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1235

Doch bet weeß ja ttu jeder Berliner schon beinahe auswendig. Del is
alle Jahr derselbe Faden, blos manchmal 'ne andere Nummer. Ick habe
man blos immer meinen steifen Aerjer darieber, bet sich det steierzahlende
Publikum det noch immer so ruhig jefallen läßt. Ick sage Dir, Jacob, wenn
ick Tuebben — ach so, Du weeßt woll Widder nich, wer Tuebben is? Nu
kiek mir blos Eener die Stuttjarter an mit ihre ieberjeschnappte Bildung.
Mensch, Tuebben det is ja der neie Steiermann — brauchst aber hierbei
nich etwa an de Marine oder an die von wejen det Volksschuljesetz abjelehnten
Kreizer zu denken — Tuebben is Rejierungsrath, wohnt hinter det Jießhaus,
dichte bei'n Finanzminister, un von da aus zieht er die neien Steiern in.

Weeßte, Jacob, det is een Putzijet Ding mit sonne Neierungen. In
Mecklenburg, wo doch de Kultur faustdick zu Hause is, da haben.se ooch mal
irjend eene Reierung injefichrt, un een „jnädijer Herr" der steigt denn ooch
soweit zu't Volk runter un fragt eenen ollen Dagelöhner, wie er mit die
neie Zurichtung nu woll so zufrieden wäre. „Mein Jott," meent der uff
sein meckelnburgisch Platt, wat ick selbstredend nich verstehe, weil se det erst
hinter Spandau anfangen zu sprechen, „mein Jott, det is ja Alles eene
Piepe, srieher kriegten wir unsre Senge von't Ritterjut un nu kriejen wir
se von't Amt."

Sehste, so iS det mit die neie Steiern ooch. Frieher zogen se uns uff
die eene Manier det Fell ieber de Ohren un nu duhn se det uff die andre
Art. Ick halte die janze Sache for Muhs wie Miene, un vor allen Dingen:
wenn ick mein Portemonnaie als finanzicllet Barometer betrachte, so erblicke
ick darin ooch mit unbewaffneten Ooge bei die neie Steiern jenau dieselbe
Ebbe wie bei die alten. Also: habe ick Recht oder habe ick nich Recht? Ick
jloobe Unrecht wirst Du mir in keenem Fall jeben.

Ick bin nur man blos. froh, det der Winter janz un jar seinen Ab-
schluß jefunden hat. Denn det war ja nu schon beinahe nich mehr auS-
zuhalten, wat de Leite alles sor Heilmittel vorschlugen, um den Nothstand
zum Tempel rauszujagen. Det Scheenste war natürlich, det se de nothleidende
Stadtproletarier sreiudlichst inluden, det platte Land mit ihre huugrije Jejen-
wart zu besticken, indem bei die Ritterjutsbesitzer alle Roochfänge voll Schinken
hingen un det Jänseschmalz fingerdick uffjeschmiert wird. Ick jloobe, Zahn-
stocher brauchte sich keen Arbeetsloser mit rauszunehmen in die scheene Land-
luft, um sich de Schinkenknochen aus'n Hals zu petern, heechstens hätte er
an 'ne Häringsjrete umkommen kennen.

Nu, lieber Jacob, frei Dir ieber den scheenen Mai un ieber unser jroß-
artig jelungenet Arbeetersest, nächstet Jahr feiern wir et wieder so, mit welchem
Wunsch ick verbleibe erjcbenst un mit ville Jrüße Dein tretet

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Historisches Recht.

Wenn sich ein Bettler ohne Erlaubniß zwei Röcke nimmt und den
einen seinem Sohne gießt, so ist das Diebstahl und Hehlerei. Wenn aber
der Ahnherr einer Adelsfamilie vor Zeiten den Bauern ein Stück Land
genommen hat und dies immer wieder auf das jeweilige Familienhaupt
vererbt wird, so heißt dies: Historisches Recht!

Herren und Diener.

L)er Helldorff, sonst ein frommes Rind,
Bekämpft den Hammerstein mit Kraft. —
Wenn die Herren mit sich'nicht einig sind.
Da zankt sich auch die Dienerschaft.

m HobelMhne.

Kaum trat die Sommerstille ein,

Da hört man schon wieder, o weh!

Nach Militärvermehrung schrei'n
Am grünen Strand der Spree.

Es lacht sich ins Fäustchen die Reaktion
Und spricht voll arger List:

„Wir tvollen doch sehn, ob die deutsche Nation
Nicht umzubringen ist!"

* *

*

Für den Opportunismus in der Arbeiterfrage
können nur Leute schwärmen, welche u i e g e h u n g e r t
haben. Denn der Hunger stellt seine Forderungen,
gleichviel ob sie opportun sind oder nicht.

* *

*

Es lacht und blüht der schöne Mai

Und fröhlich bemerkt es des Staatsmanns Gemüth,

Daß auch die deutsche Spitzelei
Noch im Verborgnen üppig blüht.

* *

*

Caprivi hat sich eines Theiles seiner Amtsbürden entledigt, um besser
gegen den Strom schwimmen zu können. Er findet dabei wenig
Opposition, denn das ganze deutsche Volk ist darüber einig, ihn ruhig

schwimmen zu lassen. ^ getreuer Säge, Schreiner. '


— es sind ihrer über eine Million — sind ihr zu
zahlreichen Diensten und Leistungen verbunden, und
ihr ganzes Leben dreht sich um die Ehre, ihr frohnen
zu können. Wie die Hebräer des mittelalterlichen
Ghettos, so haben auch sie eine eigene, die so-
genannte Zivilkleidung, eine verachtete Gewandung,
die in häßlichem Gegensatz zu der blinkenden, bunten
Tracht steht, in welche der Krieger die sehnigen
Glieder hüllt.

Wenn diese Hörigen zu ihren Arbeitsstellen,
Schreibstuben, Geschäften eilen, wo sie in gemeiner,
eines stolzen Kriegsmannes unwürdiger Thätigkeit
sich abrackern, ist ihr Gang ängstlich, ihr Auge
furchtsam, die Haltung schlapp, der Rücken gebeugt.
Jeder Blick, jede Miene bezeugen, daß sie die Parias
sind, die sich scheu an den erhobenen Gliedern der
Kriegerkaste vorüberdrücken, hochbeglückt, daß sie
dieser tributpflichtig sind. Denn sie drängen sich,
daß durch Verbrauch von recht viel Brot, diesem
Hauptnahrungsmittel der niederen Kaste, ihr Steuer-
beitrag so hoch als möglich werde, und jeder Heller
in ihrem mageren Beutel lechzt darnach, in dem
Säckel des Kriegsbudgets zu klingen. Plagt sich das
Vürgervolk vom frühen Morgen bis in die sinkende
Nacht, so wird es durch mancherlei Gunstbezeugungen,
die das Heer ihm in seiner Gnade erweist, über-
reich dafür entschädigt. Zieht die Wachtparade auf,
oder marschiren die tapfern Landsoldaten nach dem
Tempelhofer Felde mit klingendem Spiel und fliegen-
den Fahnen, so darf das Zivil bei Seite stehen und
sich des Glanzes und der Musik still erfreuen. Alle
Wagen müssen halten, kein Fußgänger wagt es,
hingerissen von der Pracht des kriegerischen Aufzugs
und zitternd an dem gebieterischen Blick seiner Herren,
die Straße zu überschreiten. Und gerne hält er
Viertelstunden und länger aus, wenn er auch seine
Arbeit versäumt und Strafgelder zahlen muß. Der
Arzt, der zum schwerkranken Patienten geholt wird,
achtet nicht der Gefahr des Verzugs, wenn die
Kanonen in langgestreckter Reihe einherrollen, wenn
die Gaule der Ulanen den Boden stampfen und der
Massenschritt des Fußvolks ihm angenehm das

Trommelfell erschüttert. Ruhig läßt die Hebamme
den Storch klappern und schaut träumerisch, die
schwarze Ledertasche am Arme, auf die kühn auf-
gezwirbelten Schnurrbärte der Lieutenants. Es ist

eine Lust zu leben.

Aus dieser Darlegung erhellt, daß die Militär-
verwaltung gegen die in Berlin nach Fug und
Recht blos tolerirte Zivilbevölkerung mit unüber-
trefflicher Duldsamkeit vorgeht. Die Stadt selbst ist
in der That nur ein Kasernenbezirk, in dessen Bann
die Bürger wohnen, ohne Rechte, als srohnpflichtige
Leute der guten Ritterschaft. Der Geist der Zer-
setzung und des Zweifels aber, der, ein Sohn des
Teufels, unter den Menschen umgeht, stiftet eitel
Unfrieden und Unheil. Er streut prinzliche Erlasse
unter die unverständige Menge, daß sie den Kops
schüttelt und wider den Stachel löcken möchte. Nicht
genug damit, daß ihnen die Erlaubniß gegeben ist,
bei Tage die für kriegerische Zwecke bestimmten
Straßen und Plätze zu begehen und durch ihre
bürgerliche Gegenwart zu entweihen, regt sich unter
dem Zivil das Gelüste, sogar Abends nach dem
Zapfenstreich ohne jeden Grund sich aus den Wegen
und Stegen der Stadt herum zu treiben. Während
der Soldat um neun oder um zehn Uhr Abends,
wie die Jahreszeit und das Kommando es fügt,
die wohlverdiente Lagerstätte aussucht, hat sich bei
den Nicht-Soldaten infolge einer gefährlichen Nach-
giebigkeit der durch keinen Rechtstitel gestützte Miß-
brauch eingebürgert, ihre Behausungen nach Sonnen-
untergang zu verlassen und die Stadt auf diese
Weise unsicher zu machen. Die Schildwachen, deren
Nothwendigkeit für den Fortbestand der staatlichen
Ordnung nur ein Idiot leugnen könnte, werden
durch diese Vagabondage des Zivils in betrübender
Weise belästigt. Welche wichtige Funktion liegt solch
einem edelgesinnten Wachtposten ob? Wenn der
stumpfe Bürger den Hausschlüssel unter sein Kopf-
kissen und die Sicherheitskette an die Korridorthür
gelegt hat, so schläft er in seinem Bett und der
Nachtwächter im Thorweg den Schlaf des Ge-
rechten. Ein General aber könnte uns gestohlen

werden, und damit man ihn nicht fortträgt, schultert
ein Soldat sein Gewehr vor dem Portal. Und
gar erst die Kasernen, wo tausend Helden mit Wehr
und Massen wohnen, könnten durch nächtlichen Ueber-
fall überrumpelt werden, ginge nicht die Wache ge-
treulich auf und ab.

Wandelt die Wache, das Haupt sorgenschwer im
Bewußtsein seiner Pflicht, rastlos auf und ab, so
versteht es sich, daß ihr Kriegerstolz durch die
nachtschwärmenden Zivilisten verletzt wird, die an
ihr vorüberschreiten, lachen und plaudern, während
dicht vor ihnen der Posten für da§ Wohl und Wehe
des Gemeinwesens sich müht und drinnen vielleicht
die Krieger, von den Plagen des Tages ausruhend,
durch ihren Unteroffizier zu erquickender Kniebeuge
oder anderen soldatischen Erholungen angehaltcn
werden. Ungehindert soll das Auge des Wacht-
postens die Gegend durchschweifen, und peinlich ist
das Gedränge und Getriebe der Zivilisten, die ihm
die Aussicht und Fernsicht versperren. Die Straße
soll vorschriftsmäßig leer sein, damit die Schild-
wache kein Aergeruiß nimmt, und damit bei einem
Gebrauch der Schußwaffe die Kugel eine freie Flug-
bahn hat. Wird nämlich der Posten durch einen
Bürger in seiner Ehre gekränkt, indem der Bürger,
des süßen Bieres oder Branntweines voll, singt, mit
ihm scherzt oder ihn neckt, so ist der Verbrecher
sofort zu bestrafen. Die Wache schießt den Atten-
täter einfach über den Haufen. Wer sonst sich aus
der Straße befindet und in die Fluglinie der Kugel
geräth, wird dafür, daß er noch umherschwärmt,
durch die schwere oder leichte Verwundung, die er
davon trägt, mit Recht bestraft. Mitgenossen, mit-
geschossen !

Der Wachtposten, der seine Diensttüchtigkeit und
Treffsicherheit so glänzend bewiesen hat, entgeht
seiner Belohnung nicht. Er wird zum Gefreiten be-
fördert. Heißt er zufälligerweise Lück, so sind die zwei
Zivilisten, die für seine Standeserhöhung bluteten,
als Lückenbüßer zu bezeichnen. Sonst hat die Ge-
schichte keinen Zweck. Berlin ist ein Kriegslager.
 
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