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Rev. Morris. Friedr. Engels. L. Kautsky. Bonnier. Eleonore Marx-Aveling. Stepniak.

Eduard Bernstein. Wolchowsky. vr. Aveling.

Mrs. Cuninghame-Graham.

^^G.. Die Mgldemanstrattan m London. -®=;—

er diesjährige Labour-Day (Maifeier) in
London hat alle seine Vorgänger an Groß-
artigkeit weit übertroffen. Von Nord und
Süd, von Ost und West strömten sie herbei, die
Söhne der Arbeit, und erregten durch ihre Musik-
korps zu ungewöhnlich früher Morgenstunde die
Umgebung Londons. Von zwölf bis zwei Uhr
Mittags ergoß sich eine schwarze Menschenfluth zu
dem Themse-Quai und in die angrenzenden Straßen.
Es nahmen dort die Gewerkvereine Londons mit ihren
Musikkorps und Bannern Aufstellung. Die Spitze
der Prozession formirte sich bei der Westminster-
Abtei, geführt von sechzehn berittenen Marschällen,
hinter welchen die vom Auslande gesandten Dele-
girten folgten.

Um zwei Uhr gab ein Trompetensignal das
Zeichen zum Aufbruch, und nun setzte sich die
Riesenprozession, wie London noch keine gesehen,
unter den Klängen des Marsches „Königlicher Gruß"
— an Ihre Majestät die Arbeit — in Bewegung.
Die Straßen, welche die Prozession passirte, waren
dicht mit Anhängern der Achtstundenbewegung be-
setzt, die sich vielfach noch ihren Gewerken cinreihten.
Am Eingänge des Hydepark bildeten die Marschälle
Spalier und nun begann der Einzug in den Park,
dessen Wege bereits dichte Menschenmassen füllten.
Sechzehn Plattformen waren dort aufgestellt und
zweihundert Redner bereit, von denselben zu sprechen.

Wie immer, so übte auch diesmal die Platt-
form (Nr. 15), auf welcher John Burns sich
befand, die größte Anziehungskraft. Wohl an
30000 Mann hatten sich um ihn versammelt, und
seine Stentorstimme war auch dem entferntest
Stehenden vernehmbar. „Es ist viel besser," rief
er den Arbeitern zu, „ihr gebt 10000 Pfd. Sterl.

aus, um Vertreter der Arbeit ins Parlament zu
senden, als 200000 Pfd. für einen Streik."

Eine der bcstbesetztcsten Plattformen war auch die
im obigen Bilde wiedergegebene Nr. 14, auf der sich
Vertreter aller Nationen Europas befanden. Neben
Friedrich Engels sah man hier den russischen
Revolutionär Wolchowsky, der vor zwei Jahren
den russischen Henkern aus Sibirien glücklich ent-
kam, und Stepniak, den Herausgeber von „Free
Russia." Die gemäßigte Sprache der beiden „Nihi-
listen" koutrastirte sehr zu dem südlichen Feuer,
mit dem Frau Cuninghame-Graham (eine
Spanierin), Gattin des sozialdemokratischen Ab-
geordneten, sprach, der zur Maidemonstration in
Manchester abwesend war. Auf sie folgten Bürger
Bernard, Delegirter der französischen Arbeiter-
partei, welcher die Grüße des sozialistischen Frank-
reich überbrachte, nnd Ed. Bernstein, der frühere
Redakteur des „Sozialdemokrat," welcher im Namen
der deutschen Sozialdemokratie sprach. Auch ein
Geistlicher, der Reverend William Morris,
Vikar in Lambeth, sprach zu den Arbeitern. Sie
haben ihn „Brother Bob" getauft, seit er beim
Streik auf den Südlondoner Gaswerken so energisch
für sie cingetretcn ist. Eine Rede in jüdischem
Jargon hielt Schaier an die russisch-jüdischen
Arbeiter des Ostends, um sie dann in Englisch zu
wiederholen. Roussel, Delegirter der Pariser
Arbeitsbörse, wandte sich gegen die Bölkerverhetzung
und schloß mit dem Ruse: „Es lebe die Humanität!"
Seine Rede wurde von dem Präsidenten der Platt-
form, Or. Edw. Aveling, übersetzt.

Noch sprachen Stanislaus Mendelssohn
im Namen der polnischen, und Frau L. Kautsky
Namens der österreichischen Sozialisten denen Frau

Aveling, die geistreiche Tochter Karl Marx',
dann der alte Veteran Fr. Leßner, Mitglied des
Kommunistcnbundes und des Generalraths der Inter-
nationale, sowie eine Reihe englischer Redner folgten.

Um fünf Uhr ertönte das Signal zur Abstimmung.
Die Resolution, welche den gesetzlichen Achtstundentag
verlangt, wurde verlesen und ein Wald von Händen
erhob sich für dieselbe. Brausender Applaus be-
grüßte das Abstimmungsrcsultat. Sodann wurde
dem Präsidenten der Plattform ein Hoch ausgebracht
und die Mcnschenmassen begannen sich zn zerstreuen.

Schon waren die Reden auf den Plattformen
vorüber und noch immer dauerte der Zuzug der
Prozession zum Parke fort. Ein demokratisches
Blatt nennt sie die größte Demonstration, welche
je die Welt gesehen, und schätzt die Zahl der Theil-
nehmer auf eine halbe Million. Das Konnte für
den Achtstundentag wird künftig gezwungen sein, die
Prozession von mehreren Sammelpunkten abgchen
zu lassen, um zu ermöglichen, daß alle Theilnchmer
rechtzeitig zu dem Hauptakte sich einfinden können.

Die bürgerliche Presse betrachtet die Demon-
stration init ärgerlicher Miene und versucht, sie zu
verkleinern. Die „Times" hat die Unverschämtheit,
zu behaupten, weder die Redner noch die Zuhörer
wußten was sie wollten; die ganze große Versamm-
lung glich Kindern, die nach dem Monde schreien.
Auch die liberale Presse ist nicht gut auf die Demon-
stration zu sprechen. Die Bourgeoisparteien haben
aber auch alle Ursache, unzufrieden zu sein, betonten
doch die meisten Redner die Nothwendigkeit der
Loslösung der Arbeiter von den bürgerlichen Parteien
und die Schaffung einer großen unabhängigen eng-
lischen Arbeiterpartei. Und dazu wird es in Bälde
kommen.
 
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