Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1226

JZimi i. Mat 1892. -»^5-

Sr-ivrde Zrik hak eine eigne Form

Für ihres Schaffens Inbegriff gefunden,
Doch hat ffch nie an üderlronnnne Norm
Der Menschheit Geiff, der strebende, gebunden.
Sie galt ihm niemals für die Ewigkeit
Und konnte ffets nur eine Spanne dienen:

Das Alte stürzt, es ändert ffch die Zeit,

Und neues Leben blüht aus den Ruinen.

Und ivard zum Unffnn erst, was früher Recht,
Sv wird kein Herz ffch an den Druck gewöhnen,
Und nimmer wird das menschliche Gesclzlrcht
Mit solchen Unrechts Herrschaft ffch versöhnen.
Soll Alles, Alles, was der Denker Hirn
Und lange Müh' der Sinnenden erfinden,

Nur immer tiefer beugen feine Stirn»

Nur fester stets das alte Joch ihm binden?

Die alten Formen für des Dafeins Kampf,

Sind überlebt sie nicht und abgestorben,

Seit einen Diener sich im Riefen Dampf,

Der hundert Hände hat, der Mensch geworben?
Als eine Wohlthat ward der Dampf erdacht
Und als rin Freund für unsre Lebenstage —
Wem: ihr zunr Sklaven uns des Dieners nracht,
Wird aus der Wohlthat nur verschärfte Plage.

Die schwarzen Sklaven habt ihr frei gemacht
Und Menschen sollen ffe und Brüder heißen —
Wer hat an uns, die Stöhnenden, gedacht,

Wer nracht die ärmern Sklaven frei, die weihen?
Doch seid bereit nun oder nicht bereit —

Es naht der Tag, vour goldnen Licht beschienen —
Das Alte stürzt, es ändert ffch die Zeit,

Und neues Leben blüht aus den Ruinen!

. Berlin, zur Maifeier.

Lieber Jacob!

Nu laß alle Puppen dauzen, nu is 't ejal, jetzt kann et och 'ne olle
Kuh kosten, wir haben ja keene, aber wat wir haben, det is unsere Maifeier
un die wollen wir uns von Keenen verkimmern lassen, wir wollen nu mal
zeigen, wat wir können.

Ick kann mir nischt Schöneret uff de janze Welt denken, wie so'n
richtijet, rejuläret Arbeeterfest. Alles muß een Herz nn eene Seele sind,
un wer bei unsre Maifeier den Stänker markiren will, den möchte ick vor
meine Person blos den juten Nath jeden, sich bei Zeiten seine Knochen zu
numeriren, indem ihn sonst leichte de Bcene verkehrt in'n Leib rinjeschraubt
werden kennten.

Sehste, Jacob, kick Dir nm in de jetzije Jahreszeit in de freie Natur.
Det is een Drängeln un een Treiben nach't Licht un nach de Sonne, det
uns arme Sklaven, die wir Jahr aus Jahr in nischt Änderet zu sehen
kricjen wie unsere ollen stoobijen Arbeetsräume, wo wir nischt Heeren, wie

det Stöhnen un Aechzcn von Maschinen, det uns arme Sklaven ooch mal
det Herz uffjcht. Wir wollen unsere Feste feiern so jut wie jeder Andere,
wir wollen uns ooch mal als Menschen stehlen, die wir doch hoffentlich sind,
un wir wollen keenen Stoob von unfern Pantoffeln schitteln un auswandern,
nee, wir wollen in unser Vaterland frei un jlicklich sind, un wir wollen, det
et alle Menschen jut jetzt, un det Jeder Arbeet hat, der arbeiten kann, un will.

Un daruin feiern wir unser Maifest. Is det nich wat Jroßet, un wat
Edlet und wat Erhabenet? Ick weeß ja, lieber Jacob, det ick Dir bat nich
zu erzählen brauche, indem Du mindestens ebenso ufsjeklärt bist wie ick ooch,
aber et jiebt soville Schafsköppe uff de Welt, die det nich insehen wollen,
det sowat jarnich ofte jenug jesagt werden kann.

„Der Mai is jekommen, de Böhme schlagen aus," so heeßt et ja woll
in det schöne Lied, wat Du hoffentlich ooch kennst. Aber de Böhme schlagen
nich blos aus, sondern ooch de Blätter, aber die brauch een anständijer,
ehrlicher Arbeeter ja nich zu lesen, wenn er nich will, un ick rathe et Jeden
an, jetzt keen stöckerschet oder jar een freisinnijet Blatt in die Hand zu

Die Maifeier aus ZWoß Warlenstein.

ei meinem Zorn! Wer sich untersteht, am
ersten Mai auch nur eine Viertelstunde
früher wie sonst die Arbeit niederzulegen,'
ist augenblicklich entlassen!

Diese Worte richtete der Maurermeister —
oder, wie er sich lieber nennen hörte: der Bau-
meister Meyer in sehr, entschiedenem Tone an
sein gesammtes Personal, als es am letzten Lohn-
tage des Monats April 1890 um ihn versaiu-
melt war.

Durch die Reihen der Arbeiter ging ein un-
zufriedenes Gemurmel. Der Fachvercin der Bau-
arbeiter hatte beschlossen, am ersten Mai solle die
Arbeit ruhen, die Arbeiter des Herrn Meyer waren
mit diesem Beschluß einverstanden; nach der Er-
klärung ihres Meisters schien demnach ein Konflikt
unvermeidlich. Jndcß kam inan' stillschweigend
überein, sich erst über die nöthigen Schritte zu be-
rathen, und so blieb die energische Androhung vor-
läufig ohne Antwort.

Der Baumeister Meyer war mit sich selbst
sehr zufrieden, er glaubte jebett Widerspruch im
Keime erstickt zu haben.. Seine selbstzufriedene
Stimmung hielt noch an, als er sich am anderen
Tage nach dem in der Nähe gelegenen Schlosse
Wartcnstein begab, um mit dessen Besitzer über
einige bereits begonnene Arbeiten geschäftlich weitere
Rücksprache zu nehmen.

Der Besitzer des Schlosses, ein reicher Ameri-
kaner, hatte sich mit seiner Familie hier angestedelt
und ließ einige Theile des Schlosses nach seinein
Geschmack restauriren. Herr Meyer war stolz auf
diesen noblen Auftraggeber, nahm seine Wünsche
devot entgegen und konnte ihn gar nicht oft genug
„gnädiger Herr" tituliren.

„Noch eins," sagte im Laufe des Gesprächs
der Schloßhcrr, „ich wünsche, daß am ersten Mai
jede Arbeit auf meinem Grundstück unterbleibt."

Herr Meyer fiel aus den Wolken. „Dieser
vornehme Herr ist ein Anhänger der Maifeier,
womöglich gar ein Sozialdemokrat!" Das war
der einzige Gedanke, den der Baumeister in seiner
Ueberraschung zn fassen vermochte. Aber Wider-
spruch gab'S hier nicht, der Schloßherr hatte zn
befehlen, und seine Gunst wollte sich Meyer um
keinen Preis verscherzen, denn kurz vorher noch
hatte der reiche Mann geäußert, daß er geneigt sei,
den ganzen linken Flügel des Schlosses einem Um-
bau zn unterziehen; also ein Geschäft, wie es nicht
alle Tage sich darbot. Deshalb fand sich der Bau-
meister rasch in die Situation.

„Natürlich, ^ der erste Mai! Da arbeiten wir
nicht! Ein schönes Fest — ich wünsche, daß cs
recht gut gelingt," sagte er ein wenig verwirrt.

Der Schloßherr lächelte., „Da Sie den Zweck
der Feier zu kennen scheinen, werden Sie meine
Anordnung begreifen," erwiderte er.

Man verabschiedete sich, Die Arbeiter des
Herrn Meyer hatten inzwischen beschlossen, es auf
eine Maßregelung ankommen zu lassen und ain
ersten Mai zu feiern. Eine. Deputation älterer
Arbeiter machte während einer Arbeitspause dem
Baumeister hiervon Mittheilung und ersuchte gleich-
zeitig unter Hinweis auf den kulturellen Zweck der
großen internationalen Arbeiterdemonstration, die
angedrohten Maßregelungen zu unterlassen.

Man war aus ein kräftiges Donnerwetter gefaßt,
aber Herr Meyer steckte die Hände in die Hosentaschen
und sah die Deputation gutmüthig lächelnd an.

„Kinder," sagte er zu den alten wetterfesten
Veteranen der Maurer, „Ihr wißt, daß ich mir
nichts dreinreden lasse! Wenn ich sage, es wird
gearbeitet, nachher geschieht es, und wenn der hun-

dertste Mai gefeiert werden sollte. Ich habe mich
aber darüber orientirt, daß dieser erste Mai etwas
ganz Gutes ist, und werde ihn selbst feiern. Also
wehe dem, der sich am ersten Mai auf dem Bau
blicken läßt, er wird sofort entlassen."

Dieser Bescheid erschien den Arbeitern ebenso
sonderbar, wie erfreulich. Sie gaben sich den Vor-
bereitungen des Festes mit Eifer hin und waren
am ersten Mai schon Vormittags auf dem Sammel-
plätze der Feiernden anwesend. An Meyer's Be-
kehrung glaubten sie nicht, sie kannten seine wirk-
lichen Gesinnungen zu gut, uud sie waren deshalb
höchst erstaunt, als sie ihn in höchsteigener Person
in Festtagskleidern mit dem Zylinder aus dem
Haupte in der Menge auftauchen sahen.

Sein Erscheinen erregte aber auch noch bei
anderen Leuten Aufsehen. Es waren Gensdarmen
in Uniform und Zivil anwesend und ein Polizei-
Inspektor folgte dem Baumeister mit verwunderten
Blicken, als dieser mit dem Rufe: „Acht Stunden
Vergnügen" den Unistehenden Bier zum Besten gab.

„Was fällt Ihnen ein, Herr Meyer," fragte der
Inspektor ihn bald daraus in einem unbeachteten
Moment, „wie können Sie sich unter diese Leute
mengen und eine sozialdemokratische Demonstration
unterstützen?"

Meyer zuckte die Achseln. „Geschäft, mein Lieber!
Heut' zu Tage muß man den Mäntel nach dem
Winde hängen. Ich habe den großen Schloßbau
aus Wartenstein und der Besitzer ist ein in der
Wolle gefärbter Rother. Er hat mir's selbst ge-
sagt und ausdrücklich angeordnet, daß bei ihm am
ersten Mai gefeiert werden muß. Das ganze Schloß
prangt übrigens im Fahnenschmücke."

„Unglaublich!" murmelte der Inspektor. „Da
muß ich meinem Vorgesetzten Rapport einsenden."

Die Maifeier nahm indessen ihren fröhlichen
Verlauf. Es wurden einige Reden gehalten, Lieder
 
Annotationen