsere Stadtväter so stolz
un se pusten sich uff, det De jeden Oogenblick suchten kannst, se platzen von
oben bis unten uff. Wer sich natierlich zu lange drin nsshält, der lvird einfach

Der Krach.

schlechte Zeit, so klagt die Welt,
Ltets größer wird die Roth,
Wer nicht im Leihhaus angestellt.

Der hat kein sich'res Brot.

Jedoch, trotz allen Ungemachs,

Wer wollte muthlos fein?

Wir leben in der Zeit des Urachs,
Der Urach wird allgemein.

Richts ist fo hoch und nichts so fern.
Daß es verschont der Urach,

Ls werden hoch-feudale Herrn
Als Ltaatesstützen schwach.

Als Opponenten ohne -Scheu
Lie treten in die Reih'n,

Ls kracht sogar die UönigStreu'

Des Herrn von Hammerstein.

Des Uapitales Ritter feh'n
Wir wanken schlimmer noch.

Die Zierden der Kinanzwelt geh'»

Als Diebe in das ch.

And täglich noch weiter kracht.
Denn in dem gleichen Ltil,

Wie es der Delinquent gemacht.

Die Börse treibt ihr Lpiel.

Der deutsche Freisinn auch empfing
Kar einen derben Bloß,

Beim großen Lugen Richter ging
Längst eine Lchraube los.

Doch feit er „Zukunftsbilder" schrieb.
Wird kräftig er verlacht.

Der Pseudo-Kreisinn, den er trieb.

Ist gründlich nun verkracht.

Das Zünftler- und das Pfuscherthum
Hat längst der Urach erreicht.

Auch der Agrarier Liegesruhm
In unsrer Zeit verbleicht,
vom Uanzler fordert das Geschick:

Kort mit dem Nahrungszoll,

Wenn nicht die inn'rs Politik
Des Reichs verkrachen soll.

So tritt an Alles weit und breit
Der große Urach heran —

Rur zu! für eine beff're Zeit
Mag brechen er die Bahn.

Der freie Keift der Reuzeit siegt.

Der Zukunft Kähnen weh'n.

Und sie, die jetzt in Banden liegt.

Die Arbeit wird besteh'n. M. «.

Die rvklzr Nase.

err Christian Danberich haßte nichts
aus der Welt so sehr als das Wasser, die
Sozialdemokraten allenfalls ausgenommen.
Diese Herzensregung war ihm nicht etwa angeboren,
sondern eine natürliche Folge seiner sozialen Stel-
lung. Herr Danberich war Küfer und Jnnungs-
meister; den Küfer möchte ich kennen, der nicht die
Wasserscheu, und den JnnungÄneister, der nicht die
Sozialistenscheu hätte. Herr Danberich hätte ein
wohlhabender Mann sein können, wenn er nicht so
viel durch die Gurgel gejagt hätte, denn er hatte
kein Weib und keine Kinder, wenigstens keine legi-
timen. Daß er aber noch immer Junggeselle war,
daran war niemand Schuld als seine rothe Nase.
I, denkt die heirathslustige Leserin, weiter nichts?
Wenn er sonst ein ordentlicher Kerl ist, nehme ich
ihn und wenn er gar keine Nase hätte. Die Sache
hat aber einen Haken, sehr geschätzte Heiraths-
kandidatin. Herr Danberich möchte gern „Eine
mit viel Moos," wie er sich ausdrnckt, unter 15 000

bis 20 000 Mark thut er's nicht; eine solche will
aber für ihr gutes Geld auch eine gute, courante
fleischfarbige Nase, eine Normalnase, kein solches
rothes Ungethnm, wie sic die ohnehin nicht sonder-
lich einnehmende Physiognomie des Herrn Danberich
zierte, das heißt verunzierte. Die vielen Körbe,
welche Herr Danberich im Laufe der letzten Jahre
von solchen Damen, die er auf dem nicht mehr
ungewöhnlichen Wege zu angeln gesucht, erhalten
hatte, als sie die Nase zu Gesicht bekamen, erzeugten
in seinem Herzen eine starke Erbitterung gegen sein
armes Riechorgan, ein Gefühl, das durch dieKneip-
witzeleien, denen dasselbe zur Zielscheibe dienen
mußte, noch genährt wurde. Es geuirte ihn zwar
wenig, wenn sein Berufskollege und Saufbruder
Dämlich die Nase mit einem gekochten Krebs ver-
glich, denn der Krebs, das Symbol des Rückschritts,
war ihm als Jnnungsbruder sympathisch, dagegen
schoß ihm das Blut ins Gesicht und verwandelte
den Scharlach seiner Nase zum Purpur, wenn
jemand auf die rothe politische Farbe ihres Inhabers
schloß. Ganz rabiat vollends wurde er, als der
Entwurf zum Trunksuchtsgesetz bekannt wurde. Zu
wie vielen Hänseleien gab nicht der Paragraph 10
Anlaß, worin die Wirthe gegen Personen, denen
man den Gewohnheitstrinker ansieht, zu besonderen
Maßregeln verpflichtet werden sollten.

Man kann sich die Freude Tauberichs vorstellen,
als eines Tages seine Augen im „Generalanzeiger"
folgende Annonce entdeckten:

Rothe Nasen

werden prompt u»d billigst kurirt. Dieselben er-
halten ihre natürliche Farbe wieder. 0. B. 5798
postlagernd Leipzig. Reiourmarke beizulegen.

Bevor eine Stunde verging, war der Brief mit
der Retourmarke abgesendet und in der folgenden
Nacht sah Danberich im Traum sein edles Ich mit
einer lilienweißen Nase, am Arm seine Braut, eine
Witwe mit 50 000 Mark, durch die Straßen führen.
Mit einer 50000-Mark-Witwe stand er nämlick
durch Vermittlung eines Heirathsbureaus seit einiger
 
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